Kolumne: Viele Mitarbeiter machen "Dienst nach Vorschrift" - zum Glück!

Immer wieder hört man die Klage über Mitarbeiter, die "Dienst nach Vorschrift" machen. Diese Klage beruht auf einem Irrtum. Denn genaugenommen sollten Unternehmen über jeden Mitarbeiter froh sein, der "Dienst nach Vorschrift" macht.

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Von
  • Damian Sicking

Titelgeschichte im Focus 22/08

(Bild: Focus Magazin Verlag)

Liebe "Dienst-nach-Vorschrift"-Schieber,

das Nachrichtenmagazin Focus brachte kürzlich eine große Titelgeschichte zum Thema "Ärger im Büro". Es lohnt sich nicht, detailliert auf den Inhalt einzugehen. Einen Aspekt aber möchte ich herauspicken, weil er in derartigen Geschichten immer wieder aufploppt wie die Maulwurfshügel im Stadtpark: Ich meine die Klage darüber, dass so viele Menschen in ihren Büros und Arbeitstätten "Dienst nach Vorschrift" machen. "Nur" Dienst nach Vorschrift machen, heißt es dann immer mit anklagendem Unterton. Der Focus ist da keine Ausnahme. Wie ich erwartet hatte, kramte auch er die bereits ein paar Jahre alte Gallup-Umfrage hervor, derzufolge 68 Prozent der Umfrageteilnehmer "Dienst nach Vorschrift schieben".

Ich halte das Jammern über Mitarbeiter, die "Dienst nach Vorschrift" machen, für einen großen Irrtum. Es besteht überhaupt kein Grund zur Klage, wenn Mitarbeiter "Dienst nach Vorschrift" tun. Im Gegenteil. Ein Unternehmer, dessen Angestellte "Dienst nach Vorschrift" leisten, sollte deshalb zwar nicht gleich in Jubel ausbrechen, aber es ist auch kein Unglück. Er bekommt nämlich von seinen Mitarbeitern nicht mehr und nicht weniger als das, worauf er und seine Angestellten sich im Arbeitsvertrag (das nämlich ist die "Vorschrift") geeinigt haben. Im Arbeitsvertrag wird geregelt, wer welche Leistungen zu erbringen hat – in der Regel sind dies auf Arbeitnehmerseite die Arbeitsleistungen und auf Arbeitgeberseite die Gehalts- oder Lohnleistungen. Beide Parteien verpflichten sich, ihren Teil der Abmachung einzuhalten. Nun kann man einen Arbeitnehmer genauso wenig dafür tadeln, dass er die Leistungen erbringt, zu denen er sich im Arbeitsvertrag verpflichtet hat (und nicht mehr), wie den Arbeitgeber, dass er genau das Gehalt überweist, zu dem er sich verpflichtet hat (und nicht mehr).

Kurzum: Wenn das Unternehmen "Gehalt nach Vorschrift" zahlt – also in der im Arbeitsvertrag vereinbarten Höhe –, dann darf es sich nicht darüber beklagen, wenn es im Gegenzug von den Mitarbeitern ebenfalls "Leistungen oder Dienst nach Vorschrift" erhält. Wenn das Unternehmen von seinen Mitarbeitern eine höhere Leistung verlangt, sollte es Verständnis dafür haben, dass die Mitarbeiter im Gegenzug eine höhere Kompensation verlangen, um die Waage im Gleichgewicht zu halten.

Was viele meinen, wenn sie den Ausdruck "Dienst nach Vorschrift" verwenden, ist, dass die Angestellten eben nicht "Dienst nach Vorschrift" tun, sondern faktisch eine Minderleistung erbringen und ihren Arbeits- und Dienstverpflichtungen nicht nachkommen. Dann sollten sie dies aber auch so sagen, sprachliche Präzision ist hier durchaus relevant.

Andere im Umlauf befindliche Redewendungen sind nicht besser. So vermeidet das Marktforschungsunternehmen IFAK in seinem jährlichen Arbeitsmarktbarometer zwar den Ausdruck "Dienst nach Vorschrift", zeigt in der Wahl der sprachlichen Mittel aber auch kein besonders geschicktes Händchen. So schreiben die Auguren im Juni dieses Jahres, dass die Mehrheit der Beschäftigten (64 Prozent) am Arbeitsplatz "das Pflichtprogramm abspule". "Das Pflichtprogramm abspulen" ist eine andere Formulierung für "seine Pflicht tun", nur mit einem negativen, tadelnden Unterton. Hier gilt das gleiche, was ich bereits zu der Formulierung "Dienst nach Vorschrift" gesagt habe. Sollte ein Unternehmen sich nicht freuen, wenn seine Angestellten "ihre Pflicht tun"? Sollte man jemanden, der seine Pflicht erfüllt, nicht eher loben als tadeln ("Müller, jetzt reicht´s mir, Sie bekommen jetzt eine Abmahnung; Sie haben zum wiederholten Male Ihre Pflicht erfüllt.")?

Natürlich wünscht sich jedes Unternehmen Mitarbeiter, die mehr als tun als ihre Pflicht und das, was der Arbeitsvertrag von ihnen verlangt ("Vorschrift"). Denn dies ist ja immer nur die Mindestleistung, zu der sie sich verpflichtet haben. Aber auf der anderen Seite kann ein Unternehmen nicht mit jemandem einen Vertrag schließen und sich anschließend darüber beklagen, wenn der andere den Vertrag einhält. Und genauso, wie das Unternehmen sich freut, wenn ihre Angestellten eine höhere Leistung zeigen als im Arbeitsvertrag vereinbart, freuen sich die Angestellten, wenn das Unternehmen seinerseits eine höhere Gegenleistung in Form einer besonderen Anerkennung leistet. Das kann Geld sein, muss aber nicht. Letzten Endes gilt: Die Waage muss im Gleichgewicht sein.

So sehe ich es jedenfalls. Andere mögen es anders sehen.

Beste Grüße

Damian Sicking

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