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Was war. Was wird.

Mehr Poesie! Hal Faber träumt. Bei manch luftigen Gesängen wird aber auch ihm ganz blümerant zumute: Eine Warnung an alle Schlafmützen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** One
A Poem
A Raven

Midnights so dreary, tired and weary,
Silently pondering volumes extolling all by-now obsolete lore.
During my rather long nap - the weirdest tap!
An ominous vibrating sound disturbing my chamber's antedoor.
"This", I whispered quietly, "I ignore".

Es ist eine Weile her, dass die kleine Wochenschau die Poesie zu Worte kommen ließ. Doch heute, am Tag von Pi, darf die Cadaeic Cadenza nicht fehlen, der unbestrittene Höhepunkt zeitgenössischer Pipilogie. Ein Gedicht, das die ersten 3834 Stellen von Pi angibt und obendrein Poes Meisterwerk nacherzählt, das ist der echte Tribut an eine Zahl, die für viele traumatische Erlebnisse im Mathematikunterricht steht, ganz ohne anfummelnde Lehrer, in der rettenden Hölle die laufend von Schülern verführt werden mussten. Pi, besungen von Kate Bush. Man kann es hier hören und die idiotische Diskussion ignorieren, ob ein Lied über Pi ein Verstoß gegen das Copyright enthalten kann. Poe und Pi, das mitlerweile von ordinären PC berechnet wird, ergeben eben Poesie:

Once upon a midnight dreary, while I pondered, weak and weary,
Over many a quaint and curious volume of forgotten lore,
While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping,
As of some one gently rapping, rapping at my chamber door.
"'Tis some visitor", I muttered, "tapping at my chamber door ---
Only this, and nothing more."

*** Ja, die Besucher, die können schon schwer zwicken. Nehmen wir nur einen der erfolgreichsten Internet-Unternehmer Deutschlands, wie die neutrale Wikipedia säuselt, der mit seiner United Internet fleißig an die Mövenpickpartei spendet und in dieser Woche mit unserem Außenminister auf Besuch nach Südamerika geflogen ist. Beratend in Sachen Internet für Firmen in Brasilien und Argentinien war er dabei, als Westerwelle den Satz prägte: "Wer Märkte verschläft, den bestraft das Leben." Klar doch, dass man da einfach nicht schlafen gehen kann, sondern mitjetten muss, genau wie Michael Mronz und Cornelius Boersch mit diesen Mainzer Spitzenfirmen Arygon und ACIG, die beste deutsche RFID-Technologie im Ausland verbreiten. Besonders bedankt hat sich der EADS-Mitflieger Stefan Zoller vor der Presse für Westerwelles Auslandstrip, weil Brasilien offenbar so ein kniffliger Markt ist, den man schnell verschlafen kann. Wer will in dieses Gemengelage den ersten Stein werfen und dann noch mit so furchtbaren Folgen? Die Demokratie wird gefährdet, diese unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wankt. Da muss der Michel seine Zipfelmütze aufsetzen und, erschrocken über den linken Zeitgeist ohne Antwort auf die Fragen schlafen, schlafen, schlafen. Ganz nebenbei bemerkt, war niemals davon die Rede, dass das Leben so mirnix, dirnix bestrafen kann. Die korrekte Übersetzung aus dem Russischen lautet: Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.. Ein warnender Satz für alle Schlafmützen.

*** Nur die Michel, die sich beim Langschlafen unter einen großen Stein legen, werden nichts davon gehört haben, dass eine neue Abgabe für 20 Millionen gewerbliche PCs in Deutschland kommen soll. Sie soll ähnlich der GEZ-Gebühr eingezogen werden und den ach so bedürftigen Verlagen ausgezahlt werden, die mit Hilfe der Mövenpickpartei ein Leistungsschutzrecht ins Regierungsprogramm gestrickt haben. Denn angeblich kann man mit Journalismus im Internet kein Geld verdienen, nur verlieren. Die Leistung, für die Herr Keese vom Axel-Springer-Verlag Geld sehen will, besteht angeblich in der "Rangreihenfolge der Informationen", die die Verlage herstellen. Etwa dann, wenn sie ein Buch totschweigen, das sich mit dem Verschwinden der Medien als kritische Instanz beschäftigt. Die Debatte wird nicht besser, wenn sich ein Thinktank-Leiter zu Worte meldet und eine Google-Steuer fordert, der sich mit Legitimationsproblemen moderner Staaten beschäftigt (PDF). Geoff Mulgan veröffentlichte 1997 Connexity, in dem sich ein Plädoyer dafür findet, dass Zeitungen den Ausbau des "Information Highway" finanzieren sollten, im Interesse einer lebendigen Öffentlichkeit. Die Debatte wird sogar noch schlechter, wenn sich etwa der Netscape-Entwickler zu Worte meldet und den Zeitungen das Verbrennen der Boote empfiehlt, eine Strategie, die von einem der schlimmsten Menschenschlächter der Geschichte stammt, der drohenden Verrat fürchtete.

*** Gehen wir Journalisten jetzt alle mit der Sammelbüchse herum, erbarmungsklapprig um einen Heller bittend? Ich hoffe nicht. Selbstbewusste Leser auch dieser kleinen Wochenschau können das wunderbare Helferlein Adblock für diese Seiten aus der norddeutschen Tiefebene ausschalten und das wär's schon. Damit dieses Modell, ganz klassisch mit Fütterung durch Werbung, funktioniert, muss man freilich an die ebenso klassische Funktion des Journalismus glauben, den Fakten und nicht den Ärschen hinterherzukriechen. Das aber fällt zunehmend schwer. Die in dieser Hinsicht erschütternde Tiefendimension eines moralisch verkommenen und fachlich versagenden IT-Journalismus wird ausgerechnet in der unendlichen Geschichte demonstriert, in der über die SCO Group in einer Berufungsverhandlung (nach deutschem Recht, in USA ist es ein neues Verfahren) sehr unappetitliche Details bekannt werden. Da gibt es also IT-Journalisten, die auf Anweisung eines Pressesprechers die übelsten Geschichten produzieren und dafür "war pay" verlangen, gewissermaßen ein Kopfgeld für Behauptungen, dass Open Source am Ende ist. Die jede Woche ihre Notizen wegwerfen, damit die Schleimspur der Gefälligkeiten nicht auffällt. Der laufende Prozess beschäftigt die Geschworenen noch zwei Wochen, doch dieser Tiefpunkt dürfte schwer zu überbieten sein. Darum sei weider einmal Shakespeare angeführt, ganz wie in früheren Zeiten dieser Wochenschau, als noch Gewissheit herrschte, dass "unendlich" keine juristische Kategorie ist:

"Zeit ist bankrott und schuldet mehr dem Zufall, als sie wert ist."

Was wird.

Bleiben wir bei Shakespeare und seinem "Hütet euch vor den Iden des März", die Montagmorgen beginnen. Julius Cäsar hütete sich nicht – "den besseren Gründen müssen gute weichen". So man dies verallgemeinert, bleibt schon mal der Hinweis auf die Vorratsdatenspeicherbewegten, die zur nächsten Demo am 11. September aufrufen. Derweil machen sich die Daten breit und breiter. Glaubt man diesem Bericht der BBC, kommen Mobiltelefone auf den Markt, die genau prüfen können, ob die 1-Euro-Schipper und -Jobber wirklich den Schnee wegräumen oder nur eine Fluppe rauchen und über Hertha BSC lästern. Das alles wird möglich in einer bankrotten Zeit.

Nach einer Pressemitteilung der Telekom sieht es jedoch viel zickliger aus. Da hat sich in dieser Woche der Zukunftsforscher Ray Kurzweil die T-Gallery mit mehr als 120 Erlebnismomenten angesehen. Der Hoheprediger der Singularität traf auf René Obermann und seine T-Visionen. Entsprechend gehoben trabt die Sprache in der Pressemeldung herum. Nachhaltiges Design ist selbstverändlich? Von wegen: "Nachhaltigkeit im Design muss ein Selbstverständnis werden. So sind leicht abbaubare Materialien ebenso ein wichtiges Thema wie auch neue Kommunikationsmittel beispielsweise für Menschen mit Sehbehinderungen: Eine gut lesbare Schrift hilft in diesem Fall weiter. " Das beruhigt ungemein, zumal eine drastische Erweiterung von Telekom-Diensten bevorsteht und die Firma selbst ab Montag weiblicher werden soll. Spannend wie eine Sendung von Maybritt Illner ist das.

Ich wiederhole mich mit dem großen Barden und wünsche eine schöne Woche:

Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;
ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühn', und dann nicht mehr
Vernommen wird: ein Märchen ists's, erzählt
Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet. (jk)