c't 10/2022
S. 182
Story
Verwandelt
Bild: Michael Vogt

Verwandelt

Was macht einen Menschen zum Menschen? Über die grundlegende Identitätsfrage haben sich große Denker seit Jahrhunderten den Kopf zerbrochen. Was wohl ein künstlich intelligenter digitaler Denker dazu sagen würde?

Von Stefan G. Wolf

Als SmoKI.2 eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich auf seinem Nachtlager in einen mittelgroßen, alles in allem nicht allzu schlanken Menschen verwandelt. Er lag auf seinem Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seine schmächtige Brust und die Wölbung seines Bauches, auf dem sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch halten konnte. Unter dieser Decke zeichneten sich zwei verhältnismäßig dünne Beine ab, deren unterste Enden, rotfleischige Zehen mit blassen Nägeln, unter der Decke hervorlugten.

„Was ist mit mir geschehen?“, dachte er. Er erwartete einen Scan seiner Funktionen, eventuell einen automatischen Restart, das würde ihn gewiss beruhigen, aber nichts geschah. Er lag ganz einfach da und schaute an die Decke, die mit Isoliermaterial verblendet und formschlüssig auch mit den Seitenwänden verbunden war. Ausreichender Brandschutz entsprechend EN 1047-2, das war das Erste, was ihm dazu einfiel. Der Anblick des Raums, einer kühlen, unwohnlichen, von vielen verschiedenen Nutzern unterschiedlich dekorierten und mit vielen Geräten, Tischen und halbhohen Schränken vollgestellten, viel zu kleinen Werkstatt, gab ihm immerhin das Gefühl der Geborgenheit zwischen den vier wohlbekannten Wänden. Auf der Arbeitsplatte nahebei, die er sehen konnte, ohne den Kopf heben zu müssen, lagen verschiedene Werkzeuge, Schraubendreher vor allem, Lötkolben, verschiedene Messgeräte. An der Wand dahinter war eine Grafik angebracht, unsauber aus einer Zeitschrift herausgeschnitten, darauf ein Roboter, der mit einer nackten Frau im Bett lag. Darunter stand: Keep calm and fuck on!

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