Was war. Was wird.
Elektroluche aller Länder, vereinigt Euch! Oder so ähnlich, versucht sich Hal Faber an Zeiten zu erinnern, als Träume noch nicht aus waren. Glücklicherweise ist aber Europawahl.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Es war eine dunkle und stürmische Nacht und es regnete in Kübeln – mit kleinen Unterbrechungen, wenn eine Windböe über den leeren Parkplatz strich und die Lampen zum Knarzen brachte, was wie örk, örk örk klang und an das Geräusch erinnerte, das ein gezerrter Mops macht, der von einem Jogger gezogen wird, der schnell den unheimlichen Platz verlassen will, an dem das WWWW übergeben wird. Es war eine jener Schicksalsminuten, in denen sich in Sekundenbruchteilen das Blatt wendet wie in einer jener mürrischen Wischgesten auf dem Tablet, wenn man merkt, das falsche Buch gekauft zu haben und das Google-Play-Konto leer ist.
*** Ja, so ist das, wenn ein Leser dieser kleinen Wochenschau um einen bulwer-lyttonesken Einstieg bittet und ich, Hal Faber, einer der korrumpiertesten Journalisten, die je die Erdoberfläche betreten haben, sich natürlich nicht lumpen lässt beim Einsteigen. Ist ja nicht wie früher in der Straßenbahn, wo sich "spontan tiefsinnigste Dichterclubs bildeten, deren Freundschaften mindestens ein Leben lang hielten". Heute, im Zeitalter des Smartphones und der Tablets, starren vereinsamte Elektrolurchen auf die Wochenschau mit den Leserkommentaren und grübeln, ob Der Traum ist aus wirklich Krautrock ist. Trotz Amon Düül, Kraan, Can und Ego on the Rocks hat Birth Control mit Gamma Ray die meisten Stimmen bei den Krautrock-Tophits bekommen, nämlich vier.
*** Hach, wie war das nochmal mit dem falschen Buch, das man verwundert aufschlägt? Das hier fängt so an: "Bei einigen Dokumenten, die in diesem Buch veröffentlicht werden, sind auf Veranlassung der National Security Agency (NSA) zur Wahrung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika Passagen unkenntlich gemacht worden." Es handelt sich um Glenn Greenwalds gerade erschienenes Buch "Die globale Überwachung", im Original "No Place to Hide" etwas drastischer betitelt. Geht man den Schwärzungen von NSA-Dokumenten im Buch nach, so erscheinen sie gerechtfertigt. Die Sozialversicherungsnummer von Edward Snowden, sein Tarnname bei der CIA und seine Personalnummer bei der NSA sind geschwärzt, ebenso einige Mailadressen und eine Liste der Länder, die "Erfassungsziele mit oberster Priorität" darstellen. Unter den ebenfalls von Snowden mitgesicherten und dann herausgegebenen Dokumenten des britischen GCHQ ist es ein Screenshot, der in der deutschen Version des Buches geschwärzt, im englischen Original geweißt wurde. Im Vergleich mit dem, was sonst alles geschwärzt wurde, sind die Stellen überschaubar.
*** Nun hat Glenn Greenwald eine Geschichte über die Totalüberwachung der Telefongespräche von den Bahamas-Inseln, Mexiko, Kenia und Philippinen sowie einem weiteren Land veröffentlicht, das nicht genannt wird. Politisch brisant sind hier die Bahamas, auf denen viele US-Bürger und selbst Präsident Obama urlauben – und dabei abgehört werden, wenn sie nach Hause telefonieren. Dass ein Land fehlt, weil es Befürchtungen gebe, dass die Enthüllungen zu verstärkter Gewalt führen könnte, verärgerte Wikileaks-Chef Julian Assange. Er drohte an, den Namen des Landes zu veröffentlichen und hat dies mittlerweile auch getan und stilecht gegenüber Russia Today kommuniziert, dem Sender, in dem Assange eine kleine Polit-Talkshow hatte. Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson argumentierte mit den Folterbildern von Abu Ghraib, die die USA ebenfalls unterdrücken wollten, weil sie Unruhen im Irak befürchteten. Aus welcher Quelle nun Wikileaks die Information über das fünfte Land bezog, wollte man sinnigerweise aus Gründen des Quellenschutzes nicht sagen. Der Hinweis müsse genügen, dass dabei unzureichend redigierte, bereits veröffentlichte NSA-Dokumente eine Rolle spielten. Das wiederum bringt uns zu Cryptome, wo John Young eine Analyse veröffentlichte, dass Afghanistan von der Wortlänge her genau in ein geschwärztes Dokument über die Länder passte, deren Telefonverkehr abgehört wurde.
*** So schließt sich frei nach der großen Dichterin Julie Schrader ein Informationskreis wie ein übervoller Spucknapf. Denn Young bezieht sich auch auf das Buch "Der NSA-Komplex" der Spiegel-Journalisten Rosenbach und Stark, die von Acidwash berichten, einem "NSA-Zugang zu einem wichtigen afghanischen Mobilfunkbetreiber". 30 bis 40 Millionen Anrufe soll Acidwash täglich speichern. Auf Bitten des Bundesnachrichtendienstes habe man "deutsche Ziele" beim alltäglichen SIGINT im Sinne eines "Ringtausches" in die Suchläufe in dieser Datensammlung aufgenommen. In dieser Woche tagte der NSA-Untersuchungsausschuss und siehe da, gleich drei Juristen merkten an, dass dieser Ringtausch von Informationen beim BND grundrechtswidrig ist.
*** Wir bleiben beim Spiegel und den Journalisten Rosenbach und Stark. Denn diese erhielten den Henri Nannen-Preis in der Kategorie Investition, ähem, "beste investigative Leistung". Zusammen mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras und dem Internetaktivisten Jacob Appelbaum wurden sie für die Leistung ausgezeichnet "ein paar Zahlencodes in einem NSA-Dokument in eine politische Bombe" zu verwandeln. Kein Preis für den Journalisten Glenn Greenwald, der dafür die ihm von Edward Snowden ausgehändigten Dokumente lieferte? Genau. In dem nicht online verfügbaren Interview der FAZ über die Preisvergabe wird diese Frage gestellt. Die Antwort von Vorstandschefin Jäkel: "Greenwald ist vielfach und zu Recht geehrt worden, aber ohne Laura Poitras hätte er nie Snowden getroffen. Denn auf die erste Mail von Snowden reagierte er nicht, Poitras hat Greenwald erst wachgerüttelt." Bei Glenn Greenwald liest sich das so:
"Die Story hätte ohne meine unvergleichlich tapfere und brilliante journalistische Weggefährtin und Freundin Laura Poitras nie eine solch durchschlagende Wirkung erzielen können. /../ Da sie großen Wert auf ihre Privatsphäre legt und nicht gern im Rampenlicht steht, ist es manchmal etwas in den Hintergrund geraten, wie unverzichtbar ihr Beitrag für unsere Berichterstattung war. Doch ihre Sachkenntnis, ihr strategischer Verstand, ihr Urteilsvermögen und ihr Mut prägten unsere Arbeit wesentlich. Wir berieten uns fast täglich und trafen alle größeren Entscheidungen gemeinsam."
*** Gern im Rampenlicht steht hingegen der Aktivist Jacob Appelbaum, der nach eigener Einschätzung im deutschen Exil lebt. Anstatt den Nannen-Preis abzulehnen, nahm Appelbaum ihn entgegen, nur um beim nächsten öffentlichen Auftritt mit blindem Glauben ausführlich den Wikipedia-Eintrag zum Namensgeber Nannen zu zitieren. Seine Rede in Mannheim mit der schlimmen Kausalkette über Nannens Jugend bis zum Nannen, der für die hinter seinem Rücken aufgekauften Hitler-Tagebücher die Verantwortung übernahm, ist strunzdumm. "Nannen ist für den Versuch, einen der größten faschistischen Massenmörder der Geschichte als unschuldig darzustellen, mitverantwortlich", heißt es holprig übersetzt. Mindestens genauso blöd ist das von Appelbaum angedachte symbolische Köpfen, das Einschmelzen des Preises und Neugestalten als "anonyme Quelle".
*** Es hörte sich wohl gut an, wie Jacob Appelbaum in Mannheim von seinem Vater erzählt, der ihm im Alter von 9 Jahren Max Frisch und Eugène Ionesco zu lesen befahl, nachdem er blind anderen Kindern gefolgt war. Kindlich blind könnte man seine Aktion nennen. Was der Vater offenbar nicht lehrte: Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, dann sollte ich gleich nein sagen. Wenn ich bei der Person Nannen nichts anderes sehe als einen "eindeutigen Mitgestalter" des Faschismus, der meinesgleichen umbringen wollte, dann rede ich auch nicht großsprecherisch von einem Deutschland, das eine moralische Autorität hat. So ist die Aktion nur kurios, denn sie zeigt einen Internet-Aktivisten, dem das eigenständige Denken nicht gelingen will. "Ich bin investigativer Journalist und arbeite an sensiblen Themen. Ich präge die Kultur, indem ich mich auf die Suche nach harten Fakten mache und sie analysiere", sagte Appelbaum, um etwas später das genaue Gegenteil zu formulieren, wenn er zum Nannen-Preis anmerkte: "Ich kann durch ihn nicht den Namen einer Person ehren, die für eine solche Geschichte steht – gleichgültig, wie die Details sich darstellen." Hart in den Fakten, gleichgültig in den Details, genau das ist die Einstellung der Ewiggestrigen und Schnellempörten, der Selbstgerechten und der Scheuklappsters.
Was wird.
Noch sind die Wahllokale nicht geöffnet, wenn diese kleine Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene in das Internet der Aktiven und Passiven gekippt wird. Man kann sich hier über die Piratenpartei informieren, hier über die Linke, hier über die Grünen, hier über die SPD und hier über die CDU/CSU. Und auch über die FDP, wenn man will. Man kann das Versprechen von We Promise ansehen oder andere Wahlempfehlungen für digitale Grundrechte. Jeder kann seine Stimme einsetzen. Nur zusehen und lachen, wie die "Alternative für Deutschland" einen neuen Webmaster sucht, ist falsch und schadet der Gesundheit. (jk)