Die Woche: Zur Offenheit gezwungen

Microsofts Offenlegung der Windows-Schnittstellen und -Spezifikationen kann man kaum einem freiwilligen Sinneswandel des Software-Riesen zuschreiben. Die EU-Wettbewerbskommission hat an der neuen Offenheit der Redmonder einen nicht unerheblichen Anteil.

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Lange Jahre hütete Microsoft die Windows-Protokolle wie einen Staatsschatz. Wer Details über SMB, Active Directory oder diverse Kerberos-Erweiterungen erfahren wollte, musste dafür viel Geld bezahlen. Doch vor einer Woche machte Microsoft eine volle Kehrtwende und legte etliche Protokolle auf einen Schlag für jedermann einsehbar offen – zum Nulltarif. Was war passiert, hat Microsoft vielleicht inzwischen so viel Geld, dass sie keins mehr gebrauchen können?

Umgekehrt wird ein Schuh daraus, denn langfristig würde eine Weiterführung der bisherigen Geschäftspraxis Microsoft ziemlich teuer zu stehen kommen. Der Haken ist die EU-Wettbewerbskommission, die mit Microsofts Praktiken in vielen Bereichen gar nicht einverstanden ist und seit Mitte 2000 verschiedene Wettbewerbsverfahren gegen Microsoft eingeleitet hat. Heraus kam im März 2004 ein erstes Rekord-Bußgeld von fast einer halben Milliarde Euro. Zudem verpflichtete die EU-Kommission Microsoft, binnen 120 Tagen diverse Client-Server-Spezifikationen offenzulegen – ein Novum.

Dieser Verpflichtung kam Microsoft jedoch nicht zur Zufriedenheit der EU-Kommissare nach und handelte sich Mitte 2006 erneut ein Bußgeld ein, diesmal über fast 300 Millionen Euro – das entspricht einem Bußgeld von rund 1,5 Millionen Euro für jeden Werktag, an dem Microsoft den Auflagen der Kommission nicht nachkam. Die Kommissare drohten Microsoft an, diesen Betrag ab August 2006 zu verdoppeln.

Mit der Offenlegung der Schnittstellen am 21. Februar verbindet Microsoft vor allem die Hoffnung, den Streit mit den EU-Wettbewerbshütern endlich beilegen zu können. Jedoch nicht, ohne noch mindestens einmal zur Ader gelassen zu werden: Eine knappe Woche später verhängte die EU-Kommission wegen ungerechtfertigter Lizenzgebühren für eben solche technische Informationen, die Microsoft bis Oktober 2007 seinen Mitbewerbern abknöpfte, eine Strafe von fast 900 Millionen Euro.

Damit musste Microsoft bereits Strafgelder von über 1,68 Milliarden Euro (2,32 Mrd. US-Dollar) bezahlen. Ob für den Zeitraum von August 2006 bis Februar 2008 noch die angekündigte erhöhte Geldstrafe für die Nicht-Offenlegung der Schnittstelleninformationen hinzu kommt, ist noch unklar – das wären dann weitere 300 bis 400 Millionen Euro.

Die Daumenschrauben der EU-Kommission haben also Wirkung gezeigt, Microsoft fügt sich letztlich doch. Jedoch nicht, ohne diesen Schritt noch PR-technisch auszuschlachten und von einer neuen Offenheit zu sprechen – auch wenn sie letztlich durch die EU erzwungen wurde.

Für den europäischen Endverbraucher hat das Verfahren gleich mehrere Vorteile: Einmal kommt viel Geld in den EU-Haushalt, das nun der Steuerzahler nicht aufbringen muss. Außerdem brauchen Software-Entwickler nicht mehr mehrere zehntausend Euro auf den Tisch zu legen, um Details über Microsoft-eigene Protokolle zu bekommen. Allerdings stehen hinter etlichen Protokollen auch diverse Patente von Microsoft, die keineswegs Freiwild sind – wer sie kommerziell nutzen will, muss an Redmond einen gewissen Obolus pro verkaufter Software oder Gerät zahlen.

Und so funktioniert Microsofts Gelddruckmaschine auch weiterhin: Je mehr Konkurrenten Microsofts Protokolle implementieren und kommerziell nutzen, wozu Microsoft mit der Offenlegung ja förmlich einlädt, desto mehr Gewinn macht Microsoft letztlich mit der Lizensierung seiner (Software-)Patenten – und genau deren Durchsetzung will die EU am liebsten schon morgen auch in Europa ermöglichen. (mid) (mid)