c't 15/2020
S. 172
Wissen
Garantiesysteme

Garantiert kompliziert

Von Amazon bis Trusted Shops: Garantiesysteme als Konfliktschlichtungsinstanz

In Verbraucherohren klingen Begriffe wie „Käuferschutz“, „A-bis-z-Garantie“ und „Trusted-Shops-Gütesiegel“ nach Geborgenheit und Sicherheit. Bisweilen gewinnen solche Systeme eine starke Eigendynamik und lassen vergessen, dass im Zweifelsfall immer noch Gerichte bindend über Recht und Ansprüche entscheiden – auch wenn es um Online-Bestellungen geht.

Von Harald Büring

Ungeachtet des bestehenden komfortablen Widerrufsrechts und der gesetzlichen Gewährleistungsansprüche (siehe Kasten) können Verbraucher in der Praxis Schwierigkeiten haben, im Konfliktfall mit Online-Verkäufern klarzukommen. Dann werden hauseigene Standardverfahren zur Konfliktlösung, wie Online-Plattformen sie unter ihren eigenen Bedingungen bereitstellen, besonders attraktiv: Verkäufer und Käufer haben sich als Grundlage für die Teilnahme am Plattformgeschäft gleichermaßen an diese Bedingungen gegenüber dem Betreiber gebunden. Der tritt dann selbst in Aktion, wenn eine von beiden Parteien ihn im Konfliktfall einschaltet.

Die Tücken solcher Systeme liegen im Detail. Zugesagte Leistungen der Betreiber kann ein Käufer nur unter bestimmten Voraussetzungen in Anspruch nehmen. Und wenn ein Käuferschutzsystem eine Entscheidung in einem Konfliktfall fällt, hat eben nicht ein Gericht auf Grundlage geltender Gesetze entschieden – das heißt, es bleibt einer benachteiligten Partei unbenommen, den Konflikt auf dem Rechtsweg auszutragen. Ein Gericht kann dann etwa verlangen, dass ein von einem Käuferschutzsystem zu Unrecht begünstigter Käufer den Verkäufer entschädigen muss.

Ein „Einspruch“ bei Amazon ist kein wirkliches Rechtsmittel. Der Plattformbetreiber ist bei seinen Entscheidungen nicht an gesetzliche Vorschriften gebunden.

Wer Leistungen eines Plattform­betreibers in Anspruch nehmen will, sieht sich einem Dschungel komplizierter Bedingungen gegenüber, die keinen Vergleich mit Kleindruck-Textkunstwerken von Versicherungen zu scheuen brauchen. Ein Beispiel dafür liefert die für Amazons Marketplace geltende „A-bis-z-Garantie“: Sie greift nur, wenn einer von mehreren definierten Fällen eintritt [1]. Beispiele:

Der Verkäufer hat die Ware innerhalb von zwei Kalendertagen nach dem letztmöglichen voraussichtlichen Lieferdatum oder 30 Tage nach Aufgabe der Bestellung noch nicht geliefert, je nachdem, welche dieser beiden Fristen früher abläuft.

Die erhaltene Ware ist beschädigt oder defekt oder sie entspricht nicht der vom Verkäufer abgegebenen Beschreibung. Voraussetzung: Reparatur oder Ersatzlieferung ist nicht möglich.

Bei einer internationalen Rücksendung bietet der Verkäufer weder eine Rücksendeadresse in Deutschland an noch stellt er eine frankierte Paketmarke für eine kostenlose Rücksendung zur Verfügung oder bietet alternativ eine vollständige Erstattung unter Verzicht auf die Rücksendung des Artikels an.

Der Käufer musste zusätzlich zum Kaufpreis Kosten tragen (etwa Zollgebühren), die beim Kauf nicht ausgewiesen wurden und die der Verkäufer nicht übernommen hat.

Der Antrag auf Wahrnehmung der „A-bis-z-Garantie“ darf erst erfolgen, nachdem der Käufer den Marketplace-Verkäufer über seinen Account kontaktiert und zwei Tage auf eine Antwort gewartet hat. Und die Antragstellung muss innerhalb von 90 Tagen nach dem letztmöglichen voraussichtlichen Lieferdatum erfolgen. Für bestimmte Produkte greift die „A-bis-z-Garantie“ grundsätzlich nicht: digitale Waren, Zahlungen für Dienstleistungen sowie Zahlungsmitteläquivalente.

All das birgt jede Menge rechtlichen Zündstoff: Wann beispielsweise kann Ware als „beschädigt oder defekt“ gelten? Wann kann man sagen, dass sie von der Beschreibung im Angebot abweicht? Und wer soll beurteilen, ob eine Reparatur oder Ersatzlieferung möglich ist? Wenn Amazon über solche Fragen entscheidet, ist keinesfalls gesagt, dass ein Gericht in einem Zivilverfahren die gleiche Ein­schätzung trifft.

Hinzu kommt, dass es zwei Versionen der Bedingungen für die „A-bis-z-Garantie“ gibt. Die des Zahlungssystems Amazon Pay [2] nennt noch vagere Voraussetzungen für Reklamationen: Hier muss die Ware defekt oder beschädigt sein oder „wesentlich“ nicht der Beschreibung entsprechen. Was „wesentlich“ bedeutet, wird nicht definiert.

Also sprach eBay

Beim Online-Marktplatz eBay muss sich derjenige, der den Käuferschutz in Anspruch nehmen will, nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) für die Nutzung der deutschen eBay-Dienste [3] in Verbindung mit dem Grundsatz zum eBay-Käuferschutz richten [4]. Der Käuferschutz soll in den folgenden Fällen greifen:

  • Der Käufer hat seinen Artikel nicht erhalten.
  • Er hat etwas erhalten, was erheblich von der Beschreibung im Angebot abweicht.
  • Der gelieferte Artikel ist defekt oder fehlerhaft.
  • Der Käufer hat für einen ordnungsgemäß mit Sendungsverfolgung rückgesandten Artikel keine oder bloß eine unvollständige Rückerstattung erhalten.

Wenn Käufer PayPal für die Bezahlung nutzen, greift die PayPal-Käuferschutzrichtlinie. Deren Bedingungen lehnen sich eng an die der früheren Muttergesellschaft eBay an. Interessant ist eine Konkretisierung in Punkt 4.2 zur Frage, wann eine Abweichung eines gelieferten Artikels von der Beschreibung als „erheblich“ gelten soll [5]: wenn ein „völlig anderer“ Artikel geliefert worden ist oder ein angeblich neuer Artikel „offensichtlich“ bereits mehrfach benutzt worden ist, außerdem etwa bei einem gefälschten Artikel oder einer illegalen Kopie.

Organisiertes Vertrauen

Das System des Kölner Unternehmens Trusted Shops verschafft eigenständigen Betreibern von Online-Shops einige Dienste, die denen großer Plattformen ähneln. Wer bei zertifizierten Anbietern [6] kauft, genießt einen begrenzten Käuferschutz. Der beschränkt sich anders als die Systeme von eBay und Amazon ausdrücklich auf Lücken, die die gesetzlichen Ansprüche des Käufers offen lassen. So greift er etwa nicht bei Lieferung defekter Ware oder einer Abweichung von der ­Beschreibung. Punkt 10.2 der Trusted-­Shops-Garantiebedingungen sagt: „Die Garantie umfasst in keinem Fall die Absicherung sonstiger Ansprüche außerhalb der abgeschlossenen Verträge, die Ab­sicherung von Gewährleistungs- oder etwaigen Schadensersatzansprüchen.“ ­Darüber hinaus sind im Rahmen des kostenlosen „Basic“-Services lediglich maximal 100 Euro des Einkaufswerts je Bestellung abgesichert. Die Höhe der Absicherung und deren Dauer lassen sich bei der Bestellung abrufen: Hierzu klickt man im Shop auf das „Trusted Shops“-Gütesiegel.

Wer bei der Inanspruchnahme eines Käuferschutz- beziehungsweise Garantiesystems keine bösen Überraschungen erleben will, tut gut daran, die dafür geltenden Nutzungsbedingungen gründlich zu lesen – auch wenn diese Lektüre durchweg nervenzehrend ist. Und es ist wichtig, immer im Hinterkopf zu behalten, dass eine Konfliktschlichtung durch ein Käuferschutzsystem nur auf den einzelnen Rechtsverhältnissen zwischen der genutzten Plattform und den Kaufparteien beruht. Auf gut Deutsch: Für das direkte Rechtsverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer ist sie nicht bindend.

Käuferschutzsysteme sind keine Gerichte

Ein Verkäufer muss sich mit einer für ihn ungünstig verlaufenen Käuferschutzentscheidung nicht abfinden. Über eine Zivilklage kann er durchaus erfolgreich Ansprüche gegenüber dem zunächst frohlockenden Online-Kunden geltend machen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu zwei Grundsatzentscheidungen gefällt: Ein Urteil aus dem Jahr 2017 betrifft den PayPal-Käuferschutz [7], eines aus dem laufenden Jahr die „A-bis-z-Garantie“ des Amazon Marketplace [8]. Die Richter betonten, dass ein Verkäufer bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber seinem Kunden nicht an Entscheidungen des Plattformbetreibers gebunden ist.

Der BGH schrieb Amazon ins Stammbuch, dass das Verfahren des hauseigenen Garantiesystems weitgehend ungeregelt sei. Laut den selbstdefinierten Bedingungen braucht Amazon bei den Garantieentscheidungen keine gesetzlichen Vorschriften zu berücksichtigen. Überdies, so die Richter, sei der Maßstab für die Überprüfung des Garantieantrags unklar. Aufgrund dessen dürfe ein Käufer nicht erwarten, dass der Verkäufer an die Entscheidung des Plattformbetreibers gebunden sei.

So kann es durchaus passieren, dass ein Käufer selbst nach Einhaltung der komplizierten Formalien und bei einem vermeintlich gut dokumentierten Konflikt letztendlich in die Röhre guckt. Besonders ärgerlich ist, wenn Verbraucher im Vertrauen auf die Systeme der Plattform­betreiber möglicherweise Fristen verstreichen lassen, die für die Wahrnehmung gesetzlicher Ansprüche wichtig gewesen wären. (psz@ct.de)

Online-Quellen: ct.de/yu3n

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