c't 25/2018
S. 42
News
Mobilfunk

TV über 5G

Was die öffentlich-rechtlichen Sender im nächsten Mobilfunknetz planen

Damit ARD und ZDF auch künftig gegen YouTube und Netflix bestehen können, wollen sie ihr Programm individualisieren. Der Schlüssel dazu steckt in den kommenden Standards für 5G.

So stellt sich die Europäische Kommission die bunte 5G-Welt vor: Zu den „Unterhaltungsprogrammen jenseits der Vorstellungskraft“ wollen ARD und ZDF mit individualisierten Angeboten beitragen. Bild: European Commission

Wenn Fernsehzuschauer zunehmend nur noch vor Ihrem Handy statt vor der klassischen Glotze hocken, ist es für die Sender lebenswichtig, einen günstigen Datentarif auszuhandeln. Bei der Telekom kann man über „Magenta TV“ über 70 Live-Programme schauen, darunter auch die von ARD und ZDF. Für die übertragenen Daten zahlt man pauschal acht Euro pro Monat, das übrige Datenvolumen wird nicht belastet.

Doch warum soll man für den Empfang von ARD und ZDF auf dem Handy überhaupt zusätzlich Geld bezahlen? Sollte das nicht mit dem Rundfunkbeitrag erledigt sein? Dieser Ansicht ist Dr. Roland Beutler vom Südwestfunk. Er tüftelt neue Strategien zur Programmverbreitung aus und hat den kommenden Mobilfunkstandard 5G im Visier.

Der wird das Internet, wie wir es heute kennen, komplett umkrempeln. Höhere Datenraten von bis zu 10 GBit/s und geringere Latenzen von 1 ms sind da nur die Spitze des Eisbergs. Wesentlich relevanter wird die Vernetzung von Sensoren, autonomen Fahrzeugen und die Steuerung städtischer Infrastrukturen. Ein Milliardengeschäft, bei dem alle ein möglichst großes Stück vom Kuchen abhaben wollen: Netzbetreiber, Hersteller von Sendeanlagen und Endgeräten wie auch Anbieter von Diensten und Inhalten, zu denen auch die Fernsehsender gehören. Diese konkurrieren mit YouTube & Co. nicht nur um die Aufmerksamkeit beim Zuschauer, sondern auch um die Durchleitung ihrer Daten. Wenn Kunden für einen Anbieter weniger zahlen als für den anderen, werden sie diesen auch häufiger und länger schauen. Diese Aushebelung des Gebots der Netzneutralität ist vor allem für Videos relevant: Ende 2021, so eine Studie von Cisco, werden Videostreams fast 80 Prozent des gesamten Internetverkehrs ausmachen.

Globale Lobby

Dr. Beutler vom SWR will deshalb schon heute dafür sorgen, dass Bits und Bytes der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender auch morgen noch Vorfahrt haben. Als Vorsitzender des strategischen Programms „Future Distribution“ (SPFD), an dem neben ARD und ZDF auch die Fernsehsender Rai (Italien) und BBC (Großbritannien) mitwirken, arbeitet er an Konzepten, die auf die Regulierung innerhalb der EU, das Spektrummanagement der ITU und schließlich auf die Standardisierungsorganisation 3GPP einwirken, die globale Mobilfunkstandards festlegt. Nach eigenen Angaben ist Beutler dabei sehr erfolgreich: Im 14. Release der 3GPP seien im vorigen Jahr nahezu alle Forderungen des SPFD übernommen worden.

Wie Beutler auf der Tonmeistertagung in Köln erklärte, will er mit der Einführung von 5G dafür sorgen, dass die Übertragungswege von Broadcast, Multicast und Unicast auf den Mobilfunkgeräten nahtlos wechseln können. Der Zuschauer sieht dann beispielsweise um 20 Uhr die Tagesschau im Live-TV-Programm per Broadcast und wechselt danach zu einem Spielfilm aus der Mediathek, der per Multicast oder Unicast übertragen wird.

Was Beutler dabei unter den Tisch fallen ließ: Mit der „Personalisierung“ des Programms erschließen sich die Fernsehsender auch neue Einnahmequellen durch Werbung. Denn sie sammeln unweigerlich Daten über die Sehgewohnheiten der Zuschauer und können gezielt abgestimmte Werbeclips zu höheren Preisen ausspielen. Indes soll das heutige lineare Fernsehen ohne Datenrückkanal nicht wegfallen. Dem Zuschauer soll das personalisierte Fernsehen aber so schmackhaft gemacht werden, dass er der Datensammlung freiwillig zustimmt.

Hybrider Empfang

Für die angepeilten Hybridlösungen braucht es Endgeräte, die nahtlos umschalten. Dazu haben die Sender bereits namhafte Hersteller ins Boot geholt, darunter Qualcomm, Ericsson, Nokia und AT&T. Mit der Empfangstechnik will Beutler nicht nur Mobilgeräte ausrüsten lassen, sondern vor allem Autos. Wenn Fahrer in den autonomen Fahrzeugen von morgen nicht mehr auf die Straße schauen, werden viele die Zeit mit Fernsehen verbringen, ist sich Beutler sicher. ARD und ZDF drängen deshalb darauf, dass in den Fahrzeugen passende Bildschirme und Empfänger installiert werden.

Ein mögliches Geschäftsmodell will sich Beutler aus Australien abschauen: Dort hat der Mobilfunkanbieter Telstra einen Vertrag mit der dortigen Fußball-Liga abgeschlossen, die den Zuschauern den Empfang der Spiele ohne weitere Kosten ermöglicht. ARD und ZDF wollen ebenfalls dorthin: Sie schließen selbst Verträge mit Netzbetreibern ab und bezahlen die Übertragung ihrer Programme, sodass der Kunde die Sendungen „kostenlos“ empfangen kann – er bezahlt sie indirekt über seine Rundfunkbeiträge.

Mit 5G werde man solche Deals häufiger sehen. Beutler verweist auf das bislang ungelöste Problem der Mobilvernetzung in der Industrie: Wenn ein Autohersteller wie VW seine Produktionsroboter per 5G vernetzen soll, werde er das nur tun, wenn er die volle Kontrolle über das Netz behält. Also muss er einen Vertrag mit einem Netzbetreiber abschließen, der die Infrastruktur bereitstellt. Doch hierfür brauche es neue Geschäftsmodelle. Eventuell könnten Hersteller hierfür auch Campus-Lizenzen erwerben, die im Zuge von 5G verteilt werden sollen.

Wann kommt 5G?

Bei den Terminvorstellungen tritt Beutler auf die Bremse. So könne man nicht erwarten, dass bereits 2020, wenn der Startschuss für 5G fallen soll, das neue personalisierte Fernsehen unmittelbar verfügbar sei. Wenn er den Turnus der Veröffentlichung neuer Mobilfunkstandards der 3GPP extrapoliere, dann erwarte er erste kommerziell nutzbare 5G-TV-Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender nicht vor 2025. Vorher würde die 3GPP Ende 2019 noch das LTE-Netz fit für TV-Dienste machen. Einen Standard fürs Multicasting (MBMS) über 5G werde man voraussichtlich 2020 verabschieden, sodass mit ersten Endgeräten 2022 zu rechnen sei und ein Jahr später vielleicht erste Pilotprojekte von ARD und ZDF starten.

Bis dahin ist also noch eine Menge Zeit, um die aktuellen Übertragungswege zu überarbeiten. So testen die Radiostationen derzeit in einem von der EU geförderten Projekt das sogenannte Hybrid Radio (www.hradio.eu). Hierbei soll der Zuhörer zum per DAB+ ausgestrahlten Programm zusätzliche Daten über Internet empfangen. Eine zugehörige App oder HTML5-Webseite fasst beides zusammen und erlaubt etwa Timeshift beim Empfang, indem es eine Radiosendung puffert und später auf einem anderen Gerät zeitversetzt weiterspielt. Ebenso sollen personalisierte Playlists möglich werden – verbunden mit individuell auf den Hörer zugeschnittener Werbung.

Das Projekt soll bis Mitte 2020 laufen. In puncto 5G wird Radio laut Beutler aber nur eine untergeordnete Rolle spielen. Denn über die notwendigen Spezifikationen, die festlegen, was mit 5G später einmal möglich sein wird und was nicht, bestimmen die Firmen mit dem meisten Geld – und da hinke das Radio den Fernsehsendern und Streaming-Diensten weit hinterher. (hag@ct.de)