"Wenn-Dann-Belohnung ist erwiesenermaßen kontraproduktiv. Isso."

Motivationssysteme haben ausgedient. Sie waren ein verständlicher Fehltritt als Zwischenlösung bei der Anstellung ehemaliger Handelsvertreter, aber jetzt ist es Zeit für den Abschied, meint Stephan Heinrich.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Matthias Parbel

Vertriebstrainer Stephan Heinrich

(Bild: HMC)

Lieber Damian Sicking,

Kolumnist mit sympathischem Schwefelgeruch,

bitte verzeihen Sie mir die späte Antwort. Urlaubsbedingt habe ich mir erlaubt nur eingeschränkt elektronisch zu kommunizieren. Aber die kurze Verzögerung dürfte kein Problem sein, denn eine Antwort auf die gestellten Fragen existiert schon seit den 1940er Jahren.

In seinem Buch "Drive – Was Sie wirklich motiviert" stellt der Wissenschaftsjournalist Daniel H. Pink die Historie der Motivationsforschung dar. Wer heute noch behauptet dass Provision und Incentives funktionieren, stellt sich rein wissenschaftlich neben jene, die 60 Jahre nach der ersten Weltumsegelung immer noch behaupten, sie sei eine Scheibe. Wer will schon abstreiten, dass man eine Scheibe umrunden kann?

Aber im Ernst: Jede Form von Wenn-Dann-Belohnung funktioniert nur bei extrem gleichförmigen, wiederholbaren und langweiligen Arbeiten. Und dabei bitte ich zu beachten, dass selbst der Akkord-Lohn großflächig abgeschafft ist, weil er schlicht nicht funktioniert hat.

Bei jeder Form von ansatzweise kreativer Arbeit – selbst erklärte Skeptiker vertrieblicher Leistungsfähigkeit dürften diese Eigenschaft den Verkäufern im Allgemeinen nicht absprechen – ist Wenn-Dann-Belohnung erwiesenermaßen kontraproduktiv. Isso. Dieses Zitat unseres Basta-Altkanzlers entlehne ich hier, weil jede Diskussion darüber ermüdend ist und wirklich keine einzige, mir bekannte und wissenschaftlich begründete Meinung dagegen steht.

Neben den Gründen, die aus psychologischer Sicht dagegen sprechen, gibt es noch einen praktischen Grund: Man erzieht Menschen auf diese Weise zu Belohnungsmaximierern. Es gab mal eine Karikatur, auf der man zwei Verkäufer in Mondanzügen auf eben diesem spazieren gehen sah. Der Eine sagt zu dem Anderen "Na ja. Das ist ja nix Dolles. Da müssen Sie sich für nächstes Jahr aber ein besseres Incentive einfallen lassen".

Ähnliches habe ich selbst am eigenen Leib als Produkt Manager beim damals noch Marktführer "Computer 2000" erfahren. Als wir, nach sehr guten Zeiten, in einer Phase der knappen Budgets und vollen Lager waren, habe ich eine Ansprache vor dem Vertrieb gehalten, um die Wichtigkeit des Abverkaufs bestimmter Produkte zu betonen. Die erste Wortmeldung war "Und was kriegen wir dafür?".

Und schuld daran war ich selbst, gemeinsam mit meinen Kollegen. Ich erinnere mich an Außendienst-Tagungen, bei denen die Verkäufer die erhaltenen Incentive-Geschenke kaum in einem Gang in ihren Firmen-BMW tragen konnten. Es war inflationär.

Meine Personalnummer bei Computer 2000 war noch zweistellig. Wir waren auf der Welle. Wir haben in jedem Monat Umsatzrekordparties gefeiert, die heutzutage kaum mehr zum 25-jährigen Firmenjubiläum möglich wären. Meine Produktlinie hatte Anfangs 35 Prozent Handelsspanne. Im Großhandel! Das waren Goldgräberzeiten. Und wir haben nicht nachgedacht und gehofft, es geht immer so weiter.

Heute weiß ich es besser. Im meinem Buch "Zuckergeld und Peitsche" kann ich nachweisen, dass variable Gehaltssysteme nicht nur die Motivation negativ beeinflussen, sondern sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen. Da läuft es den eingefleischten Vertriebsdinosauriern kalt den stacheligen Rücken herunter, aber dafür kann ich nichts.

Motivationssysteme haben ausgedient. Sie waren ein verständlicher Fehltritt als Zwischenlösung bei der Anstellung ehemaliger Handelsvertreter, aber jetzt ist es Zeit für den Abschied.

Selbstbestimmung, Lust an der Selbstverbesserung und Sinn hat Daniel H. Pink als die drei zentralen Faktoren für wahre Motivation identifiziert. Führungskräfte, die sich mit Demotivationsprogrammen zurückhalten können, wissen das.

So – und wenn Sie jetzt diese Antwort brav publizieren, dann bekommen Sie auch eine schöne Belohnung, Herr Sicking. Ehrlich!

Viele Grüße

Stephan Heinrich (map)