re:publica: Sascha Lobos Realitätsschock – "Ihr seid nicht wütend genug!"
Die Welt ist aus den Fugen – doch in der Filterblase Europa wird es nicht bemerkt, meint Sascha Lobo. Wir seien nicht im 21. Jahrhundert angekommen.
Der Kolumnist Sascha Lobo hat auf der re:publica wie in den vergangenen Jahren heftige Kritik an den Netzbewohnern parat, die die politischen Beschwichtigungsversuche beim Klimaschutz über sich ergehen ließen: "Ihr seid nicht im Ansatz wütend genug für das, was gerade abläuft." Dafür bekam er im völlig überfüllten großen Saal der Netzkonferenz großen Applaus. In seinem Vortrag propagierte er sein demnächst erscheinendes Buch über den Realitätsschock.
Europa in der Filterblase
Für Sascha Lobo leben die Menschen in Europa insgesamt noch in einer Art Filterblase. Sie sind längst nicht im 21. Jahrhundert angekommen und ignorieren die Ergebnisse der Wissenschaft. Diese mahnt seit Jahren vor dem Klimakollaps oder weist empirisch nach, dass es ein ganzes Spektrum von Geschlechtern gibt. Schuld an der Filterblase haben Lobo zufolge vor allem die Politiker mit dümmlichen Aussagen über zwei Geschlechter oder Forderungen, Klimaschutz-Gelder in Indien und China zu investieren und die armen "Pendler" nicht mit einer CO2-Steuer zu belasten, die viele europäische Nachbarn längst eingeführt haben.
Gleich nach den Politikern kämen die Experten, besonders die sogenannten Wirtschaftsweisen, die laufend beschwichtigende Erklärungsmuster produzieren und laufend von eingetretenen Entwicklungen "überrascht" werden.
Nicht im 21. Jahrhundert angekommen
Auf einer tieferen Ebene verwies Lobo darauf, dass die Menschheit in ihrer Entwicklung verzögert reagiert. Er verwies dabei auf den britischen Historiker Eric Hobsbawm und seine Forschungen vom langen 19. Jahrhundert, das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges andauerte. In diesem Sinne sind für Lobo die Menschen noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen, auch nicht die digital Natives, die sich auf der re:publica versammeln und feiern.
Das 21. Jahrhundert werde vom Klimakollaps geprägt sein, den man in Europa nach Kräften ignoriere. Dies zeige die größte neuzeitliche Naturkatastrophe mit dem Hitzesommer 2003 mit 70.000 Toten in Europa. Auf der positiven Seite gebe es jedoch den Zusammenschluss der Klimaforscher mit der Jugend von "Fridays for Future". Lobo stellte den Zuhörern die Aktivistin Greta Thunberg als großes Vorbild vor.
Sein Buch zum Realitätsschock soll am 12. September kurz vor der Frankfurter Buchmesse erscheinen. In Berlin kündigte er an, alle Exemplare signieren zu wollen. Als Vorbild für seinen Ansatz nannte Lobo das Buch "Die Metamorphose der Welt", in dem sich der Soziologe Ulrich Beck mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigte. (mho)