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Was war. Was wird.

Die Angst geht um in diesen vorolympischen Tagen: Während sich die Inselstadt London (unter anderem) gegen Produktpiraten rüstet, räsonniert in der Metropole Berlin die digitale Bohème über Wertschöpfung und Amtsschröpfung.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

***An den Grenzen des Multitasking sitzt ein Teufel, in Löwenpudelform und lacht sich scheckig: In dieser Ausgabe der Wochenschau sollte das Sommerrätsel beginnen, mit 10 Fragen über Frauen in der IT, die Geschichte schrieben wie Marissa Mayer, die bei Yahoo angeheuert hat. Leider muss das Rästel um eine Woche verschoben werden, weil dem Rätselteam bei der Ressourcenallokation ein dicker Fehler unterlaufen ist. Doch keine Angst, in der nächsten Woche geht es los. Versprochen.

Angst, damit bin ich beim Thema dieser Woche. Gemeint ist nicht die Angst der Programmierer vor der Arbeit mit PHP oder die sonstigen Angstphrasen, nicht die Angst vor dem Kaiman im Biberfell im Sommerloch. Es darf schon etwas existenzieller sein. Nehmen wir einen Sprecher des Bundesinnenministeriums und sein Wort vom Angstschreddern von Akten über die rechtsradikale Szene, eine Vertuschungsaktion, die weit umfangreicher war als bislang dargestellt. All die Akten, all das viele ausgedruckte Papier, was da vernichtet wurde, kündet von der Angst um den Besitz. Von der Angst, den völlig überflüssigen Verfassungsschutz zu verlieren, der bei der Rechten beide Augen und den Schließmuskel zumacht, bei der Linken aber die Information festhält, wenn diese vor einer NPD light warnt. Ein Verfassungsschutz, der akribisch die Website Petra Pau zu den Akten nimmt, weil dies für die "Aufgabenerfüllung des Bundesamtes" erforderlich sei. Derweil sind die Details zur "Operation Rennsteig" verschwunden.

Nicht jeder ist so einsichtig, von Angstschredderei zu sprechen oder von der Angst, dass es ihm um seine heile kleine Welt geht, ausgehend vom eigenen Bauchnabel bis zu den Füßen unten und dem Kopf oben. "Die treten an, meine Welt abzuschaffen, und ich muss mir anhören, das sei cool, das habe man jetzt so." Wer so denkt, dem wird die Angst zum Meer in ihm. Der muss schon triumphierend sein Wissen von der Welt verkünden, das unaufhörlich um hübschen Zierrat in Form von Leuchtern und Bildern kreist, von einer Welt, in der die Wohnungen Indikatoren sind: "Was ich allerdings weiss ist, dass allein meine Gästewohnung grösser als die 30m² vom MSPRO ist." Die Angst des Besitzers hat sich in einem Rundumschlag gegen etwas manifestiert, das er die digitale Berliner Boheme nennt – in der Druckfassung konsequent ohne das è der Rodolfos, Marcellos, Schaunards und Collines. Stattdessen geht es um mspro, Plomlomplon, um den Piraten-Ponader, jensbest, um das Firmen-Imperium der Samwers und um – wen sonst – Sascha Lobo, zu dem sich jeder Link erübrigt. Wie groß muss die Angst sein, wenn man glaubt, diese Berliner Mischung könnte die kleine Welt abschaffen, in der es immer nur ums Haben geht? Eine Antwort ist, dass Künstler dem Bourgeois immer zuwider sind, auch wenn er ihre Kunst kauft. Aber "gab es schon immer eine Berufsgruppe, deren Lebenslage prekär war", wie es im Text heißt?

Eine andere Antwort hat Robert Kurz gegeben, als er in der Krisis-Gruppe ein Manifest gegen die Arbeit veröffentlichte, das mit dem schönen Satz endete: "Proletarier aller Länder, macht Schluss!" Gegen die totalitäre Macht der Arbeit, die keinen anderen Gott neben sich duldet und selbst noch bis ins Private als Beziehungsarbeit tyrannisiert, schrieb er: "Freiheit heißt, sich weder vom Markt verwursten noch vom Staat verwalten zu lassen, sondern den gesellschaftlichen Zusammenhang in eigener Regie zu organisieren – ohne Dazwischenkunft entfremdeter Apparate. In diesem Sinne geht es für die Gegner der Arbeit darum, neue Formen sozialer Bewegung zu finden und Brückenköpfe einzunehmen für eine Reproduktion des Lebens jenseits der Arbeit. Es gilt, die Formen einer gegengesellschaftlichen Praxis mit der offensiven Verweigerung der Arbeit zu verbinden." Robert Kurz ist tot, die Todesursache noch unklar, Der Mann aus Nürnberg, der die Nürnberger Nachrichten zur meistzitierten Zeitung der marxistischen Diskussion machte (weil alle Zeitungen eh dasselbe schreiben), schrieb selten über das Internet, doch erkannte er zum Platzen der Dotcom-Blase ganz richtig, dass das Internet nur Wachstum im Internet finden kann – nur um den falschen Schluss zu ziehen: "Weder die Hardware- noch die Software-Hilfsmittel rechtfertigen die Euphorie einer kapitalistischen New Economy. Wenn überhaupt, dann müsste das neue reale Wachstumspotenzial im Internet selber zu finden sein. Aber die Möglichkeiten einer virtuellen Produktion von kapitalistisch verwertbaren Gütern sind eng begrenzt."

Angst? "Alle Großen haben Angst", komponierte Birger Heymann, von dem auch das Mutmacherlied stammt, das in unserem Kinderladen gern gesungen wurde "Doof geboren ist keiner". Nach klassischem Musikstudium trat Heymann in mehreren Berliner Studentenkabaretts auf, ehe er beim Reichskabarett Teil der Berliner Sponti-Bohème wurde. Als aus dem Reichskabarett das Grips-Theater entstand, komponierte Heymann die bekannten Kinderlieder und später das Musical über die Linie 1. Hey Du, die Lieder bleiben hier!

Was wird

Unter dem Titel The Future is now schickte die US-Diplomatin Lisa Kubiske einen Bericht aus der US-Botschaft in Brasilien, als das Land den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2016 bekam. Der Bericht handelt davon, wie die USA Brasilien mit Sicherheits-Know-How zur Cyber-Security im großen Stil versorgen und über diesen Weg auch den Einblick in die brasilianischen Zustände verbessern kann. Bei den Sommerspielen in London hat man sich offenbar an diese von Wikileaks veröffentlichte US-Depesche erinnert und lässt sich mit Personal unterstützen. Schließlich hat die Markenpolizei alle Hände voll zu tun, schließlich musste die Metropolitan Police einen Anschlag auf das Ansehen der Spiele stoppen, der mit grüner Sauce erfolgte, in der Farbe der zugelassenen Internet-Lounges von Acer. Wehe dem, der hier mit einem ein markenfremden Gerät den Anschluss sucht, um via Facebook mit Cuba chatten. Im Zweifelsfall gibt es Fackeln bei Samsung. Wenn alles vorbei ist, soll die digitale Bohème Londons sich mit dem Silicon Roundabout der olympischen Sperrgebiete bemächtigen.

Unterdessen fliegen die grünen deutschen Bohème-Experten natürlich in die USA, von der Böll-Stiftung und Googles Internetforschern sorgsam betreut. Die verflixten 1000 Euro spielen da keine Rolle, wenn man in das gelobte Land kommt, wo SOPA und PIPA ausgeheckt werden, ganz ohne Green Values.

Wie wäre es mit den gelben Werten? Was den Piraten ihr Liquid Feedback, ist der liberalen Basis ihre New Democracy, die am Montag vorgestellt wird. Entwickelt von Michaela Merz, laut Wikipedia eine Pionierin der digitalen Bohème, soll die Software die Strukturen in deutschen Parteien abbilden können, komplett mit Ortsverbänden, Kreisverbänden und so weiter. Bleibt die Frage, wie die Mauscheleien hinter den Kulissen softwareseitig abgebildet wurden: Man erinnere sich an das Meldegesetz, bei dem ein Deal zwischen CSU und FDP eine ganz unverhoffte Interpretation des Vorhabens ermöglichte, mit tatkräftiger Unterstützung der Adresshandels-Lobby (ssu)