Texteditoren im Retro-Look

Ein blinkender Block-Cursor in Grün, gleich fließt der erste Satz aus den Tasten. Lange vor WYSIWYG und Ribbon-Menüs textete es sich viel schöner, oder?

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Texteditoren im Retro-Look
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Stefan Wischner
Inhaltsverzeichnis

Neulich hatte ich Gelegenheit, mich vor einen alten originalen IBM PC 5150 zu setzen. Der Anblick des wuchtigen und schon leicht vergilbten Gehäuses, das satte "Klonk" des Hauptschalters, das hektische Sägen des Diskettenlaufwerks. Plötzlich war ich wieder 20 und tippte meine erste Bewerbung mit WordStar in einen Computer.

Den Job bekam ich damals nicht; die Personalchefs der 1980er waren wohl nicht fortschrittlich genug für nadelgedruckte Anschreiben auf Endlospapier. Aber rückblickend war das ein ganz besonderes Gefühl: Die Buchstaben in kräftigem Grün auf dunklem Hintergrund, das metallische Klacken der schweren Tastatur; ich fühlte mich professionell und unglaublich kreativ zugleich, ich hätte gleich mehrere Romane runterschreiben können. Also theoretisch.

Aber Moment! Schreiben ist doch längst mein Beruf geworden. Warum nicht mal einen c’t-Artikel ganz im alten Geist und Gefühl in Wordstar tippen? So wie George R.R. Martin es damals gemacht haben soll, als er sein Epos von Drachen, Wildlingen und den Kampf um einen Thron schrieb, die Annehmlichkeiten von Windows, macOS und Word bewusst verschmähend.

Ich machs kurz: Ich kam nicht sehr weit. Wordstar 3.4 startete zwar problemlos von einer fast 40 Jahre alten Diskette und ich erinnerte mich sogar an ein paar ganz wenige der kryptischen Tastenkombinationen. Ja, es fühlt sich genauso an wie damals. Aber ganz schnell zerrten die unglaublich umständliche Bedienung und die gummiartige Trägheit an meinen Nerven.

WordStar läuft problemlos in der DOSBox und fühlt sich auch an wie damals. Der Spaß hält sich aber in Grenzen.

Und das eigentliche Problem würde erst noch kommen: Zeitgenössische Textprogramme sichern Dateien nämlich in ihrem jeweils ganz eigenen Format. Und zwar auf Diskette, blöderweise auch noch im 5,25-Zoll-Format, deren Inhalt ich nur mit großen Verrenkungen auf einen modernen PC bekäme. Das müsste ich nämlich, weil unsere Schlussredaktion und die DTP-Abteilung von besagter Diskette ebenso begeistert wären wie von einem Papierausdruck. Ich frage mich ernsthaft, wie George R.R. Martin das seinerzeit mit seinem Verleger auf die Reihe bekommen hat.

Selbst dann, wenn ich keinen alten PC, sondern ein DOS-Programm in einer virtuellen Maschine nutzen würde, bliebe mir zwar die Diskette erspart, nicht aber das inkompatible Dateiformat. Nur ganz wenige Textprogramme (etwa Euroscript) boten damals einen optionalen Reintext-Export, dann aber als DOS-ASCII-Dateien. Damit auch Umlaute und Sonderzeichen erhalten bleiben, müssten diese erst in ANSI konvertiert werden, was zum Beispiel immerhin Microsoft Word ganz gut hinbekommt. Das bis für Office 2007 angebotene Kompatibilitätspack, das auch originäre Dateien von DOS-Word oder WordStar importieren konnte, hat Microsoft jedoch längst von den Downloadseiten entfernt; es liefe in den aktuellen Office-Versionen ohnehin nicht mehr.

Nein, das Herumtippen in einer alten DOS-Textverarbeitung mag für kurze Zeit ein wohliges Gefühl verklärter Retro-Romantik schaffen, ist aber definitiv nicht mehr praktikabel.

Das gilt aber nur für die Software von damals. Wer sich gar nicht zu den angestaubten Textprogrammen zurücksehnt, sondern nur gerne die klare, strukturierte Darstellung der grünen Zeichen auf dunklem Hintergrund zurück hätte, ganz ohne Menüs, Symbole, Scrollbalken und sonstigem ablenkenden Gedöns, dem kann geholfen werden. Und zwar auf einem zeitgemäßen Rechner, ganz ohne Dateiformat- oder Transferprobleme.

Distraction Free Writing nennt sich das ganz modern; passende Editoren für aktuelle Betriebssysteme gibt es zuhauf. Und die helle Schrift auf dunklem Hintergrund ist auch schwer angesagt. Dieser sogenannte Dark Mode wird von vielen Programmen geboten.

Ein Editor wie FocusWriter mit passenden Fonts und Farben kitzelt den Retro-Nerv, passt aber auch in moderne Workflows.

Was man braucht, ist ein Distraction Free Editor, der es erlaubt, die Darstellung so anzupassen, dass sie dem Look eines Textprogramms aus den 1980ern möglichst nahekommt. Gut eignet sich der kostenlose FocusWriter.

Als Erstes gilt es, den Editor auf die richtigen Farben einzustellen. Das geht in FocusWriter problemlos unter Einstellungen/Designs. Also den Fensterhintergrund auf Schwarz und die Textfarbe auf ein gefälliges Grün oder Orange (wenn man die Bernstein-Monitore lieber mochte) setzen – fertig. Schon ganz nett, aber ein bisschen mehr Retro geht noch. Nicht irgendwie Grün oder Orange, ein authentischer Farbton muss her.

c't RETRO 2020
Texteditoren im Retro-Look

Dieser Artikel stammt aus c't-RETRO. In der Spezialausgabe der c't werfen wir einen Blick zurück auf die ersten IBM-PCs und beleuchten den Siegeszug von Windows. Sie finden darin Praxis, Tests und Storys rund um Technik-Klassiker. Wir erinnern an Karl Klammer, stellen einen neuzeitlichen IBM-XT-Nachbau fürs Vintage-Computing vor und erläutern, wie Sie Daten von verkratzten CDs und Uralt-Festplatten retten können. c't RETRO ist ab sofort im Heise Shop und am gut sortierten Zeitschriftenkiosk erhältlich.

Die meisten Grünmonitore von damals nutzen Phosphorbeschichtungen vom Typ P1, der eine Lichtwellenlänge von 524 Nanometer produziert. Im Internet finden sich mehrere unterschiedliche Umrechnungsformeln, die aus der Wellenlänge die RGB-Farben berechnen. Ihre Ergebnisse weichen allerdings leicht voneinander ab. Gut erscheint mir das Grün mit den RGB-Werten 51,255,0 (#33FF00). Für Monitore in Amber (Bernstein), die zumeist P3-Phosphor verwendeten (600 nm), kommen die RGB-Werte 255,176,0 (#FFB000) ganz gut hin. Der Hintergrund der Monitore war zudem nicht ganz schwarz, sondern eher dunkelgrau, etwa 40,40,40 (#282828).

Das Ergebnis ist trotz wissenschaftlichem Ansatz nur eine Annäherung. Die Werte berücksichtigen nämlich weder die Helligkeitseinstellung des Bildschirms, der auch die Farben leicht verändert, noch den Alterungseffekt der Beschichtung.

Was jetzt noch so gar nicht passt, ist die moderne Schrift. Vor der Einführung von Windows liefen die meisten Anwendungen auf PCs und Terminals ausschließlich im Textmodus mit einem festen Zeichenraster von üblicherweise 24 oder 25 Textzeilen zu je 80 Zeichen. Dadurch belegt jeder Buchstabe dieselbe Breite. In grafischen Bedienoberflächen werden hingegen vornehmlich Proportionalschriften mit variabler Zeichenbreite genutzt.

Windows enthält zwar auch ein paar nicht proportionale Fonts, zum Beispiel das an Schreibmaschinen angelehnte Courier New. Nach antikem Computerbildschirm sehen die aber nicht aus, dazu sind sie schon zu hoch aufgelöst. Vor der Einführung grafischer Benutzeroberflächen mussten PCs mit den im BIOS oder Grafikkarten-ROM fest verankerten Fonts auskommen, die sich im Design von Hersteller zu Hersteller leicht unterscheiden. Sie bestehen aus einem festen Raster mit zum Beispiel 8 × 8, 9 × 14 oder 9 × 16 Punkten.

Ein Enthusiast, der sich VileR nennt, hat sich die Mühe gemacht, viele dieser zeitgenössischen Rasterschriften nachzubilden und stellt sie auf seiner Webseite als kostenlose Fontpacks zum Download zur Verfügung. Nicht alle sehen in allen Größen und Auflösungen gut aus, ein wenig Herumprobieren ist nötig.

Will man sich um der alten Zeiten willen auch die Beschränkung auf 25 Zeilen zu je 80 Zeichen antun, muss man die Schriften und Zeilenabstände noch entsprechend groß machen. Große Ränder an den Seiten erzeugen das 4:3-Format für den Textbereich. In FocusWriter stellt man dessen Breite in Pixel ein. Um den passenden Wert zu ermitteln, ist eine Textzeile mit 80 Zeichen zum Abmessen hilfreich.

Ich finde allerdings, dass es für das Retrogefühl nicht unbedingt sein muss, den sichtbaren Text so stark zu begrenzen und dabei die Schriften unnötig pixelig zu machen. Die niedrige Auflösung der Grafikkarten und Bildschirme störte damals weniger, weil man es einerseits nicht besser kannte und andererseits die Bildschirme so schlecht waren, dass Schriften nicht so pixelig wirkten wie auf einem knackscharfen modernen Flachbildschirm.

Wenn man es so richtig Retro will, müsste man einen alten Monitor nutzen, was schon an den Anschlussmöglichkeiten zeitgemäßer Grafikkarten scheitern dürfte. Nur dann käme man nämlich in den – wie ich finde eher zweifelhaften – Genuss der damaligen technisch bedingten Nebeneffekte. Dazu gehören die starke Krümmung der Bildschirmoberfläche, das Nachleuchten beim Scrollen, die Unschärfe, das Flimmern und die horizontalen Lücken in den Zeichen durch die Zeilen der Bildröhre (Scanlines).

Wie schlecht die Darstellung alter Monitore wirklich war, zeigt die Röhren-Simulation in Cool-Retro-Term für Linux. Nur für leidensfähige Retro-Fans.

All das lässt sich auf modernen Monitoren nur mit Softwarefiltern mühsam nachbilden. Manche Emulatoren für historische Spiele, zum Beispiel in der speziellen Linux-Distribution RetroPie für den Raspberry Pi, enthalten tatsächlich solche Filter, um zum Beispiel den ausgeprägten Scanline-Effekt alter Röhrenfernseher zu simulieren.

Für Windows konnte ich keinen entsprechenden systemweit wirkenden Filter finden, auch keinen Texteditor mit entsprechenden Optionen. Einen solchen gibt es allerdings für Mac-Nutzer: Der Freeware-Editor Blinky bietet zwar nur sehr grundlegende Textfunktionen, dafür aber jede Menge Retro-Look. Es gibt unzählige Regler, um die Bildschirmkrümmung, das Flimmern, die Scanlines und sogar die Einbrenneffekte eines Monitors aus den 1980ern zu simulieren.

Linuxer, die eine ähnliche Nachbildung antiker Bildschirme möchten, wenn sie Konsolenbefehle eintippen, werden im Terminal-Ersatz Cool-Retro-Term fündig. Das ist zwar kein Texteditor im eigentlichen Sinn, aber startet man darin Editoren wie nano oder vim, bleibt der Retro-Look erhalten. Die zahlreichen Einstellmöglichkeiten übertreffen die von Blinky für den Mac sogar noch. Zieht man alle Register, ist die Illusion perfekt. Hinzu kommt eine Auswahl von Bildschirmschriften, die zum Beispiel denen des Apple II, IBM PC oder Commodore PET nachempfunden sind.

Auch im aktuellen, auf GitHub verfügbaren Windows-Terminal lässt sich ein Retro-Effekt einstellen.

Ziemlich Retro ist auch eine versteckte Einstellung in der aktuellen Version des Windows-Terminal, die via GitHub zur Verfügung steht. In der Profildatei ist lediglich die Zeile "experimental.retroTerminalEffect": true einzufügen. Das Kommandozeilenfenster erstrahlt dann in altertümlichem grün-schwarz mit deutlichen Scanlines und Randunschärfen bei den einzelnen Zeichen. Üppige Einstellmöglichkeiten wie beim Linux-Tool fehlen aber.

Texte heute auf einem alten Rechner oder in einem Emulator mit WordStar oder Word für DOS zu tippen, macht nicht wirklich Spaß. Am Ende stehen zudem Dateien, mit deren Format niemand etwas anfangen kann.

Den konzentrationsfördernden Look mit hellem Text auf dunklem Hintergrund bekommt man auch mit modernem Schreibwerkzeug hin – für die Retro-Romantik gegebenenfalls mit passenden Farben und Schriften. Ich jedenfalls finde, das fühlt sich richtig gut an und werde meine nächsten Artikel mit FocusWriter in Grün-Schwarz schreiben. Oder vielleicht auch einen Roman mit Drachen. (swi)