Oracle vs. Google: Wann fällt eine API-Nutzung unter Fair Use?

Eine weitere Entscheidung im Fall Google gegen Oracle ist gefallen und eine Berufung bereits angekündigt. Gelegenheit, einen Blick auf die Fair-Use-Regelung zu werfen.

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Oracle vs. Google - Wann fällt eine API-Nutzung unter Fair Use?
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Dennis Jansen
Inhaltsverzeichnis

Nach dem erstinstanzlichen Urteil im Jahr 2012, der Entscheidung in zweiter Instanz aus dem Jahr 2014 sowie der Nichtannahmeentscheidung des höchsten US-amerikanischen Bundesgerichts aus dem Jahr 2015 lag das Verfahren Oracle gegen Google nun erneut dem Gericht der ersten Instanz vor. Es sollte darüber urteilen, ob es sich bei der Nutzung der Java-Schnittstellen durch Google im Android-Betriebssystem um Fair Use handelte.

Das nun gefällte Urteil sieht Google im Recht und ist aus rechtlichen wie aus wirtschaftlichen Gründen von größtem Interesse. Zwar hat Oracle bereits angekündigt, in Berufung zu gehen, eine gewisse Signalwirkung ist der Entscheidung aber nicht abzusprechen. Immerhin musste das Gericht unter Richter Alsup eine Rechtsprechung auf die Umstände moderner Softwareentwicklung anwenden, die maßgeblich von künstlerischen Werken geprägt wurde.

Klassische Beispielfälle für Fair Use sind Zitate und Parodien. Letztere verfolgen häufig kommerzielle Ziele, schaden allerdings selten dem Markt für das Ursprungswerk. Doch selbst in klaren Fair-Use-Fällen lizenziert der Nachfolger das Ursprungswerk oft, da die US-amerikanischen Gerichtsverfahren teuer und aufwendig sind. Lizenzgebühren sind daher günstiger, anders als in Deutschland. Zudem lässt sich eine Entscheidung gerade im Fall von Fair Use kaum vorhersehen, da die Rechtsprechung uneinheitlich ist. Selbst die Frage, ob die Jury oder das Gericht das Vorliegen von Fair Use beurteilen, ist umstritten (vgl. Capitol Records et al. v. Alaujan (Sony BMG v. Tenenbaum), no. 03cv11661-NG, order from July 14th 2009).

Beim Rechtsinstitut Fair Use, das etwa den Schrankenbestimmungen des deutschen Rechts entspricht, sind nach dem US Copyright Act vier Faktoren von zentraler Bedeutung. Anhand dieser muss der Nutzer (Google) belegen, dass seine Nutzung des Ursprungswerks (Java-API) beim Erstellen des neuen Werks (Dalvik-API) durch den Grundsatz des Fair Use gerechtfertigt ist.

Eine detailliertere Erläuterung der Faktoren gibt Anwalt Rich Stim, während die Model Civil Jury Instructions des Ninth Circuit und die Instruktionen (PDF) von Richter Alsup in diesem Fall einen spannenden Einblick in die Sicht der Jury gewähren.

Eine kommerzielle Nutzung spricht gegen Fair Use, der nicht kommerzielle Einsatz für Wissenschafts- oder Bildungszwecke deutet hingegen auf eine entsprechende Nutzung hin. Für Oracle spricht bei diesem Faktor, dass Google die Dalvik-VM von Android für kommerzielle Zwecke nutzt. Google könnte sich darauf berufen, dass der Quellcode von Dalvik unter einer nichtkommerziellen Lizenz (Apache 2.0) steht. Das Unternehmen verdient also mit der Lizenzierung von Dalvik kein Geld.

Die Art des Ursprungswerks und die Form der Übernahme seiner Teile bilden den zweiten Faktor. Werden Teile rein funktioneller Werke übernommen, liegt eher Fair Use vor als bei der Übernahme aus kreativen Werken. Wurde das Ursprungswerk transformiert, ihm etwa eine neue Bedeutung oder ein anderer Ausdruck gegeben oder wurde es durch neue Informationen, eine neue Ästhetik oder neue Einsichten veredelt, so deutet das auf einen Fall von Fair Use hin.

Für Google spricht, dass es sich bei Java um ein funktionelles Werk handelt. Zudem wurde Java durchaus transformiert, da das Unternehmen zu den 37 übernommenen Paketen 168 eigene API-Pakete entwickelt und die Umgebung an mobile Anforderungen angepasst hat. Oracle kann allerdings darauf verweisen, dass Java bereits zuvor in mobilen Umgebungen genutzt wurde und eine für mobile Anforderungen angepasste Version existierte. Google hat zwar unter zehn Prozent, aber doch erhebliche Teile im selben Zusammenhang übernommen.

Umfang und Bedeutung des verwendeten Teils im Verhältnis zum gesamten Ursprungswerk machen den dritten Faktor der Fair-Use-Regelung aus. Wenn große Teile oder die "Essenz" eines Werkes übernommen werden, spricht das gegen eine durch Fair Use gerechtfertigte Nutzung.

So gesehen hat Google einen Teil von einem Teil von Java übernommen: Das Unternehmen machte sich 37 von 209 Pakete einer Programmierschnittstelle (API) zu eigen, die nur einen Teil von Java ausmacht. Man könnte auch behaupten, wenn nur eine API übernommen wird spreche dies regelmäßig für Fair Use. So ließen sich fast vollständige 1:1-Duplikate einer Schnittstelle mit anderer Implementierung, etwa WINE oder ReactOS, ohne Einverständnis des Urhebers des Ursprungswerks über Fair Use leichter rechtfertigen.

Allerdings spricht für Oracle, dass die API gerade ein Teil der Essenz von Java ist. Die API ist von zentraler Bedeutung für die Nutzung der Sprache. Google hat gerade die Elemente übernommen, die besonderen Wiedererkennungswert haben. Das ist damit vergleichbar, das Aussehen der zentralen Charaktere einer Fernsehserie im Wesentlichen zu übernehmen.

Der vierte Faktor umfasst die Auswirkungen der Nutzung des Werks auf die Verwertung des geschützten Ursprungswerks. Hat der Autor des Ursprungswerks durch das neue Werk einen wirtschaftlichen Schaden erlitten, spricht das gegen Fair Use. Davon geht man aus, wenn das neue Werk das Ursprungswerk auf dem Markt ersetzt, bedroht oder es anderweitig den Markt für das Ursprungswerk beeinträchtigt: Wer eine vollständige Kopie herstellt und damit das Ursprungswerk vom Markt verdrängt, kann sich regelmäßig nicht auf Fair Use berufen. Schafft das neue Werk jedoch einen gänzlich neuen Markt oder hat im Ergebnis eine neutrale Wirkung auf den Markt des Ursprungswerks, sprechen die Umstände nicht gegen Fair Use. Dieser Faktor ist besonders wichtig, da das Urheberrecht absichern soll, dass der Urheber den wirtschaftlichen Nutzen aus seinem Werk ziehen kann. Dazu gehört grundsätzlich, an abgeleiteten Werken mitzuverdienen.

Für Oracle spricht, dass das Unternehmen wegen Android vermutlich Lizenzeinbußen hatte. Denn Entwickler werden eine in wichtigen Punkten kompatible API, die kostenfrei zur Verfügung steht und an mobile Zwecke angepasst ist, einer gebührenpflichtigen oft vorziehen.

Dem entgegen steht, dass Oracle auch ohne Android einen Rückgang der Lizenzeinnahmen erwartete. Der Erfolg von Android beruhte vermutlich maßgeblich auf anderen Faktoren als der API, war also nicht die Kehrseite möglicher Lizenzeinbußen bei Oracle. Es scheint eher unwahrscheinlich, dass Oracle – hätte es Android nie gegeben – einen mit dem von Google vergleichbaren Erfolg mit Smartphones gehabt hätte. Android war zudem eine Weiterentwicklung und gerade keine vollständig mit Java kompatible Umgebung. So konnte Android den Markt für Java insgesamt kaum angreifen. Selbst der Markt für Smartphones hatte vermutlich nur eine begrenzte Übereinstimmung.

Ein fünfter Faktor könnte berücksichtigen, ob die Übernahme in dem gewählten Umfang erforderlich war, um ein angemessenes Maß an Interoperabilität zu einer anderen Software herzustellen. Gerichte sind nicht darauf beschränkt, die vier von der Rechtsprechung entwickelten und in Gesetze gegossenen Faktoren zu berücksichtigen. Denn der Copyright Act sollte die bisherige Rechtsprechung nicht ersetzen, sondern nur kodifizieren. Die Möglichkeit, die Anforderungen der Interoperabilität zu berücksichtigen, hatte das Gericht zweiter Instanz daher ausdrücklich offengelassen. Gemäß Richter Alsup sollte die Jury berücksichtigen, ob eine Entscheidung für Fair Use "den Fortschritt der Wissenschaft und der nützlichen Künste" fördern würde.

Dieser Faktor spricht am stärksten für Google, da bei APIs Interoperabilität – wie bei Benutzeroberflächen und Datenformaten – besonders wichtig ist. Allerdings handelt es sich dabei weitgehend um juristisches Neuland. Wie wichtig Interoperabilität ist und in welchem Umfang es die Übernahme eines Werkteils rechtfertigt, ist in den USA weitgehend ungeklärt.

Je stärker sich APIs ähneln, desto weniger müssen Entwickler bei ihrem Einsatz neu lernen. Die Wirkungen einer API sind äquivalent zu denen einer Benutzeroberfläche (UI): Nur wenn ausreichend geeignete Entwickler (Anwender) zur Verfügung stehen, kann eine API (UI) Erfolg haben. Die Zahl der geeigneten Entwickler (Anwender) sinkt für APIs (UIs), die sich ohne ausreichende Vorzüge zu stark von anderen unterscheiden. In dem Fall können Entwickler weniger bisherige Kenntnisse übertragen, weshalb sie sich im Zweifel für eine ähnliche API entscheiden.

Je geringer die Anforderungen an eine (Fair-Use-)Nutzung von Schnittstellen, desto leichter wird es sein, Interoperabilität herzustellen und desto mehr Wettbewerb entsteht. Eine klare Entscheidung für Oracle in der nächsten Instanz wäre folglich nachteilig für Software, die Interoperabilität zu anderer Software herstellen soll, und den Wettbewerb zwischen Softwareprodukten. Das durch das Urheberrecht gewährte Monopol würde folglich ausgedehnt und die Endkundenpreise für Software dürften steigen.

Es könnte in einem ganz anderen Umfang erforderlich werden, Schnittstellen zu lizenzieren. Die Preise für Lizenzen hängen in den USA auch maßgeblich davon ab, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Gericht eine Nutzung als Fair Use betrachten wird, der Nutzer folglich nichts zahlen müsste. Je wahrscheinlicher ein Fair Use ist, desto geringer die Lizenzgebühr. Dieser "Fair-Use-Rabatt" auf die Lizenzzahlung ist in der Praxis eine der wichtigsten Folgen desRechtsinstituts des Fair Use. Denn wenige sind bereit, einen Prozess zu riskieren, wie ihn Oracle gegen Google führt, und die wenigsten hätten das Geld, ihn zu Ende zu bringen.

Besonders betroffen von einem Urteil zu Oracles Gunsten wäre freie und Open Source Software, da es in den USA deutlich schwieriger würde, kostenfrei und quelloffen Schnittstellen-Interoperabilität herzustellen. Entwickler müssten sicherheitshalber häufig eine Lizenz beim Urheber der Ursprungssoftware einholen. Als solide Grundlage für ein Open-Source-Projekt sollte diese Lizenz territorial wie zeitlich unbeschränkt und kostenfrei sein. Eine solche Lizenz wird kein Urheber gern vergeben, erst recht nicht an einen potenziellen zukünftigen Konkurrenten.

Selbst bei einer Entscheidung mit geringen Hürden für Fair Use bei APIs ist die Lage schwierig. Denn das Bewusstsein für den Schutz von Anwendungsschnittstellen ist geschaffen. Das Geld für ein teures US-Gerichtsverfahren (Google machte bereits in erster Instanz vier Millionen US-Dollar geltend) wird den meisten fehlen. Hinzu kommt, dass auch derjenige, der vor Gericht siegt, regelmäßig seine Anwaltskosten zu tragen hat. Daher kann die Bedeutung der Interoperabilität und des Fair Use für freie Software nicht zu stark betont werden.

In jedem Fall droht die Rechtslage in den USA von der in Europa wegzudriften. Nur eine großzügige Fair-Use-Ausnahme zum Herstellen von Interoperabilität scheint kompatibel mit dem Grundgedanken der EuGH-Entscheidung SAS Institute./. World Programming Ltd.

Ein Ende des Prozesses ist auch nach dem jüngsten Urteil nicht in Sicht. Oracle wird das Ergebnis nach ersten Stellungnahmen sicherlich wieder vor dem Court of Appeals anfechten und der dort Unterlegene anschließend den Supreme Court anrufen. Besser wäre es möglicherweise, wenn der Gesetzgeber tätig würde, um weiteren Jahren der Unsicherheit vorzubeugen.

Dennis G. Jansen
ist Mitglied des Instituts für Rechtsfragen der freien und Open Source Software. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich des IT-Rechts und des geistigen Eigentums in Deutschland und den USA.
(jul)