c't 10/2022
S. 64
Titel
Mediendiät: Gezielter informieren
Bild: Rudolf A. Blaha

Der eigene Nachrichtenchef

Gezielter informieren, (Social-)Media-Konsum dosieren, Zeitdiebe einfangen

Fear of Missing out, Doomscrolling, Filterblasen, Fake News, Hate Speech: Das schier endlose, oft algorithmisch vorgefilterte Nachrichten-Fast-Food im Netz tut vielen Nutzern nicht gut. Mit unseren Tipps für einen gesünderen News-Konsum wählen Sie sich Ihre Quellen gezielt aus und trennen Interessantes von Unwichtigem.

Von Jo Bager

Viele neue Begriffe beschreiben Phänomene, die durch den ungesunden Konsum des ständigen Nachrichtenstroms entstehen – etwa Fomo, kurz für Fear of Missing out, also die Angst, etwas zu verpassen. Dabei schafft es der Mensch gar nicht, die ganzen Informationen zu verdauen, die im Netz auf ihn einströmen. Onlineplattformen und Medienverbreiter versuchen jedoch gezielt, die Schwachstellen der menschlichen Psyche auszunutzen. Dieser Artikel beschreibt die schädlichen Mechanismen und skizziert Maßnahmen für eine wirksame Nachrichtendiät.

Angst und Echokammern

Habe ich einen interessanten Kommentar bekommen, wurde ein Like verteilt oder eine Nachricht geschrieben, auf die ich reagieren sollte? Fomo bezeichnet die Sorge, nicht mitzubekommen, was auf Instagram, Snapchat, Facebook & Co. gerade passiert. Es hat mit dem – völlig normalen – Verlangen nach zwischenmenschlicher Interaktion zu tun, denn es ist für das Selbstwertgefühl wichtig, Zeit mit Freunden zu verbringen – auch online.

Viele Plattformen befeuern Fomo allerdings durch ihr Endless Scrolling: Wann immer der Nutzer in der Timeline weiterscrollt, lädt der Dienst neue Posts nach. Er erhält also nie das Gefühl, fertig zu sein. Das soll ihn bei der Stange halten, denn Aufmerksamkeit ist die Währung der werbefinanzierten Dienste: Nur wer auf der Plattform aktiv ist, dem kann man Werbung präsentieren. Das Endless Scrolling setzt den Leser aber permanent unter Druck. Obwohl er viel Zeit verdaddelt, behält er das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn er die Plattform verlässt.

Social-Media-Dienste nutzen weitere psychologische Kniffe, um Nutzer zu binden. Schreibt jemand zum Beispiel einen Beitrag und wird dieser von einem anderen gelikt, so gibt das dem Urheber jedes Mal einen kleinen positiven Kick. Laut Julia Brailovskaia, die an der Ruhr-Universität Bochum Psychologie lehrt, kann das nach und nach zu einem suchtähnlichen Verhalten führen. Dem Spiegel sagte sie: „Diese sozialen Verstärker tragen dazu bei, dass wir diese Apps immer mehr nutzen, weil wir durch sie positive Emotionen empfinden und gleichzeitig negativen Emotionen in der Realität entfliehen können.“

Filterblasen, auch Echokammern genannt, entstehen vor allem durch Aggregationsalgorithmen. Typischerweise haben Social-Media-Nutzer so viele Freunde oder folgen so vielen anderen Teilnehmern, dass es zu viel wäre, ihnen alle Nachrichten chronologisch zu präsentieren. Daher versuchen die Plattformen aus der Masse der Inhalte eine relevante Auswahl zusammenzustellen. Ihre Auswahlalgorithmen verfolgen aber auch den Zweck, den User lange zu binden. Er soll intensiv mit den Inhalten interagieren, also etwa Likes vergeben oder Inhalte weiterverbreiten.

Das führt oft dazu, dass die Algorithmen ihm immer mehr Inhalte präsentieren, die vermutlich seiner Meinung entsprechen – auch Inhalte, die er gar nicht abonniert hat, die aber woanders auf der Plattform populär sind.

Posts, die seine Meinung vielleicht infrage ziehen – zum Beispiel entsprechende Inhalte von Freunden mit einer anderen Sichtweise – sieht er dagegen immer weniger. Je mehr er sich darauf einlässt und mit solchen Inhalten interagiert, desto mehr besteht das Risiko, dass er in Filterblasen gerät.

In der Regel sind die Algorithmen für den Nutzer Black Boxes. Er erfährt nicht, auf Basis welcher Informationen er bestimmte Inhalte zu Gesicht bekommt oder nicht. Oft kann er nur sehr eingeschränkt auf ihre Funktionsweise Einfluss nehmen, wenn überhaupt.

Mit RSS-Readern wie Inoreader können Sie Ihren Nachrichten-Input nach Ihren eigenen Bedürfnissen zusammenstellen.
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Mehr vom Schlechten

Doomscrolling ist ein verhältnismäßig neuer Begriff für ein Verhalten, das in Hochzeiten der Pandemie Konjunktur hatte und durch den Ukraine-Krieg wohl bei vielen wieder aufgeflammt ist. Er bezeichnet das ständige Konsumieren schlechter Nachrichten. Doomscrolling wird durch das endlose Scrollen und durch Filterblasen begünstigt.

Dass schlechte Nachrichten uns in so besonderer Weise fesseln, liegt an unserem „Steinzeithirn“, zitiert Faz.net Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Sie sagt, das menschliche Gehirn sei darauf optimiert, Negatives besser, schneller und intensiver zu verarbeiten als positive Nachrichten. In der Steinzeit „konnte eine verpasste negative Nachricht potenziell das Letzte sein, was wir wahrnehmen.“

Doomscrolling ist aber nur ein Grund für die schlechte Stimmung, die in manchen sozialen Medien herrscht beziehungsweise die diese bei ihren Nutzern entfacht. Ein weiterer Grund ist die vollkommen überdrehte Debattenkultur in vielen sozialen Medien.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat die ihr zugrundeliegenden Phänomene in seinem Buch „Die große Gereiztheit“ analysiert. Ein wichtiger Grund für immer wieder aufkommende Shitstorms und unerbittlich ausgefochtene Streits: Jeder sei in den sozialen Medien Sender und Empfänger, was dazu führe, dass man online „der Gesamtgeistesverfassung der Menschheit“ schutzlos ausgesetzt sei. Diskursfilter, wie es früher die hierarchisch-vorsortierenden klassischen Medien waren, fehlen. Wenn dann zwei Meinungen aufeinandertreffen, kracht es. Dann ist der Weg zu Hate Speech nicht weit. Und dass jeder seine Version der Wahrheit verbreiten kann, führt außerdem zum Problem der Fake News.

Ein externer Client wie TweetShelf gibt einen ganz neuen Blick auf die Twitter-Timeline.
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