Cloud Computing ist kein Leasing

Cloud Computing leitet einen Paradigmenwechsel ein, bei dem bestehende Geschäftsmodelle nicht unangetastet bleiben. Die Cloud birgt das Potenzial, das traditionelle Client-Server-Modell abzulösen – wovon in besonderem Maß auch der Channel betroffen sein wird.

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Von
  • Matthias Parbel
Inhaltsverzeichnis

Lieber Herr Sicking,

Felix Höger, Vorstand, Pironet NDH

(Bild: Pironet NDH)

ich freue mich, dass Sie das Thema Channel und Cloud Computing noch ebenso umtreibt wie vor anderthalb Jahren – und ich glaube, die endgültige Entscheidung über unseren Disput steht noch aus. Läuten wir also die nächste Runde ein!

Tatsächlich hat sich meine Prognose, dass der IT-Channel in der Cloud verschwindet, noch nicht erfüllt. Ihr schriftliches Nachhaken ist daher absolut berechtigt. Aber es wäre voreilig, meine damalige These schon heute mit einem Verfallsdatum zu versehen. Auch 2009 hatte ich nicht erwartet, dass IT-Distributoren, Value Added Reseller oder Systemhäuser sich binnen zweier Jahre vom Markt verabschieden würden. Ich stimme Ihnen sogar zu, dass sie sich in veränderter Form, indes mit geringerem Marktgewicht auch künftig behaupten könnten.

Der wesentliche Unterschied unserer Standpunkte liegt meiner Meinung darin, welches Veränderungspotenzial wir jeweils der Computing Cloud zuerkennen:

Sie rechnen – absolut nachvollziehbar – mit gegenwärtigen Umsatzzahlen und sehen darin keine Anhaltspunkte für eine Revolution des IT-Service-Markts. Hohe Zuwächse, so Ihr Argument schon damals, verdankten sich einem geringen Basisniveau des Cloud-Markts. Aber Umsätze sind eine Sache – und Investitionen die andere! Bereits im zurückliegenden Jahr bestiegen Global Player wie Microsoft, IBM, Oracle, SAP und aktuell auch Dell mit eigenen Programmen den Cloud-Ring. Dass die IT-Industrie hierbei ernst macht, zeigen allein schon die Budgets, die hierzu bewegt werden. Mit Milliardenbeträgen wollen sich die IT-Größen ihren Einfluss im IT-Service-Markt sichern. Und diese Summen fließen beileibe nicht nur ins Marketing.

An dieser Stelle ist auch das häufig vorgebrachte Argument einzureihen, dass die Cloud im Prinzip nichts Neues sei. Doch darf man nicht Technik und Nutzungskultur verwechseln: Technologisch ist Cloud Computing das Ergebnis einer Entwicklung, also Teil einer Evolution. Aus Nutzersicht dagegen markiert die Cloud einen Durchbruch, eine Revolution der Möglichkeiten, wie wir Informationstechnik einsetzen. Letztlich birgt Cloud Computing das Potenzial, das traditionelle Client-Server-Modell abzulösen – wovon in besonderem Maß auch der Channel betroffen sein wird.

Client-Server-Architekturen haben in den zurückliegenden Jahrzehnten die Digitalisierung der Unternehmens-Bürokratien ermöglicht. Heute stößt das Modell seinerseits an Grenzen und führt in Unternehmen zur Verschwendung wertvoller Ressourcen. Nicholas Carr hat die Ineffizienz dieses Modells für die Informationsverarbeitung in Organisationen schlüssig dargelegt. Besonders spannend sind seine Analogien zu den Anfängen der Elektrizitätswirtschaft. Das heute überall verfügbare Versorgungsgut elektrischer Strom war um die vorletzte Jahrhundertwende eine kostspielige Privatangelegenheit von Unternehmen. Auch damals hätten Ihre Argumente verfangen – Edison selbst hätte Ihnen zugestimmt! Aber nicht er war es, der später eine landesweite Versorgungs-Infrastruktur für Elektrizität aufgebaut hat. Gleichwohl beanspruchte auch diese Revolution länger als zwei Jahre.

Milliarden Dollar in Cloud-Technologien zu investieren, ist eine unternehmerische Entscheidung. Sie mögen das für ein Risiko halten. Ich glaube hingegen, Reseller oder Systemhäuser, die Cloud Computing nur für ein weiteres Finanzierungsmodell von IT-Diensten halten, gehen ein hohes Risiko ein, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgehen.

Cloud Computing ist kein Leasing für veraltete Client-Server-Strukturen. Denn die Cloud stellt das geltende System-Konzept infrage. Die Umsätze, die heute mit der Datenwolke realisiert werden, gehören einer Übergangsphase an, in der wir klassische Technologieansätze noch eine Zeit lang für die Cloud adaptieren. Heutige Software basiert auf einem Architektur-Paradigma, das über dreißig Jahre alt ist. Letztlich wird Cloud Computing daher eine neue Art von Software hervorbringen, die für den Betrieb in gesharten Ökosystemen optimiert ist. Die Investitionspläne der Softwarehersteller deuten an, mit welchem Takt diese Entwicklung vorangetrieben werden soll.

Sie glauben, dass der Channel sich trotzdem auf die Dominanz traditioneller Client-Server-Systeme verlassen könne. Dabei war dieses Modell selbst einmal die Speerspitze einer Marktrevolution, bei der junge Unternehmen wie Microsoft und Apple den Marktführer IBM vom Thron stießen. Warum sollte es dieses Mal anders sein? Auch beim nächsten Paradigmenwechsel werden die bestehenden Geschäftsmodelle nicht unangetastet bleiben.

Ihr Beispiel aus der KFZ-Branche ist darum meines Erachtens schief. In Ihrem Bild verkauft der Autohändler nach wie vor Autos an die gleiche Kundschaft, nur dass er jetzt noch einen Kredit dazupackt. Übertragen auf den IT-Sektor sehen Sie in der Cloud lediglich eine kreative Finanzierungsmethode. Aber die Cloud unterläuft überhaupt die Idee vom Privatbesitz an Rechenkapazitäten. Insofern ist die Cloud eher mit dem öffentlichen Nahverkehr vergleichbar, der Mobilität zu einem allgemein zugänglichen Versorgungsgut macht.

Jetzt werden Sie mir entgegnen, dass auch künftig noch Unternehmen Informationstechnik im eigenen Haus betreiben müssen, weil Lösungen von der Cloud-Stange nicht ihren Anforderungen genügen. Genau das rechtfertige auch künftig den Fortbestand des Channels. Der Punkt ist aber, dass in gesharten Infrastrukturen öffentliche Versorgung nicht mehr notwendig auch starre Standardisierung bedeutet.

Dafür liefert wiederum die Automobilwirtschaft ein gutes Beispiel: Daimler unterlief mit seinem Car-Sharing-Konzept Car2Go in Ulm die strikte Trennung von ÖPNV und Individualverkehr. Kunden nutzen "Smarts on Demand", allerdings zu deutlich günstigeren Konditionen als etwa bei einer Taxifahrt oder gar einem herkömmlichen Mietwagen. Die Transaktionskosten sind ungleich geringer, da Daimler die verfügbaren Ressourcen intelligenter skaliert und einsetzt. Hieran ist sehr gut zu abzulesen, wie sich in gesharten Infrastrukturen die Geschäftsmodelle verschieben und die Grenze zwischen Standard- und Individuallösung verschwimmt. Die Cloud wird einen großen Standardisierungsdruck auf alle IT-Prozesse in den Unternehmen ausüben und zugleich Mittel und Wege schaffen, individuelle Anforderungen effizienter abzudecken.

Was bedeutet das für den IT-Channel? Was wird zum Beispiel aus den vielen mittelständischen Systemhäusern, wenn ihre Kunden aus dem Mittelstand mit ihren IT-Landschaften in die Cloud auswandern? Sie werden den Servern und Applikationen ihrer Kunden in der Regel nicht folgen können. Denn die Infrastruktur-Giganten Microsoft, Amazon oder Google kümmern sich selbst um ihre IT-Fabriken. Was bleibt dem Handel, wenn die Serverräume im Mittelstand leer stehen, wenn sich zumindest Teile des Softwaregeschäfts in die App-Stores verlagern? Sie werden sich mit dem verbleibenden Geschäft begnügen oder selbst ihr Glück als Spezialdienstleister in der Cloud suchen. Die Cloud wird nicht alles sein, aber das als führendes Architektur-Paradigma dem Markt seinen Stempel aufdrücken.

Herzlichst
Ihr Felix Höger
Vorstand der Pironet NDH AG (map)