Wenn der Postmann zweimal klingelt

Wenn ein Online-Händler von einem Mitbewerber wegen verschiedener Rechtsverletzungen auf derselben Website mehrere Abmahnungen mit jeweils eigener Kostennote nacheinander erhält, kann Ärger aufkommen. Dennoch stellt diese Art der Salamitaktik nicht unbedingt einen Rechtsmissbrauch dar – das findet jedenfalls das Oberlandesgericht (OLG) Hamm.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Matthias Parbel
Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Geschäftsbedingungen von Online-Händlern sind ein fruchtbares Feld, auf dem Konkurrenten immer wieder reichlich Abnahmgründe ernten.

Der Sommer 2009 war für deutsche Verhältnisse mit durchschnittlich 17,3 Grad Celsius deutlich wärmer als üblich. Hiervon profitierten unter anderem Hersteller und Händler von Klimageräten. Im Schatten des Wettbewerbs um den Absatz derartiger Produkte gewann die "Verordnung über die Kennzeichnung von Haushaltsgeräten mit Angaben über den Verbrauch an Energie und anderen wichtigen Ressourcen" (EnVKV) ungeahnte Bedeutung – wer nämlich Klimageräte ohne die hiernach erforderlichen Angaben feilbot, konnte wegen eines Wettbewerbsverstoßes von der Konkurrenz abgemahnt werden.

Diese Erfahrung musste beispielsweise ein Online-Händler machen, der beim Angebot eines C2-Klimageräts dessen Energieeffizienzklasse nicht angegeben hatte. Das wiederum verlangt die EnVKV. So präsentierte ein Konkurrent dem Händler am 26. Mai 2009 eine Abmahnung – zu Recht, wie das Landgericht (LG) Hamburg später urteilte.

Der Fall wäre an sich kaum der Rede wert, hätte sich nicht derselbe Konkurrent bereits wenige Wochen danach, nämlich am 13. Juli, erneut mit einer Abmahnung an seinen Mitbewerber gewandt. Diesmal rügte er eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung auf dessen Website. Auch hierfür verlangte er, dass der Abgemahnte eine Unterlassungserklärung abgeben und die Abmahnkosten ersetzen sollte.

Der jedoch zeigte sich über derlei Salamitaktik verärgert; er verweigerte das Geforderte und ließ die gesetzte Frist verstreichen. Am 22. Juli beantragte der Konkurrent den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die den Online-Händler dazu verpflichten sollte, die Verwendung der gerügten Widerrufsbelehrung künftig zu unterlassen.

Das mit der Sache befasste Landgericht (LG) Münster ließ den Antragsteller zunächst abblitzen. Es wies seinen Antrag ab und begründete dies mit der fehlenden Dringlichkeit. Die aber ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass man eine einstweilige Verfügung erwirken kann ("Verfügungsgrund"). Wer nicht einen sehr dringenden Bedarf daran glaubhaft machen kann, dass eine vermeintliche Rechtsverletzung schnell abgestellt wird, der muss ein Hauptsacheverfahren anstrengen – also eine reguläre Zivilklage erheben, und hierbei mahlen die gerichtlichen Mühlen deutlich langsamer als in den Verfahren des sogenannten einstweiligen Rechtsschutzes [1].

Die Münsteraner Richter wiesen darauf hin, dass "die Antragstellerin bereits am 26. Mai 2009 von dem Internetauftritt der Antragsgegnerin Kenntnis erlangt und eine Abmahnung wegen eines anderen Wettbewerbsverstoßes ausgesprochen habe. Sie hätte bereits damals die Möglichkeit gehabt, auch die jetzt gerügte Form der Widerrufsbelehrung zu beanstanden. Denn die Widerrufsbelehrung sei auch damals in der gerügten Form auf der Seite 'Unsere AGB' verwandt worden. Die Tatsache, dass die Antragstellerin die Widerrufsbelehrung mehr als einen Monat lang unbeanstandet gelassen habe, lasse nur den Schluss zu, dass sie ein auf diesen Verstoß bezogenes Verbot nicht als dringlich erachtet habe. Die Verfolgung zeitgleich vorhandener Angaben in einem Internetauftritt in zwei aufeinander folgenden Verfahren spreche im Übrigen auch für eine rechtsmissbräuchliche Anspruchsverfolgung."

Diese Entscheidung wollte wiederum der Abmahner sich nicht bieten lassen. Er legte Berufung ein und versuchte nunmehr das Oberlandesgericht (OLG) Hamm von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen: So habe er die fehlerhafte Widerrufsbelehrung erst am 10. Juli zur Kenntnis genommen; sie sei ihm noch nicht im Rahmen der Abmahnung des völlig anderen Verstoßes vom 26. Mai bekannt gewesen.

Dass bereits damals die Möglichkeit bestanden hätte, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) seines Konkurrenten mit der unrichtigen Widerrufsbelehrung einzusehen, sei demgegenüber irrelevant: Es sei nicht seine Aufgabe, den Internetauftritt von Mitbewerbern vollständig auf mögliche Wettbewerbsverstöße hin zu überprüfen.

Das OLG folgte diesen Ausführungen und hob das Urteil des LG auf [2]: "Entgegen der Einschätzung des Landgerichts fehlt es nicht an einem Verfügungsgrund … Der Verfügungsantrag ist am 22. Juli 2009 bei Gericht eingegangen. Das deutet auf eine zügige Rechtsverfolgung hin, da von dem – nunmehr auch durch die eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vom 30. Oktober 2009 glaubhaft gemachten – Vortrag der Antragstellerin auszugehen ist, dass sie nicht vor dem 10. Juli 2009 Kenntnis von dem Wettbewerbsverstoß erlangt hat."

Dagegen, so die Richter in Hamm, spreche auch nicht, "dass sich die Antragstellerin bereits am 26. Mai 2009 mit dem damaligen Internetauftritt der Antragsgegnerin beschäftigt … hat. Auch wenn … die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin … schon damals die Widerrufsbelehrung in der später beanstandeten Formulierung enthielten, ergibt sich daraus nicht, dass die Antragstellerin auch schon damals von diesem Verstoß … zwangsläufig hätte Kenntnis nehmen müssen."

Der Abmahnende habe dargelegt, dass er "sich auf den festgestellten Verstoß gegen das EnVKV konzentriert und nur mit einem Teil des Internetauftritts befasst hat … Um zu beurteilen, ob die nach den gesetzlichen Vorschriften erforderliche Angabe der Effizienzklasse des Kühlgerätes im Rahmen des Angebots in geeigneter Weise vorgenommen worden ist oder nicht, bedurfte es auch zwangsläufig keiner Beschäftigung mit einer etwaigen Widerrufsbelehrung der Antragsgegnerin oder den zum Aufruf bereitgehaltenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen."

Ob die Aussage des Antragstellers, wonach er die fehlerhafte Widerrufsbelehrung erst nach der ersten Abmahnung zur Kenntnis genommen hat, zutrifft oder es sich dabei lediglich um eine Schutzbehauptung handelt, um die doppelten Abmahnkosten zu rechtfertigen, weiß letztlich niemand. An einer plausiblen Erklärung und einer dazu passenden eidesstattlichen Versicherung kommt jedoch kein Gericht vorbei. Eine Vermutung, dass ein Abmahner aus Gründen der Gebührenschinderei grundsätzlich die Unwahrheit sagen würde, kennt das Recht nicht.

Umso interessanter wird damit jedoch die Frage, ob man von dem Abmahnenden nicht hätte erwarten können, dass er nach Entdeckung des ersten Rechtsverstoßes auf der Website seines Konkurrenten nachprüfte, ob diese weitere abmahnwürdige Fehler aufwies. Hierzu führt das OLG Hamm aus: "Die Antragstellerin war auch nach Feststellung des Verstoßes gegen das EnVKV nicht gehalten, den gesamten Internetauftritt der Antragsgegnerin auf denkbare weitere Wettbewerbsverstöße völlig anderer Art zu überprüfen, um diese gleich mit abmahnen zu können. Auch insoweit gibt es keine Beobachtungs- oder Untersuchungspflicht." Einer zweiten Abmahnung, so die Richter in Hamm, habe somit nichts im Wege gestanden.

Auf den ersten Blick scheint das Urteil des OLG Hamm Salamitaktikern in die Hände zu spielen, die mehrere Rechtsverstöße auf einer Internetseite sukzessive und kostenintensiv ausschlachten. Die Richter haben diese Gefahr wohl auch durchaus gesehen. Sie untersuchten gründlich, ob der Abmahnende zu dem Zeitpunkt, als er den ersten Rechtsverstoß in den AGB entdeckte, auch bereits weitere Rechtsverstöße darin hätte erkennen müssen. So, wie die Dinge lagen, ließ sich genau das jedoch nicht nachweisen.

Wichtig ist die Erkenntnis, die sich für Abgemahnte aus dem Fall ableiten lässt: Wenn man von jemandem eine Abmahnung erhält, so können vom selben Absender durchaus noch weitere kommen, die neuen Ärger und neue Kosten bedeuten. Verschiedene Rechtsverstöße, die man etwa im Rahmen von AGB auf Websites begeht, müssen nicht zwangsläufig in einem Rutsch abgemahnt werden, sofern sie dem Abmahnenden nicht zwangsläufig gleichzeitig auffallen mussten.

Daher empfiehlt es sich, eine erste Abmahnung als Warnsignal aufzufassen und zum Anlass zu nehmen, die gesamte Internetpräsenz sehr sorgfältig auf eventuelle weitere Schwachpunkte in rechtlicher Hinsicht abzuklopfen – oder dies von einem Anwalt tun zu lassen. Wenn dann nämlich eine weitere Abmahnung eingeht, die sich auf die Vergangenheit bezieht und nachweislich bereits durch eine zwischenzeitlich wasserdicht gemachte Gestaltung des Webangebots überholt wurde, schaut der Abmahner in die Röhre.

Der Autor Kai Mielke ist Rechtsanwalt in Hannover / (psz)

  • [1] LG Münster, Urteil vom 13. 8. 2009, Az. 15 O 330/09
  • [2] OLG Hamm, Urteil vom 21. 1. 2010, Az. 4 U 168/09

(map)