45Plus: Erfahrener Mitarbeiter als Lösung für den Fachkräftemangel

Es gibt eine Lösung für den Fachkräftemangel, sagt Managementtrainer und Betriebswirt Karl Heinz Lorenz: Die Wirtschaft müsse sich nur vom Jugendwahn verabschieden. Und sensibel reagieren, wenn "alte Hasen" und Jungmanager im Betrieb aufeinander treffen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Kaum scheint die Wirtschaftskrise halbwegs überwunden, herrscht in Deutschland wieder akuter Fachkräftemangel. Laut einer aktuellen Umfrage des DIHK haben bis zu 70 Prozent der Firmen bereits Probleme, passende Fachkräfte für ihre offenen Stellen zu finden. Ein Nebeneffekt: Die Wirtschaft verabschiedet sich in ihrer Not allmählich vom Jugendwahn und holt sich wieder ältere Mitarbeiter an Bord. Was dabei vielerorts unterschätzt wird, ist allerdings das Konfliktpotential, das entsteht, wenn "alte Hasen" von Jungmanagern geführt werden.

In der aktuellen Entwicklung steht die Wirtschaft erneut vor einem altbekannten Problem: Akuter Fachkräftemangel bremst das Wachstum. Wie eine aktuelle Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) ergab, können nur 30 Prozent der 1.600 befragten Betriebe offene Stellen problemlos besetzen. Dazu DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann: "Nach der Krise ist vor dem Fachkräftemangel".

Eine Trendwende ist nicht in Sicht – ganz im Gegenteil: 49 Prozent der Befragten erwarten auch für die kommenden fünf Jahre in ihrem Unternehmen einen Mangel an hochqualifizierten Fachkräften; 43 Prozent rechnen mit Engpässen über alle Berufsgruppen hinweg. Besonders betroffen ist mal wieder der IT-Sektor, wo selbst Quereinsteiger verzweifelt gesucht werden.

Karl Heinz Lorenz, Diplom-Betriebswirt und Coach

Einen erfreulichen Nebeneffekt hat der Mangel an Fachkräften für die Generation 45Plus: Wer über 40 war, galt lange Jahre als nicht mehr vermittelbar. Die sich insgesamt verändernde Altersstruktur in der Gesellschaft und damit natürlich auch in den Unternehmen hat nun aber zur Folge, dass diese Experten wieder gefragt sind, weiß Karl Heinz Lorenz, Betriebswirt und Managementtrainer: "Während im Jugendwahn vergangener Jahrzehnte viele qualifizierte Mitarbeiter frühzeitig in die Rente komplementiert wurden, erkennen heute die Unternehmensplaner diese wertvolle Ressource neu". Allerdings birgt diese Entwicklung in der Praxis durchaus auch Konfliktpotential: Zunehmend führen nun oftmals jüngere Manager ältere Mitarbeiter und Führungskräfte in ihren Arbeitsteams. "Doch wie geht das? Gibt es Unterschiede in der Führungsarbeit und welche Konzepte und Methoden taugen?", mit diesen Fragen, so Karl Heinz Lorenz, müssten sich die Firmen nun auseinandersetzen, damit die Zusammenarbeit auch bei "vertauschten Rollen" gelingt.

Erfahrene, ältere Mitarbeiter lassen sich mit ihren jeweiligen Fähigkeiten sehr viel besser in den Arbeitsprozess integrieren und motivieren, als junge Anfänger. Ihre ausgereiften Kompetenzen und reichhaltigen Erfahrungen sind eine Bereicherung für jedes Unternehmen. Sehen sich die erfahrenen Experten aber plötzlich einem deutlich jüngeren Kollegen oder gar Vorgesetzten gegenüber, prallen oft auch zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein können: "Anstelle die besonderen Stärken des anderen als komplettierende Ergänzung zu sehen, werden teilweise schablonenhafte Klischees gepflegt und als Argumentation gegen die jeweils andere Seite verwendet", weiß Karl Heinz Lorenz aus seiner Praxis zu berichten. "Jung, dynamisch und nass hinter den Ohren", "Alt, grau und hat nix mehr drauf!" – die Liste ist beliebig lang. Im schlimmsten Fall ziehen sich alle Beteiligten in die von eben diesen Klischees geschützten Schneckenhäuser zurück, eine erfolgreiche und produktive Zusammenarbeit ist kaum noch möglich.

Natürlich gibt es Fälle, in denen sich der "alte Hase" dem jungen Manager deutlich überlegen fühlt und ihn mit seiner Erfahrung bewusst "auflaufen lassen" will. Oder der junge Kollege will sich von dem älteren nichts vorschreiben lassen und ihm zeigen, dass er "zum alten Eisen" gehört.

Meistens sind es aber nicht so bewusst geschürte Konflikte, die zu Verstimmungen führen, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Mensch sich und sein Umfeld in jedem Alter anders wahrnimmt und einschätzt, erklärt Karl Heinz Lorenz. "Während Mittdreißiger vehement Anerkennung und Erfolge anstreben, wird der Motor von Mittvierzigern eher gespeist von Autonomiebestrebungen und mehr Verantwortungsbewusstsein über den engen Arbeitsalltag hinaus. Der typische Mittfünfziger arrangiert sich zunehmend mit dem bereits Erreichten, lernt sich mit – im Durchschnitt – nachlassenden physischen Fähigkeiten abzufinden, ist dem oft harten Wettbewerb mit Jüngeren ausgeliefert und braucht schlicht ganz andere Inhalte für die Eigen- oder Fremdmotivation."

Führungskräften, die von solchen Konflikten betroffene Mitarbeiter und Manager führen sollen, reicht das herkömmlich vermittelte Handwerkszeug nicht aus. Welche Methoden und Inhalte helfen also konkret? Nachfolgend einige Tipps und Gedankenanregungen des Managementtrainers Lorenz.

"Mitarbeiter über fünfzig sind sich der Restdauer ihrer Arbeitszeit sehr bewusst. Auch der noch verbliebenen Karrierechancen und Handlungsmöglichkeiten und – das ist sehr wichtig – ihrer eigenen, über das bisherige Arbeitsleben gesammelten Kompetenzen." Oft würden sich da die Fragen stellen: Was passiert mit diesen Erfahrungen? Was wird bleiben? Die Antwort kann der Arbeitgeber durchaus geben, meint Karl Heinz Lorenz: "In dieser Phase wirkt sehr motivierend, wenn die Gelegenheit geschaffen wird, diese Erfahrungen und Kompetenzen übertragen zu können." Möglichkeiten dafür ergeben sich in den meisten Unternehmen im Mentorship, in internen wie externen Expertenzirkeln und -gruppen oder auch als Unterstützung bei der Ausbildung jüngerer Mitarbeiter. "Auch qualifizierungstechnisch bieten sich älteren Mitarbeitern sehr gute Chancen: Ausbildung zum innerbetrieblichen Coach, Mediator, Moderator, Qualitätsmanager – Aufgaben, bei denen Seniorität sehr positiv zu Buche schlägt", so Karl Heinz Lorenz.

Doch es geht nicht nur darum, was das Unternehmen Mitarbeitern und Führungskräften jenseits der 45 anbieten kann, sondern auch darum, was diese zu einer positiven Entwicklung der Firma beitragen können. Und das sei sehr viel, wie der Managementtrainer betont: "Die Bereitschaft, sich auf eine Neuwertung der eigenen Arbeitsperson einzulassen, sich veränderten Leistungskriterien zu stellen, sich auf ein anderes Gehaltsgefüge einzulassen, sich neuen Aufgaben aufgeschlossen zuzuwenden, negative Verhaltensmuster und schlechte Angewohnheiten hinter sich zu lassen, eine gesündere Lebensweise als in jungen Jahren zu pflegen und die verbliebene Arbeitszeit ganz bewusst und voller Leidenschaft zu erleben".

Solche Menschen lassen sich allerdings nicht mehr mit der Aussicht auf eine typische Karriere motivieren, die mehr Personalverantwortung, mehr Gehalt und Statussymbole bedeutet. "Führungskräfte und Unternehmen sind hier gefordert, Karrierealternativen auf anderer Entwicklungsbasis zu schaffen. Zum Beispiel ein funktionierendes Junior-Expert-Senior-Konzept." Wichtig sei auch, die Arbeit von erfahrenen Mitarbeitern neu und anders zu bewerten, so Lorenz: "Ein hohes Selbstwertgefühl ist für Motivation und Arbeitsleistung enorm wichtig. Hier den Leistungsmaßstab für ältere Mitarbeiter an die gleichen Kriterien anzulehnen, wie an den für Jüngere, ist schlicht falsch."

Beachtet man all diese Besonderheiten, sind die Chancen für ein Unternehmen, dass sich verstärkt auf ältere Arbeitnehmer einlässt, enorm: "Anstatt auf einem schwierigen, teilweise sogar leergefegten Arbeitsmarkt sich frustriert umzusehen, sind hier Mitarbeiter und Führungskräfte verfügbar, die das Unternehmen, den Markt, die Kunden sehr gut kennen und die, richtig motiviert und geführt, die Summe vieler erworbener Kompetenzen für den Unternehmenserfolg einsetzen können", erklärt Lorenz. Die Gangart mag manchmal ein Tick langsamer sein, dafür bieten erfahrene Mitarbeiter oft mehr Entscheidungssicherheit, den Blick für langfristig sinnvolle Entwicklungen, weniger Wechselwilligkeit und mehr Loyalität zum Unternehmen. (Marzena Sicking) / (map)
(masi)