"Frau Vorgesetzte, ich hab Sie so lieb!"

Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal Ihren Mitarbeiter oder Ihren Vorgesetzten umarmt und ihm gesagt, wie froh Sie sind, dass Sie ihn haben? Noch nie? Eben!

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Wunsch oder Wirklichkei?

(Bild: Süddeutsche Zeitung)

Liebe unbekannte "Division Managerin" Doris Kiehlmann,

ich weiß nicht, ob es Sie wirklich gibt. Ich hoffe es. Es ist aber zu befürchten, dass Sie nur eine Reklamefigur sind. Die bekannten Suchmaschinen jedenfalls kennen und finden Sie nicht. Aufgefallen sind Sie mir in einer großen Anzeige in der Süddeutschen Zeitung (siehe Abbildung). Das ist so ein schönes Bild! Man sieht Sie in einer anrührenden Umarmung mit einem jungen Mann. Mutter und Sohn, die sich nach einem längeren Auslandsaufenthalt wieder in die Arme schließen, könnte man spontan denken, aber darum geht es nicht. Es geht um Jobs und das Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeiter. Sie, liebe Frau Kiehlmann, werden uns als "Division Manager" einer nicht näher genannten Firma vorgestellt. Sie sind wichtig, wie man bereits an Ihrem anthrazit-grauen Businesskostüm erkennt. Der junge Mann an Ihrer Seite (genau genommen ist es nicht Ihre Seite, sondern Ihre Brust) heißt Robert Tamm, führt den Titel eines "Junior IT-Managers" und gehört offenbar zu Ihrer Abteilung.

Dieses Bild ist so anrührend. Es stellt die betriebliche Wirklichkeit, die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter so dar, wie wir sie uns wünschen und aus unseren allerschönsten Träumen kennen. Insofern ein Bild von hoher Symbolkraft. Die Umarmung zwischen der attraktiven, aber durchaus schon gereiften Frau und dem jungen, zwar langhaarigen und unrasierten und mit einer Art Trainingsjacke bekleideten, aber durchaus nicht ungepflegt wirkenden jungen Kerl ist völlig frei von jedem Anflug erotischer Spannung, wie sie zwischen Mann und Frau durchaus vorkommen soll (auch die Beziehungen zwischen Frauen und deutlich jüngeren Männern scheinen ja immer mehr in Mode zu kommen). Nein, um Sex geht es hier ausnahmsweise mal nicht. Es geht um Wohlfühlen, Geborgenheit, Sicherheit und – ja, auch um das – Dankbarkeit.

Vor allem das Verhalten bzw. die Körperhaltung von Robert, also unserem "Junior IT-Manager", ist interessant. Man darf davon ausgehen, dass die Initiative zu der Umarmung von ihm ausging. Sein Kopf ist nach unten und zur Seite gerichtet, die Augen sind geschlossen: das ist die klassische Unterwerfungsgeste, wie jeder Hundebesitzer weiß. Gleichzeitig drückt diese Geste Dankbarkeit und Vertrauen aus: "Danke, dass ich unter Ihnen arbeiten darf" und "Was immer Sie auch tun und entscheiden, ich weiß, dass es richtig und für mich das Beste ist, auch wenn ich das nicht immer sofort erkenne". Mit anderen Worten: Robert hat das Glück, eine Vorgesetzte aus dem Bilderbuch zu haben.

Klar, dass Ihnen die Zuneigungsbekundung Ihres Mitarbeiters gefällt, liebe Frau Kiehlmann. Das sieht man Ihnen auch an. Ihr strahlender Blick geht nach oben zum Himmel, und man könnte meinen, dass Sie dem lieben Gott dafür danken, dass er Ihnen diesen Vorzeige-Mitarbeiter geschickt hat. Denn auch das ist nicht selbstverständlich, dass die Angestellten ihren Vorgesetzten mit dem nötigen Respekt, mit demutsvoller Unterwürfigkeit und angemessener Dankbarkeit begegnen. Viele sind einfach so aufmüpfig und insgesamt einfach schwierig! Schlimm! Immer wieder hört man landauf, landab die Klage über die schlechten Vorgesetzten in den Unternehmen, und die ganze Welt macht sie für die mangelnde Motivation der Mitarbeiter verantwortlich. Aber wer denkt schon mal an die schlechten Mitarbeiter, die für die mangelnde Motivation der Vorgesetzten verantwortlich sind? Niemand! Ist doch so, oder nicht? Es gibt x Bücher und Seminare zum Thema "Wie werde ich ein besserer Vorgesetzter?", aber wie viele Bücher und Seminare gibt es zum Thema "Wie werde ich ein besserer Mitarbeiter?" Sehen Sie!

Ja, das Leben in unseren Betrieben könnte so schön, so einfach und so harmonisch sein, wenn es dort nur nicht so viele Menschen gäbe.

Beste Grüße

Damian Sicking

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