Loyalität in der IT-Branche: Insolvenz eines Begriffs

Das Wort ist komplett aus dem Sprachgebrauch der IT-Branche verschwunden: "Loyalität". Aber nicht nur das Wort ist verschwunden, sondern die Loyalität selbst ist irgendwann in den vergangenen 20 Jahren auf der Strecke geblieben. Die loyalen Firmen sind alle bankrott gegangen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Bechtle-Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Schick,

Bechtle-Aufsichtsratschef Gerhard Schick

(Bild: Bechtle)

wenn das Wort "Loyalität" eine Firma in der IT-Branche wäre, dann hätte sie schon lange Insolvenz anmelden müssen. Denn das auffälligste Merkmal der Loyalität in den vergangenen Jahren ist das Verschwinden jeglicher Marktbedeutung. Wer in Aktien der angenommenen Firma "Loyalität" investiert hätte, der hätte heute einen Totalverlust. Loyalität ist ein Wort, das im Diskurs von IT-Unternehmern und Managern von IT-Unternehmen heute schlichtweg nicht mehr vorkommt. Und wenn es jemandem doch in einem schwachen Moment rausrutscht, dann zeigt er damit vor allem eins: dass er nicht mitbekommen hat, was die Stunden geschlagen hat.

Früher, also sagen wir mal in den 1990er Jahren, war das noch anders. Da galt Loyalität noch etwas. Kaum ein Gespräch zwischen IT-Händlern und Industrievertretern, in dem nicht irgendwann die Sprache auf das Thema "Loyalität" kam. Zugegeben, es wurde damals mehr über Loyalität gesprochen, als dass sie gepflegt und praktiziert wurde. Das war schon immer das Charakteristische an der Loyalität: Sie wurde stets eingefordert, ihr Mangel wurde beklagt, aber sie wurde nie versprochen. Loyalität war immer die Sache der anderen.

Das hat sich geändert. Und zwar komplett. Heute ist Loyalität schlicht und ergreifend von der Bildfläche verschwunden. Keiner rechnet mehr mit ihr, niemand fordert sie ein. Man hat sich an ein Leben ohne Loyalität gewöhnt. Positiver Nebeneffekt: Niemand sitzt mehr wegen angeblich illoyalen Verhaltens auf der Anklagebank und muss sich verteidigen. Wo keine Loyalität erwartet wird, kann keine Illoyalität angeprangert werden. Loyalität hat sich in Nichts aufgelöst.

Was ist da passiert in den vergangenen 20 Jahren? Wie kam es zum Konkurs des Begriffs "Loyalität"? Die Geschichte ist rasch erzählt. Die eine, clevere und aufgeweckte Hälfte der "Kunden" der Firma "Loyalität" hat nach und nach erkannt, dass Loyalität ihnen keinen Nutzen, sondern sie im Gegenteil nur in Schwierigkeiten bringt. Also haben diese Firmen auf Loyalität verzichtet und sind seitdem weitaus besser gefahren. Die andere Hälfte ist einfach bankrott gegangen. Es ist tatsächlich die traurige Wahrheit: Loyalität zwischen den Geschäftspartnern war etwas, was man man sich vielleicht in den guten Zeiten der IT-Branche leisten konnte, was aber dann, als die Zeiten rauher wurden und jeder sehen musste, wo er blieb, zum Ballast wurde. Jeder kämpft für sich allein.

Die Beziehung zwischen den Unternehmen der IT-Branche – namentlich die zwischen Herstellern und Händlern – waren schon immer schwierig, kompliziert und konfliktreich. Letztlich handelt es sich um eine Form der Symbiose oder des Mutualismus, also um eine Beziehung, die besteht, weil und solange beide Parteien daraus einen Nutzen haben. Im Kern aber verfolgt jeder ausschließlich seine eigenen Interessen. Viele Konflikte zwischen IT-Händlern und -Herstellern beruhen auf dem Missverständnis, dass man GEMEINSAM irgendwelche Ziele verfolge. In Jahres- oder Zielvereinbarungsgesprächen lassen die Hersteller dann gerne der Satz fallen: "Wie können wir gemeinsam mehr Geschäft/Umsatz etc. generieren?". Die Übersetzung lautet schlicht: "Wir möchten, dass du, lieber Händler, mehr von unseren tollen Produkten verkaufst." Punkt. Und damit kommen wir zum zweiten Missverständnis. Dem Missverständnis nämlich zahlreicher Händler, die offenbar glauben, der Hersteller sei für ihren Erfolg verantwortlich. Das stimmt natürlich nicht. Für seinen Erfolg ist der Händler immer nur selbst verantwortlich. Natürlich freut sich jeder Hersteller darüber, wenn seine Vertriebspartner erfolgreich sind, aber woran ihm letztlich nur selbst gelegen ist, ist sein eigener Erfolg. Das Hemd ist immer näher als die Jacke. Der Vertriebspartner ist für den Hersteller grundsätzlich nur so lange wichtig, wie dieser ihm dazu verhilft, die eigenen Ziele zu erreichen. Und genauso unsentimental betrachten erfolgreiche Händler und Systemhäuser auch ihre Beziehung zu ihrem Lieferanten bzw. Hersteller: Er ist sozusagen das Mittel, um die eigenen Ziele zu erreichen, den eigenen Erfolg sicher zu stellen.

Ein Verhältnis zwischen Hersteller und Händler, wie es früher einmal verklärt dargestellt wurde, nämlich dass man gemeinsam "durch Dick und Dünn" geht, dass man gemeinsam auch schwierige Phasen meistert, hat es das jemals gegeben? Ja, das hat es, aber diejenigen Firmen, die nach diesem Prinzip gehandelt haben, die sind, wie gesagt, schon lange ausgestorben. Eine Loyalität in diesem Sinne kann sich in der beinharten Wirtschaft niemand leisten, heute weniger denn je. Welcher Händler kann es sich leisten, an einem Hersteller festzuhalten, wenn dieser keine wettbewerbsfähigen und marktkonformen Produkte liefern kann? Und welcher Hersteller kann es sich leisten, einen Händler weiter zu beliefern, dessen Zahlungsfähigkeit nicht gesichert ist? Sie selbst, lieber Herr Schick, erinnern sich sicher noch an den Untergang von m+s, einstmals eines der größten und bedeutendsten Systemhäuser in Deutschland. Es war brutal und für Außenstehende durchaus schockierend mitansehen zu müssen, wie schnell und umfassend m+s damals von den Lieferanten fallen gelassen worden war, wodurch der Niedergang und schließlich der Untergang des Unternehmens beschleunigt und besiegelt wurde. Aber die Lieferanten hatten ja keine andere Wahl. Wären sie "loyal" gewesen, hätte m+s sie möglicherweise mit in den Abgrund gerissen.

Lieber Herr Schick, das Unternehmen Bechtle wurde vor bald 30 Jahren gegründet und hat eine einzigartige Karriere in der deutschen Systemhauslandschaft hinter sich. Da würde es mich interessieren, welche Erfahrungen Sie als Bechtle-Mitgründer, langjähriger Firmenchef und heutiger Aufsichtsratsvorsitzender mit der "Loyalität" der Hersteller gemacht haben und welche Rolle Loyalität im Wirken der Bechtle AG spielte?

Beste Grüße!

Damian Sicking

Und hier die Antwort von Gerhard Schick.

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