Was war. Was wird.
Hahaha, mit den auf Vorrat gespeicherten Daten will die Kripo den tricksenden Enkeln auf die betrügerischen Pelz rücken. Hal Faber ist trotzdem nicht zum Lachen zumute, lieber rezitiert er ein obszönes Gedicht.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Bei einer kleinen Wochenschau, die trüffelschweinig über zehn Jahre Informationsbröckchen ausgräbt, sind Wiederholungen unvermeidlich. Erst recht, wenn Allen Ginsberg Geburtstag hat und das Howl Festival die Massen zum Rezitieren des großen Geheuls animiert. Darum, wie weiland 2006, als Daniel Radcliffe noch Harry Potter spielte:
Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom
Wahnsinn, ausmergelt hysterisch nackt,
wie sie im Morgengrauen sich durch die NegerstraĂźen schlepp-
ten auf der Suche nach einer wĂĽtenden Spritze,
Hipster mit Engelsköpfen, süchtig nach dem alten himmlischen
Kontakt zum Sternendynamo in der Maschinerie der Nacht.
*** Das von Lawrence Ferlinghetti verlegte Geheul wurde als obzönes Gedicht vom Zoll und von der Polizei in San Francisco beschlagnahmt. Was folgte, war eine Gerichtsverhandlung, in der Amtsrichter Clayton W. Horn als "aufrechter Christ und gottesfürchtiger Lehrer" (Horn über Horn) in einer Sonntagsschule die denkwürdigen Worte sprach: "Kann es überhaupt eine Pressefreiheit oder die Freiheit der Rede geben, wenn der Mensch sein Vokabular auf anständige nichtssagende Euphemismen beschränken muss? Jeder Autor sollte ehrlich sein Thema verfolgen, seine Meinung und Ideen in seinen eigenen Worten ausdrücken können." Bei der Freigabe des Druckwerkes bezog sich Horn auf die Areopagitica (PDF-Datei) von John Milton, in der dieser gegen die Zensur wetterte: "Wer einen Menschen erschlägt, tötet ein vernünftiges, geistiges Wesen, Gottes Ebenbild. Wer aber ein gutes Buch vernichtet, erschlägt den Geist selbst und tötet Gottes Ebenbild gewissermaßen vor aller Welt."
*** Nun kommt Confront and Conceil auf den Markt, ein Buch über die Operation "Olympic Games", besser bekannt unter dem Namen des Schadprogrammes Stuxnet. Ein Jahr musste das Buch warten, bis es nun mit seinem Erscheinen den Friedensnobelpreisträger Barack Obama zur Wahl als denkenden Staatsmann inszenieren kann, als philosophisch geschulten Helden. Jaja, die Operation Olympic Games begann unter einem Bush und wer das Ganze als "ersten Cyberwar" bejubelt, hat eine paar ordentliche Verschwörungstheorien von Pipeline-Attentaten und tödlichen Druckertreibern vergessen. Dennoch ist es ganz instruktiv, wie ein US-Präsident als Feldherr der Cyberkrieger inszeniert wird, der nur mit einer kleinen Todesliste bewaffnet die Präzisions-Drohnen auf den Weg schickt. Die targeted killig campaign, will sagen die Wahlkampagne ist eröffnet und beim ersten Cyberschlag eines feindlich gesinnten Angreifers wird zu diskutieren sein, ob da ein Cyberwar gestartet wurde oder es sich "nur" um die Sabotageaktion eines Geheimdienstes handelt. Es ist schon erschütternd, wenn der wichtigste Satz zu diesen Enthüllungen in einem IT-Blatt steht und alles andere als optimistisch kling: "Die Leute werden Cyber-Waffen genauso schlecht handhaben wie alle anderen Waffen auch." Darauf trällern wir "Can't seem to face up to the facts", liebe Psychokiller.
*** In dem anlaufenden Rummel um die Fußball-EM, die nach EA Sports UEFA Euro 2012 jeweils das Land gewinnt, in dessen Sprache die Computersimulation gespeichert wird, haben die deutschen Innenminister eine Sicherheitskonferenz zur Lage des Fußballs abgehalten. Fußfesseln, Gesichtsscanner, Alkohol- und Stehplatzverbote wurden in Meck-Pomm diskutiert, um die "schönste Nebensache der Welt" unter staatliche Kontrolle zu bringen. Ganz unscheinbar am Rande: diese sozialen Netzwerke im Internet, in denen digitale Bengalos abgebrannt werden können. Da darf doch kein rechtsfreier Raum sein! Oder gar ein Bereich, der für die Polizei tabu ist. Und nochmal die Entwicklung verschlafen, wie "damals" beim Internet, das geht gar nicht. Da trifft es sich richtig gut, wenn Cryptome das Handbuch des US-amerikanischen Departement of Homeland Security (PDF-Datei) veröffentlicht wird, in dem die nun auch in Deutschland geforderten Standards für die Beobachtung sozialer Netzwerke niedergelegt sind. Ein bisschen Feinarbeit bei der Übersetzung der Schlüsselworte und hopplahopp ist das Fahndungsbüchlein für unser Cyber-Abwehrzentrum. Man ersetze 2600 durch die Datenschleuder, nehme Fefes Blog in die Liste der vertrauenswürdigen Medien auf und schon kann der Spass losgehen.
*** Weit weniger lustig sind die Reaktionen auf den ziemlich normalen Vorgang, dass die EU-Kommission in Sachen Vorratsdatenspeicherung gegen Berlin klagt und Strafzahlungen androht. Prompt wird von gefährdeten deutschen Steuergeldern in Millionenhöhe geschwafelt, was umgelegt gerade einmal 1,40 Euro pro Jahr und Bürger ausmacht. Von Folterwerkzeugen ist die Rede und prompt wird die abwartende Justizministerin als Sicherheitsrisiko verunglimpft. Natürlich gibt es auch Stimmen der Vernunft; den einen oder anderen mag es beruhigen, wenn ausgerechnet die ach so unpolitischen Informatiker darauf hinweisen, was der schwere Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht wirklich bedeutet. Was wirklich beunruhigt, sind die Ermittler, die solche umfassenden Werkzeuge in die Hand bekommen, um "schwere Straftaten" aufzuklären. In aller Deutlichkeit schreibt der Landesverband Berlin der Kriminalbeamten in seiner Pressemeldung: "Nicht nur bei der Aufklärung von Mordfällen, der Terrorismusbekämpfung oder im Kampf gegen kriminelle Rockergruppierungen, sondern auch bei weniger spektakulären Kriminalfällen, die für die Opfer dennoch einschneidende Erlebnisse darstellen – wie Cybermobbing oder Straftaten gegen alte Menschen (Stichwort "Enkeltrick") – ist daher die digitale Spurensuche und Auswertung von Daten ein unverzichtbares und alternativloses kriminalistisches Ermittlungswerkzeug." Alternativlos wandert das Grundgesetz in die Blaue Tonne. Ein Blick nach Österreich zeigt, dass die trostlose Haltung nicht am deutschen Wesen liegen kann. Was bleibt, ist Norden.
Was wird.
Auf Twitter gab es Jubel, Abstimmungsresultate wurden verbreitet, als ob es sich um ein Fußballspiel bei der EM handeln würde, doch waren es nur EU-Ausschüsse, in denen knappe Mehrheiten gegen ACTA zustande kamen. Die eigentliche Offenbarung waren indes die ACTA-Leaks, die von EDRI unter dem Titel "ACTA Failures" veröffentlicht wurden. Die Protokolle der ACTA-Verhandlungen zeigen deutlich, wie wenig man sich um die öffentlich betonte Transparenz gekümmert hat. Auch die Sache mit den "Three Strikes", die in Frankreich wieder zur Debatte stehen, wurden keineswegs so deutlich abgelehnt, wie man der Öffentlichkeit erklärte. So gesehen gibt es Lektürestoff für lauschige Sommernächte: in diesem Juni berät der Handelsausschuss über ACTA, im Juli ist das Europaparlament mit der Abstimmung dran.
Es gibt sie noch, die guten Leaks. Das Beispiel EDRI zeigt, dass es auch ohne Hauptamtliche gehen muss. Während Wikileaks sich unter Führung von Julian Assange sich in eine schwedische Sackgasse verrannt hat, kommt Openleaks nicht vom Fleck. Mit dem US-amerikanischen Wahlkampf unter dem digitalen Vordenker Obama ist es ausgeschlossen, dass die USA an einer Auslieferung von Assange interessiert sind. Für Russland ist der Mensch aus der globalisierten unteren Mittelschicht des Westens gescheitert. So geht es wohl zum Mittsommerfest nach Schweden, doch diesmal ohne Krebsfest, mit dem der Schlamassel begann.
Geht es noch gut, ganz unten? Wen kümmert das? Von den 10.000 Schlecker-Mitarbeiterinnen, die im März gehen mussten, haben nach Angaben von ver.di-Chef Frank Bsirske erst 1200 eine neue Arbeit gefunden. Mangelhafte Computerkenntnisse verhindern das Anheuern bei der Konkurrenz. Jetzt kommen weitere 13.200 Entlassene hinzu. Wo die einen vom Funktionieren der Marktwirtschaft schwärmen, sprechen andere von der Prekarisierung des Einzelhandels. Wie gut, dass die Wahlen vorüber sind und ein Ja zu neuen Technologien einfach nichts kostet. (vbr)