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Was war. Was wird.

Alles verändert sich, damit alles bleibt, wie es ist? Man hat schon bessere Zeiten heraufziehen sehen, meint Hal Faber, dem doch mit etwas zu kleiner Münze gezahlt wird für den Aufbruch in eine neue Zeit.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert." Und tatsächlich bleibt eigentlich alles, wie es ist, sieht man sich den Koalitionskompromiss zur inneren Sicherheit an. Eine "neue Innenpolitik", die die Bürgerrechte wieder in den Vordergrund stellen würde, ist das beleibe noch nicht, liebe Leute. Mag man auch die schlimmsen Auswüchse der Schily-Schäuble-Kataloge zurückgestutzt, den Präventionsstaat etwas in seine Schranken verwiesen haben: Eine "Internetrepublik", in der die Privatsphäre des Bürgers wirklich als Grundrecht angesehen und auch so behandelt wird, sieht anders aus.

*** Wie aber soll sie aussehen, diese "Internetrepublik", von der die FDP redete und die die Piratenpartei sich auf die Fahnen geschrieben hatte? Bei manchen Diskussionsbeiträgen derer, die die Freiheit hochzuhalten meinen, kann einem das kalte Grausen kommen. Was da an Elite-Denken durch die Köpfe geistert, wäre selbst Platon wohl zu viel geworden. Möglicherweise hätte Ortega y Gasset ja Gefallen daran gefunden, wie in elitären Besserwisser-Denken manche Internet-Freiheitskämpfer verhaftet sind. Meritokratie ist für solche Vorstellungen ein zu schwaches Wort, eine "wohlwollende Diktatur" eine völlig unangemessene Verharmlosung.

*** Da ist man doch manchmal froh, wenn man mit den Kompromissen unserer Politik zu leben hat. Denn trotz allem: Man muss das Verhandlungsergebnis für die Innenpolitik der schwarz-gelben Koalition begrüßen, Politik besteht nicht im Beharren auf der reinen Lehre. Die Leere in den Köpfen dagegen hätte man sehen sollen, die eingetreten wäre, hätte sich jemand wie Schäuble oder gar Norbert Geis in der Innenpolitik mit ihrer reinen Lehre durchgesetzt. Es gibt tatsächlich Leute, die die Demokratie für eine schlechte Staatsform halten, da sie von Kompromissen und dem Versuch lebt, eine Gesellschaft zu schützen, in der grundsätzlich jeder nach seiner Façon selig werden kann und dies nicht von der Gnade eines Fürsten abhängig ist. Auf der anderen Seite scheinen die zu stehen, die eine direkte, plebiszitäre Demokratie als radikalen Gegenentwurf zur repräsentativen Demokratie ansehen, und dabei glatt übersehen, wie sehr sie sich den mobitären Schwankungen nicht etwa des Zeitgeistes, sondern einer Massenpsychologie ausliefern, für die weder Elias Canetti noch Wilhelm Reich noch Ortega y Gasset der Realität endgültig standhaltende Erklärungsmuster lieferten. Repräsentative Demokratie ist weder die Herrschaft der Elite, noch die des Mobs, und sie ist schon gar nicht eine "flüssige Volksherrschaft", deren praktische Methoden wohl nur im Hirn eines durchgeknallten Informatikers entstanden sein können. Die repräsentative Demokratie ist Herrschaft der Vermittlung. Und eigentlich leben wir ganz gut damit.

*** So ist das dann also: Bald wird Deutschland also eine neue Regierung haben, die echte Kunststücke macht. Die die Steuern auf Pump senkt und ein Zugangserschwernisgesetz zu Ende bringt, komplett mit einer Regelung, die die Erschwernis vorerst so erleichtert, dass die Internet-Provider nicht die Löcher an den Datenkreuzungen ausheben müssen, in die die Stopp-Schilder gerammt werden sollten. Hardliner sprechen schon von einer traurigen Konfusion. Ach, kommt, es ist doch alles nur virtuell, wird sich mancher denken, da hat niemand den Schaden und das wirklich Gute ist, dass das BKA ernsthaft Kinderschänder jagt, statt Deutschland auf das Niveau von China zu bodigen. Das unterschlägt die erheblichen (Programmier-)Anstrengungen, die deutsche Provider in den letzten Monaten unternommen haben. Hey, selbst schuld, sofort zu kuschen statt zu zeigen, dass Internet-Anbieter ein Rückgrat haben, das kostet teuer, wird mancher denken. Und sicher gibt es Menschen, die sich öffentlich darüber freuen, dass Familienministerin von der Leyen den Big Brother Award gewonnen hat. Big Sister Ursula lenkt vorzüglich vom Thema ab, wie leicht die Politik das Internet als rechtsfreien, gottlosen Raum präsentieren kann und steil gefönten Quatsch wie ein Zugangserschwernisgesetz produzieren kann. Viel zu schnell ist vergessen, dass dieser Stoppmist nicht die erste Gabe dieser Art war: Der Hackerparagraph ist ein ähnlich schusseliges Gesetz, gemacht von Politikern, die über den Unrechtskern von Hackertools schwadronieren wie Zöglinge des Priesterseminars von zertifizierten feministischen Kriterien sexueller Ausdrucksweisen.

*** Warum werden eigentlich in Deutschland nur die Datenkraken ausgezeichnet, warum gibt es keinen Winkelried-Award wie in der Schweiz? Ein Volk der Drücker und Denker, das keine Widersteher und Gegendrücker kennt, wie es ein Clown auf der Big-Brother-Gala formulierte? Anders gesagt, ist wirklich nur ein popeliges Verwaltungsgericht in Wiesbaden dafür verantwortlich, dass die Sperrfarce in die Tonne gekloppt wird? Der BKA-Geist, der hinter dieser Argumentation durchschimmert ist der der holden Obrigkeit, die gesellschaftlichen Protest nur als Bedrohung wahrnimmt. Derweil tauchen Details auf, wie die freiwillige Selbstverpflichtung etwa an Universitäten angedacht wurde. Nicht schlecht, dass in vorauseilendem Gehorsam Port 53 gesperrt werden soll, der absehbaren Umgehungsmaßnahme wegen. Und nein, damit ist nicht jener Gehorsam gemeint, mit dem Feuchtgebiete rasiert werden, sondern der blinde Gehorsam namens Pflichtgefühl. Pflichtbewusst darf man die besondere Sorte Datenschützer nicht verschweigen, die Kundenkarten toll finden und und Big Brother Awards für eine einzige Angstmache halten.

*** WWWW-Schreiben macht schlau, echt jetzt, ungelogen. Man muss den Weltgeist bespitzeln wie das die Grünen als Geheimdienstchen nun mit der Linken machen. Da kommt der Überwacher auf manch seltsamen Parkplatz an, ehe die Kolumne kurz vor Mitternacht auf dem der Redaktion abgeliefert wird. Ein Beispiel ist heute der Alaska Day, ein Höhepunkt für viele geile Berichte vom Schwängern von Nüssen, was immerhin auf aparte Spielarten sexueller Ausdrucksweisen schließen lässt. Oh, oh, fasst hätte ich den Boss Day vergessen, an dem in Amerika die Analisten Konjunktur haben und der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt einsame Höhepunkte hat: "Es ist deine Voraussicht und Leitung, die mich inspiriert, nach Höherem zu streben – danke, Boss!" Das ist doch eine ganz andere Einstellung als das typisch deutsch-sozialdemokratische Anspruchsdenken von Hey Boss, ich brauch mehr Geld, oder?

*** Zwischen den Boss Day und den Alaska Day hat sich der Visicalc Day geschummelt, komplett mit Überlegungen von Leuten, wie schädlich eigentlich Tabellenkalkulationen sind. Sie haben aus der freien Vereinigung von zupackenden Frontiermen eine zögerliche amerikanische What-if-Society gemacht, die nicht mehr Mond oder Mars besucht, weil die Sache nach eingehender Kalkulation schlicht zu teuer ist, selbst wenn Private dabei helfen. So ist aus dem mächtigen Doppelschlag ein Schüsschen geworden, das ein Stäubchen aufwirbelte – doch immerhin von Leuten durchgeführt, die ihren "Anhalter durch die Galaxis" kennen. Der Beschuss wurde getwittert: ""That's it! Ground! Ha! I wonder if it'll be friends with me?" Irgendwo wird auch der Petunientopf aufgeschlagen sein, "Oh no, not again" murmelnd. Wahrscheinlich genau an der Stelle, wo es Wasser in rauen Mengen gibt.

Was wird.

*** Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum. 50 Jahre Asterix im Dienst der Volksaufklärung müssen einfach gefeiert werden. Erst durch den Comic wissen wir, dass Kleopatra ein hübsches Näschen hatte, dass Hinkelsteine wunderbare Geschenke sind und man vor nichts Angst haben muss, außer dass einem der Himmel auf den Kopf fällt. Und wenn das Marketing-Getöse von Microsoft braust und auf 177 Millionen Windows 7-Lizenzen setzt und dazu der Boulevard dröhnt: "Ganz Deutschland freut sich auf Windows 7!", dann darf die klassische Nachfrage nicht fehlen: Ganz Deutschland?

*** Und ach ja, beim Nachfragen nicht zu vergessen: Was wird, das fragt sich die SPD auch noch immer. Inzwischen sehen sich bereits einige Gazetten zu Trostpflästerchen veranlasst in Form von Artikeln, die die alte Tante an eine noch gar nicht so lange verflossene Zeit erinnern, als sie sich mit einem Vorsitzenden Scharping herumplagen musste – verglichen damit ginge es der Sozialdemokratie doch gar nicht soooo schlecht. In manchem Trost liegt wirklich eine gehörige Portion Gehässigkeit ... Aber was soll's, der Aufschwung ist ja da, Google darf die Rezession für beendet erklären, die IT-Branche macht wohl auch für den Rest der Earnings Season in der kommenden Woche auf Optimismus. Die Bankster bekommen diesmal mehr Geld denn je. Was soll uns da noch passieren? Alles wie immer, alles ändert sich. Ob Gold dabei herauskommt, wenn man Schwarz und Gelb mischt? Das wäre mal eine gelungene Form der Alchemie. Das Publikum harrt gespannt der versprochenen goldenen Zeiten.
"Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen,
Den Vorhang zu und alle Fragen offen." (jk)