c't 19/2018
S. 24
News
AdBlocker
Aufmacherbild

Geschäftsmodell Adblocker

Brave: Wenn der Browser das Werbegeld einsammelt

Online-Werbung wird für Publisher immer weniger lukrativ, Nutzer wollen nicht mehr von Werbeunternehmen getrackt werden. Ein Web-Urgestein versucht, das Werbegeschäft umzukrempeln, damit Werber, Publisher und Nutzer gleichermaßen davon profitieren.

Brendan Eich bezeichnet sich schon mal als „schuld an JavaScript“. Eich hatte in den 90ern JavaScript bei Netscape mitentwickelt. Heute ist er nicht mehr stolz auf die Programmiersprache, und das liegt daran, dass viele Website-Betreiber ihre Plattformen mit JavaScript-Code überfrachten – darunter oft Tracker, Werbung und mitunter sogar Schadsoftware. Man habe es versäumt, Werbeinhalte und zum Betrieb der Webseiten notwendige Inhalte zu trennen, kritisiert Eich.

Dieses Problem ist zugleich Antrieb für Eichs neues Projekt. Der IT-Manager, der 2014 wegen einer umstrittenen politischen Spende von seinem Chefposten bei Mozilla zurücktreten musste, hat inzwischen seinen eigenen Browser herausgebracht: Brave, ein Chromium-Klon, schützt die Privatsphäre des Benutzers, indem er Werbung und Tracker blockiert.

Eich ist aber nicht grundsätzlich gegen Online-Werbung. Brave soll vielmehr deren Geschäftsmodell grundlegend verändern: Nutzer sollen selbst entscheiden, welche Infomationen sie zur Verfügung stellen – und von der Werbung profitieren: Wer seine Aufmerksamkeit zur Verfügung stellt, den soll Brave dafür bezahlen.

Kryptogeld für Aufmerksamkeit

Benutzer sollen einwilligen können, sich einige Banner anzeigen zu lassen. Brave will dazu mit Publishern und Werbevermarktern zusammenarbeiten. Das Targeting soll dabei der Browser übernehmen. Er misst dazu die Aufmerksamkeit des Nutzers, also welche Seiten er aufruft und welche Anzeigen er wie lange zu Gesicht bekommt und ob und wie er mit Anzeigen interagiert. Die Nutzerdaten verlassen den Browser dabei nicht.

So soll Brave einmal funktionieren: Der Surfer erhält Geld, das er an seine Lieblingssites verteilt. Bild: Brave

Brave will die dafür erhaltenen Einnahmen an Nutzer und Publisher gleichermaßen auszahlen. Der Anwender wiederum kann das eingesammelte Geld seinen Lieblingssites zukommen lassen – Brave kann dazu automatisch ein monatliches Budget unter den teilnehmenden Sites aufteilen, das die Anzahl und Dauer der Besuche berücksichtigt. Alle Zahlungen werden mit Krypto-Tokens abgewickelt, den sogenannten Basic Attention Tokens, kurz BAT.

Die erste Phase des Projekts war ein enormer Erfolg: Im Sommer 2017 brachte Brave eine Milliarde BAT auf den Markt, im Gegenwert von 35 Millionen Dollar. Das Kryptogeld war innerhalb von Sekunden aufgekauft, obwohl Brave weder eine große Nutzerbasis noch Werbepartner präsentieren konnte.

Ein Jahr danach ist Brave bei der Werbeauslieferung über einen Test mit einem kleinen Nutzerkreis aber noch nicht hinausgekommen, obwohl Eich den Publishern 70 Prozent der Werbeeinnahmen verspricht – ein viel größerer Anteil, als gewöhnliche Werbebuchungen aktuell bringen. Doch Brave dürfte große Probleme haben, die Werbetreibenden davon zu überzeugen, dass das Browser-Targeting funktioniert.

Zudem verlangen Werbetreibende inzwischen verstärkt Kontrolle darüber, in welchem Kontext ihre Werbung auftaucht – dass beispielsweise Waschmittel und Autos neben Terrorpropaganda beworben werden, ist für viele Markenanbieter nicht mehr akzeptabel. Vonseiten der Werbeindustrie kamen daher bisher eher ablehnende Signale in Bezug auf Brave.

Abgesehen davon verwenden bisher gerade einmal drei Millionen Surfer den Browser. Das sind zu wenige, um große Publisher und Werbetreibende anzulocken. So sieht es nicht danach aus, als ob Brave relevante Einnahmen erzeugen kann. Und wenn Brave keine Einnahmen generiert, entfällt ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal für Nutzer – ein Henne-Ei-Problem.

Die integrierte Zahlungsfunktion funktioniert immerhin bereits. Surfer können damit Publishern wie der Washington Post oder dem britischen Guardian Geldbeträge zukommen lassen. Mangels Werbeeinnahmen können sie ihre Guthaben dafür mit Überweisungen von Wallets mit anderen Kryptowährungen aufladen.

Vorbild Adblock Plus

Vielleicht ist Brave einfach zu spät gestartet. Das Kölner Unternehmen Eyeo hatte sein Bezahlmodell für das Durchlassen von Werbung bereits 2011 erfunden, die sogenannten „Acceptable Ads“. Unternehmen können den Hersteller des Werbeblockers Adblock Plus seither dafür bezahlen, derart bezeichnete Anzeigen nicht zu unterdrücken. Dem Konzept der Acceptable Ads haben sich zudem mehrere andere Adblocker angeschlossen, darunter der größte Konkurrent AdBlock. Microsoft testet derzeit Acceptable Ads in seinem Mobilbrowser Edge.

Auf mobilen Webseites stören großformatige Banner und Videos besonders. Bevor die neuen Acceptable-Ads-Kriterien herauskamen, hat der Werbeverband IAB breits mit seinem LEAN-Standard Grenzen gesetzt. Bild: IAB

AdBlock Plus selbst hat mehr als 100 Millionen Nutzer – daran kommen auch Großkunden wie Google, Amazon und Microsoft nicht vorbei. Eyeo scheint gut damit zu leben. Das Unternehmen, das als Zwei-Mann-Start-up begann, beschäftigt heute 126 Mitarbeiter. Eyeos Finanzpolster reichte aus, um sich erfolgreich gegen eine zwei Jahre dauernde Klagewelle von Verlagshäusern bis hin zum Bundesgerichtshof zu wehren.

Werbeeinnahmen genügen zwar für Plattformen fast ohne eigene Inhalte wie Google oder Reddit, können aber redaktionellen Inhalten auf Dauer immer weniger finanzieren: Zu diesem Schluss war Eyeo auch gekommen und hat im Jahr 2017 den Mikro-Bezahldienst Flattr übernommen. Bei dem Dienst können Webnutzer jeden Monat wie bei Brave einen festen Betrag für Webangebote ausgeben – wer wie viel Geld bekommt, sollte bei Eyeos Neuentwicklung von Flattr von der Nutzungsdauer abhängen.

Doch der Neustart scheiterte, heute ist der Bezahldienst faktisch irrelevant. Die Nutzerschaft zeigte wenig Interesse an der Erweiterung des Adblockers. Und ohne ein spendables Publikum verloren auch Verleger und andere Publisher das Interesse an dem Bezahlkanal.

Stattdessen konzentrieren sich Eyeo und die Acceptable-Ads-Partner nun mehr auf den mobilen Markt. Das formell unabhängige „Acceptable Ads Committee“, dem neben Vertretern der Werbeindustrie und Experten auch Nutzervertreter angehören, stellte Ende Juli erstmals neue Richtlinien für mobile Werbung vor, die die Chance hat, durch den Adblocker durchgelassen zu werden.

Zum Kasten: Schnüffel-Blocker

Wesentliche Neuerung: Während bei den „Acceptable Ads“ im Desktop-Browser Animationen streng verboten sind, sind sie im Mobilbereich nun erlaubt, solange sie sehr klein sind und sich an den LEAN-Standard der Werbeorganisation IAB halten. Vorgaben gegen das Tracking von Nutzern macht das Gremium nicht. Mit den neuen Regeln und der gewachsenen Nutzerbasis liefert Eyeo den Publishern neue Anreize, einen Vertrag bei Eyeo zu unterschreiben. (jo@ct.de)