Was war. Was wird.
21 Milliarden in acht Minuten, das war kein schlechtes Feuerchen. #PendingLarry wird es verkraften. Der kommt schon wieder auf die Beine. Bei Julian Lazarus ist sich Hal Faber nicht so sicher. Aber wo Erlösung wartet, ist Vergebung nah.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Ach, Google: 21 Milliarden Dollar in acht Minuten zu "verbrennen", das vermittelt eine Ahnung vom Turbokapitalismus. Man könnte die 18 Milliarden Euro dagegen setzen, für die der italienische Staat eine geschlagene Woche brauchte, um sie zusammen zu bekommen, aber die schwarzen Schwäne sind längst auf dem Weg ins Winterquartier. Dass die Panne auf dem Fehler einer Druckerei beruhte, die Googles Geschäftsbericht auf totes Holz kopiert, ist die berühmte Ironie des Schicksals.
*** Angeblich hat Google seine Maske abgenommen und das wahre Gesicht als gefährlicher "Schwarz- und Trittbrettfahrer" gezeigt. Passiert ist das Ganze in Frankreich, wo mit der anstehenden Reform des Urheberrechts um eine "Lex Google" eine französische Form des unsinnigen Leistungsschutzrechtes eingeführt werden soll. Google, das Monat für Monat vier Milliarden Besucher auf die Netzpräsenzen der Verlage spült, soll dafür zahlen. Die Nachrichtenagentur AFP veröffentlichte den Protest von Google, den diese kleine Wochenschau mit einem belgischen Link einspielt: Bekanntlich war Belgien das erste Land, in dem der Verlegerschutz realisiert wurde und Google konsequent reagierte. Dass im französischen Protest von Google der US-Konzern "mette en cause son existence même" in seiner eigenen Existenz bedroht ist, werden die Juristen des Hauses wahrscheinlich mit Glucksen geschrieben haben. Man muss Google nicht besonders mögen, wenn man schlicht konstatiert: "Wenn jemand für eine Leistung Geld haben will, muss es anderen erlaubt sein, auf diese Leistung zu verzichten." Das fehlende Zitat von Larry Page, das angeblich zur fehlerhaften vorzeitigen Veröffentlichung der Geschäftszahlen führte, sind nicht die Witze von #PendingLarry. Der Zuwachs im Bereich der zukunftsträchtigen mobilen Suchanfragen bei stagnierendem Anzeigenaufkommen zeigt, wohin sich Google entwickelt. Selbstfahrer oder Trittbrettfahrer, das ist die Frage.
*** Es war ein kleiner Schritt für einen mutigen Menschen, aber ein großer Schritt für das Marketing von Zuckerwasser, das angeblich Flügel verleiht. Wobei die Frage, ob der Flug zu kurz oder gar der Sprung ungültig war, weil eine Linie übertreten wurde, die Gemüter erhitzt bis zum Denk-, äh Druckverbot: "Ich finde, man sollte eure Seite verbieten. Kann doch nicht sein dass sich jemand als Zeitung ausgeben darf. Sogar im Titel-Banner damit wirbt dass es um ehrliche Nachrichten geht. Und jeder Artikel ist einfach knallhart gelogen und ne Verarsche! Einfach unglaublich. Jeder der sonst Unwahrheiten erzählt, wird bestraft. Was passiert mit euch?" Knallhart gelogen? Nun, es gibt Zeitungen, die über die Analyse von "Körperströmen" schreiben und den Test als Notfall-Fluchtplan für Kunden beschreiben, die ihr E-Ticket bei Virgin Galactic gebucht haben.
*** Zwei US-amerikanische Geheimdienstoffiziere machten sich im Jahre 1948 Gedanken darüber, wie ein Kontrolldienst aussehen könnte, der überwacht, ob die Deutschen es ernst mit der Demokratie meinen oder ob sie wieder nationalsozialistisches Gedankengut verbreiten und den Staat vernichten wollen. Auf der Suche nach einem Namen für diesen Dienst kamen sie auf die wehrhafte Demokratieschutztruppe, dann auf Verfassungsschutz. Dieser prüft seit dem 27. September 1950, ob es Bestrebungen gibt, die Demokratie abzuschaffen, in guter Zusammenarbeit mit dem Klu-Klux-Klan. Wie gut der Verfassungsschutz arbeitet, erkennt man daran, dass seine Leute bei einer Homepage-Überwachungsfangschalte der Kölner Polizei auffielen. Als Clemens Binninger dieses Detail auf der Konferenz über Deutschlands Sicherheitsarchitektur erzählte, war das Gelächter groß. Nach einer Studie dürfte es drei Jahre brauchen, all die Verfassungsämter abzuschaffen und die fähigen Leute als politische Polizei einzustellen, die ohnehin bei politisch motivierter Kriminalität ermittelt. Ein Tabu für Sicherheitspolitiker, die "fassungslos" den sprachlichen Ausrutscher der Grünen-Politikerin Anja Piel kommentieren. Vielleicht wird sie observiert, wie Abgeordnete der Linken. Vielleicht ausgegrenzt wie Feine Sahne Fischfilet. Und wie ist das bei den Piraten? Wer Island so lobt, soll doch nach drüben gehen!
*** Es geschieht nicht alle Tage, dass auf der anerkannten Leak-Seite Cryptome ein Heiligenbild veröffentlicht wird. Das es ausgerechnet die "Erweckung des Lazarus" von Piombo und Michelangelo ist, sollte zu denken geben. Es ist nicht nur das erste Bild überhaupt, dass die britische Nationalgalerie ankaufte, sondern erzählt auch die Geschichte vom bitteren Streit zwischen weibischer Technik (Ölmalerei) und männlicher Arbeit (Fresko). Doch steht er auf, Assange? Zur Buchmesse stilisierte er sich als Nachtwächter, der Warnungen in die Nacht ruft, als solitärer Cyperpunk der dunkelsten Science Fiction, als Schockwellenreiter, der vor der Verletzlichkeit einer Welt warnt, in der jede E-Mail, jeder Telefonanruf gespeichert wird. Derweil hat Wikileaks sein Diskussionsforum geschlossen. Die verbleibende Gruppe der Gläubigen schart sich fest um Christine Assange, die nunmehr die Assanginistas anführt beim Kampf um die Erweckung Julians. Großes Kino? Große Kunst! "In Zukunft werden die ganz großen Umwälzungen aus der Nerd-Szene kommen. Nicht mehr aus der Kunst. It's over, das muss ich jetzt ganz knallhart sagen." Kniet nieder.
Was wird.
Gut, die Woche ist vorbei, die nächste wartet. Wer zur Gruppe der angebissenen Gläubigen zählt, fiebert dem Dienstag entgegen, an dem es farbenfroh zugehen soll. Dann gibt es noch die unverdrossenen, die auf den Donnerstag/Freitag warten, wenn Windows 8 je nach Zeitzone offiziell startet. Der größte lebende Steve aller Zeiten hat vom Beginn einer neuen Ära gesprochen. Wer einfach nur Erlösung sucht, wird bei dieser Religion fündig.
Wo Erlösung wartet, ist Vergebung nah: der große Guttenberg wird bald wieder eine maßgebliche Aufgabe übernehmen. Der Mann bindet Wählerstimmen und könnte auch mit einem Pfund Marihuana noch durchkommen. Seine Dissertation ist Cut&Paste von gestern, der Müllkorb längst entleert. Schließlich stellte sich dieser Tage heraus, wie es um die Freiheit der Wissenschaft in Deutschland bestellt ist, wenn eine deutsche Wissenschaftsministerin einer Universität Redeverbot erteilt. Diese Art Heimvorteil hatte Guttenberg halt nicht, die Kompensation als EU-Beauftragter für Internet-Freiheit war mehr symbolisch. Die Forderung nach einem bedingungslosen Doktortitel für all die Polit-Karrieristen ist von ebenso großer wie ehrlicher Schadensbegrenzung getragen und dürfte selbst bei den Piraten auf große Zustimmung treffen. Wer weiß, vielleicht ergibt sich auch für Koch-Merin die Chance eines Rücktritts vom Rücktritt, wenn dieser "Blockwartmentalität des Internet" ein Riegel vorgeschoben wird. (vbr)