c't 19/2018
S. 58
Hintergrund
HPI Schul-Cloud
Aufmacherbild
Bild: HPI/K. Herschelmann

Das wolkige Klassenzimmer

HPI Schul-Cloud startet in die nächste Phase

Die „HPI Schul-Cloud“ will länderübergreifend den Unterricht an deutschen Schulen modernisieren: Digitale Inhalte sollen künftig in jedem Klassenzimmer zur Verfügung stehen. Lehrer und Entwickler arbeiten in dem Projekt eng miteinander zusammen.

Lernen mit digitalen Medien ist in Deutschland nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. In vielen Schulen mangelt es allein schon an technischer Ausstattung: veraltete Geräte, kein WLAN und kaum gewartete Netzwerke. Überarbeitete Lehrkräfte sollen die Verwaltung dieser Ressourcen nebenbei erledigen. So berichtet die Bertelsmann-Stiftung in ihrem „Monitor Digitale Bildung“, dass auch im Jahr 2017 noch 74 Prozent der deutschen Lehrer die unzuverlässige Medientechnik an ihren Schulen bemängeln. Nur 16 Prozent der befragten Lehrer beurteilten die technische Ausstattung als „sehr gut“, weitere 38 Prozent urteilten mit „gut“. Einen Link auf den ausführlichen Bericht finden Sie unter ct.de/y61e.

Die HPI Schul-Cloud, ein Projekt des Hasso-Plattner-Instituts (HPI), will Schulen den Zugang zu digitalen Lehr- und Lernmedien erleichtern. Fördergelder erhält das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Eine Besonderheit liegt darin, dass die HPI Schul-Cloud bundesweit getestet wird – bisher kochte jedes Bundesland bei der IT-Ausstattung der Schulen sein eigenes Süppchen.

Start und Verlauf

Die erste Projektphase startete im Mai 2017 mit 27 Schulen, die dem Exzellenznetzwerk MINT-EC angehören. MINT-EC ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, Gymnasialschüler für MINT-Fächer – Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften – zu begeistern und sie darin zu fördern. Bis 2021 sollen alle 316 Schulen des Vereins Zugang zur HPI Schul-Cloud erhalten.

Im Mai 2018 begann die nächste Phase, in der zunächst weitere 40 Schulen hinzukamen, sodass seit Juli insgesamt 67 MINT-EC-Schulen die HPI Schul-Cloud nutzen können. Außerdem kommen in diesem Schuljahr über eine Kooperation mit der Niedersächsischen Bildungscloud noch weitere 44 Schulen hinzu. Anders als bei den MINT-EC-Schulen, die alle eine gymnasiale Oberstufe haben, sind in Niedersachsen jegliche Schulformen vertreten – auch Grundschulen. Zwei Studienseminare zur Lehrerausbildung nehmen ebenfalls teil.

Eigene Geräte statt Schul-Tablets

Damit Lehrer und Schüler digitale Medien in allen Unterrichtsfächern sinnvoll nutzen können, müssen sie jederzeit direkten Zugang dazu haben. Dem widerspricht die derzeitige Realität an den meisten Schulen, an denen es wenige Computerräume und bestenfalls noch ein bis zwei Tablet-Wagen gibt. Oft ist die vorhandene Hardware schlecht gewartet und die darauf eingerichtete Software nicht aktuell. Zu Beginn der Unterrichtsstunde heißt es dann statt Recherche und Mindmap erstellen zunächst einmal Software aktualisieren.

Die Übersichtsseite der HPI Schul-Cloud zeigt den Unterrichtsplan für den Tag. Schüler und Lehrer sehen hier, welche Aufgaben aktuell zu bearbeiten sind.

Für die Nutzung der HPI Schul-Cloud muss die Schule keine eigenen Geräte vorhalten. Stattdessen können Schüler ihre eigenen Geräte mitbringen. Ob es sich dabei um Tablet oder Laptop handelt, spielt keine Rolle. Es bleibt der Schule überlassen, ob sie überhaupt eine Vorgabe machen will oder doch auf schuleigene Geräte setzt. Nach Aussage des HPI hat sich gezeigt, dass in so gut wie allen Familien geeignete Mobilgeräte vorhanden sind, unabhängig von der Einkommenssituation. Selbst mit dem Smartphone sollen sich die Angebote nutzen lassen.

Um die HPI Schul-Cloud zu nutzen, loggen sich Lehrer und Schüler unter schul-cloud.org ein. Künftig sollen auch native Android- und iOS-Apps zur Verfügung stehen; erste Beta-Versionen dieser Apps lassen sich bereits testen.

Das kann die Schul-Cloud

In der HPI Schul-Cloud kann ein Lehrer Kurse anlegen, also Inhalte für einzelne Klassen oder Lerngruppen bereitstellen. Diesen ordnet er Zeiten und Räume zu. So ist direkt ersichtlich, dass die 10b an allen Tagen bis auf Donnerstag immer im selben Raum Matheunterricht hat. Die Lehrkräfte können eigene Textbeiträge im integrierten Editor formulieren und eigene Bilder, Videos sowie Audiodateien hochladen – oder auf Inhalte aus dem Materialpool der HPI Schul-Cloud zurückgreifen. Außerdem lassen sich Werkzeuge einbinden, die die Arbeit innerhalb kleiner Schülergruppen vereinfachen sollen. NeXboard beispielsweise ist ein digitales Whiteboard, auf dem mehrere Schüler gemeinsam Ideen sammeln und strukturieren. Für den Matheunterricht sind Apps von GeoGebra integriert.

Die HPI Schul-Cloud lässt sich auch auf Smartphones nutzen. Die Web-App passt sich an die Bildschirmgröße an.

Die Materialsammlung der HPI Schul-Cloud umfasst Videos, Lernprogramme und Arbeitsblätter, darunter freie Lern- und Lehrmaterialien (Open Educational Resources, OER) sowie Inhalte, die von Schulbuchverlagen stammen. Sie wird laufend um neue Inhalte ergänzt. Die Treffer der derzeit noch rudimentären Suchfunktion lassen sich noch nicht filtern, sodass man sie komplett durchschauen muss.

Lehrer können Aufgaben für ihre Schüler mit einem festgelegten Bearbeitungszeitraum versehen. Die Schüler bearbeiten die Hausaufgaben direkt in der Schul-Cloud, beispielsweise indem sie einen Text in den Editor tippen. Alternativ laden sie eine Datei hoch. Der Lehrer sieht auf einen Blick, welche Schüler die Aufgabe bereits bearbeitet haben. Als Notenvergabeinstrument ist die HPI Schul-Cloud nicht gedacht, die Lehrer können ihren Schülern im Aufgaben-Modul jedoch Feedback geben.

Lehrer können ihre komplette Unterrichtsvorbereitung in die Schul-Cloud verlagern. Nach und nach wächst die Kursseite zu einem Archiv, das später bei der Klausurvorbereitung hilft.

In einer Terminübersicht lassen sich Kalender abonnieren, der eigene Stundenplan anzeigen und individuelle Termine eintragen; eine Anbindung an das Stundenplansystem Untis ist geplant. Außerdem lassen sich über die HPI Schul-Cloud Informationen verbreiten. Derzeit funktioniert das nur für die gesamte Schule, künftig soll es möglich sein, Neuigkeiten gezielt an einzelne Klassen oder Kurse zu verteilen.

Über einen Code können Lehrkräfte die Materialpakete, die sie für ihren Kurs geschnürt haben, mit Kollegen teilen. Die können das Material bearbeiten, um es an den eigenen Kurs anzupassen. Falls ein Lehrer auf Klassenfahrt fährt, fügt er für die Zeit den vertretenden Kollegen zum Kurs hinzu, sodass dieser Zugriff auf jegliches Material hat – und sich nicht nur mit einem Arbeitsblatt durch den Vetretungsunterricht hangeln muss.

Mehrere Systeme an einer Schule

Viele Schulen nutzen bereits einen Schulserver beziehungsweise ein Lernmanagementsystem wie IServ oder Moodle. Die HPI Schul-Cloud will diese Systeme nicht ersetzen, wohl aber ergänzen. Denkbar wäre es, dass eine Schule, die IServ einsetzt, die Kommunikation über das IServ-Mail-Modul und die Dateiablage auf IServ-Servern organisiert, während Material aus der HPI Schul-Cloud zur Unterrichtsgestaltung zum Einsatz kommt. Leider gibt es zum aktuellen Zeitpunkt keine Möglichkeit, die HPI Schul-Cloud in eine bestehende Lösung zu integrieren. Franz Albers, Lehrer am Meppener Marianum Gymnasium, bringt es auf den Punkt: „Eine weitere Datenebene in der HPI Schul-Cloud ist kontraproduktiv und führt zu unnötiger Verwirrung.“ Aktuell hält Albers eine Datenhaltung in der Cloud nicht für sinnvoll, sondern bevorzugt die lokale Dateiablage auf Servern in der Schule.

Das Problem der verschiedenen nebeneinander existierenden Systeme ist den HPI-Entwicklern bekannt und sie arbeiten an Lösungen. Beispielsweise wurde eine Single-Sign-on-Möglichkeit realisiert, sodass bestehende Systeme zumindest in Sachen Authentifizierung in die HPI Schul-Cloud integriert werden können. Aktuell funktioniert das für itslearning, IServ und Moodle. „An Anbindungen zu zentralen Identitätsmanagementsystemen wird von unserer Seite gerade gearbeitet. Wir sind ferner mit mehreren Bundesländern in Gesprächen, um weitere Integrationskonzepte auszuloten“, sagt der technische Leiter am HPI, Jan Renz.

Zukunftsperspektive

Die HPI Schul-Cloud ist ein ambitioniertes Projekt. Kritiker sehen dessen Zukunftsperspektiven nicht sehr rosig und verweisen auf Probleme in ähnlichen Projekten. So wurde Ende 2017 in Nordrhein-Westfalen die Einführung der Logineo-Plattform wegen technischer Mängel der Software gestoppt. Auch die Fortführung der Bildungsplattform ella@bw in Baden-Württemberg steht nach einem sehr kritischen Experten-Gutachten derzeit infrage.

Ein Knackpunkt, der mit über den Erfolg der HPI Schul-Cloud entscheiden wird, ist die WLAN-Ausstattung der deutschen Schulen. Laut jüngstem „Monitor Digitale Bildung“ der Bertelsmann-Stiftung bewerten lediglich 8 Prozent der Lehrer die WLAN-Verfügbarkeit an ihrer Schule mit „sehr gut“, weitere 29 Prozent urteilen immerhin noch mit „gut“ – knapp zwei Drittel der deutschen Lehrer können sich also in ihrem Unterricht nicht auf das Schul-WLAN verlassen.

BYOD als Voraussetzung

Zum anderen ist die Nutzung privater Mobilgeräte in vielen Schulen derzeit nicht gestattet: An 62 Prozent der von der Bertelsmann-Stiftung befragten Schulen gilt ein klares Nutzungsverbot. Das Konzept der HPI Schul-Cloud funktioniert jedoch nur, wenn BYOD (Bring Your Own Device) zur Schulpolitik gehört. Auch hier müsste sich also etwas ändern, um dem Projekt zum Durchbruch zu verhelfen.

Als besondere Stärke des HPI-Konzepts sehen beteiligte Lehrer den regelmäßigen Austausch zwischen Schulen und Entwicklern. So bekamen die Lehrer zu Beginn keine fertig entwickelte Anwendung vorgesetzt, sondern eine Ideensammlung, die gemeinsam mit allen Projektbeteiligten zusammengebaut wurde. Manche Konzepte wurden schnell wieder verworfen, da sie sich im Schulalltag als wenig sinnvoll erwiesen. Franz Albers erinnert sich: „In ersten Veröffentlichungen war von virtuellen Rechnerarbeitsplätzen die Rede. Diese Idee wurde schon vor Beginn der Pilotphase verworfen.“ Während Programmierer und Lehrer anfangs unterschiedliche Vorstellungen hatten, beobachtete Albers, wie sie „sich dann aber nach einigen gemeinsamen Treffen auch sehr erfolgreich und zügig aneinander annäherten.“

Der Programmcode des Projekts ist Open Source und auf GitHub zu finden. Die Entwickler organisieren Hackathons, zahlreiche Module entstehen im Rahmen von Bachelor- und Masterarbeiten. Außerdem gibt es nach wie vor regelmäßige Treffen verschiedener Arbeitsgemeinschaften, in denen sich Lehrer der Pilotschulen und Entwickler miteinander austauschen. Im Juni 2018 fand zum Beispiel in Potsdam ein Design Thinking Workshop statt, zu dem rund 40 Lehrkräfte und einige Schüler anreisten. Sie diskutierten unter anderem darüber, wie die Einführung der HPI Schul-Cloud in der Schule gelingen kann.

Ob das Konzept am Ende tragfähig ist, wird sich erst nach Ende des Projektzeitraums, also nach 2021 zeigen. Bis dahin haben Entwickler und Pilotschulen die Möglichkeit, dem Projekt zu einer möglichst guten Ausgangsbasis zu verhelfen. (apoi@ct.de)