iX Special 2021
S. 44
Quantensysteme
Hardware

Quantenrechner heute

Kaum verschränkt

Dr. Reinhard Wobst

Quantencomputern werden exorbitante Fähigkeiten zugesprochen. Nur einen Bruchteil dessen können sie heute schon leisten.

Quantencomputer werden als Wunderwaffe gepriesen, denn sie arbeiten völlig anders als herkömmliche Rechner und sind exponentiell schneller als sie. Was exponentiell bedeutet, davon gab uns Corona eine erste Ahnung. Doch bei Quantencomputern ist das viel drastischer: Sie versprechen, Aufgaben zu lösen, die heutige Computer nicht einmal in der gesamten bisherigen angenommenen Lebenszeit des Universums bewältigen könnten.

Obwohl das Prinzip bereits seit den 80er-Jahren bekannt ist, stieg das Interesse an diesen „Höllenmaschinen“ erst in den 90ern sprunghaft an. Grund war die Entdeckung von ­Peter Shor, dass mit ihnen die Faktorisierung riesiger Zahlen, also die Zerlegung in zwei Primfaktoren, gelingen könnte und mit ihr das Brechen der RSA-Verschlüsselung. So ist es nur zu erklärlich, dass die NSA schon in den 90ern angeblich neun Universitäten in ihren Forschungen zu Quantencomputern unterstützte. Panik kam auf: Das Ende der Public-Key-Kryptografie schien nah und noch kein Ersatz in Sicht (siehe Artikel „In weiter Ferne“ auf Seite 70).

Das ist zwar alles denkbar, aber derzeit völlig unrealistisch. Die Bedeutung solcher Computer dürfte in absehbarer Zeit vielmehr im Lösen quantenmechanischer Aufgaben liegen, die die heutigen Rechner noch hoffnungslos überfordern. Beispielsweise könnten Berechnungen von Molekülstrukturen das Trial and Error der Chemie um Größenordnungen reduzieren, Legierungseigenschaften vorhersagen oder gar die Geometrie von Proteinfaltungen ermitteln – ein in der Medizin extrem wichtiges Gebiet.

Dazu würden schon kleinere Quantencomputer reichen: Schon mit über 50 frei programmierbaren Qubits wäre die Quantenüberlegenheit erreicht, was heißen soll: Klassische Computer strecken hier die Waffen (siehe Artikel „Ansichtssache“ auf Seite 14). Auch wenn derzeit erhebliche Anstrengungen unternommen werden, solche „kleinen“ Quantencomputer zu bauen – es gibt sie noch nicht, nur hoffnungsvolle Ansätze. Einige davon stellt dieser Artikel vor.

Googles Sycamore und Bristlecone

Nicht nur die NSA, auch große Konzerne investieren viel in die Quantencomputerforschung, allen voran IBM und ­Google. Ende 2019 erreichte Google mit seinem Sycamore-­Chip einen bemerkenswerten Durchbruch (siehe Abbildung 1). Er arbeitet auf Basis supraleitender Schaltkreise, der Transmons, und nennt 53 Qubits sein Eigen. Der Chip ist zwar nur für eine spezielle, praktisch unbedeutende Aufgabe konzipiert – doch löste Sycamore zum ersten Mal eine Aufgabe schneller als klassische Rechner: Laut Google in 200 Sekunden, während ein Supercomputer 10000 Jahre benötigt hätte.

Wie sein Vorgänger Sycamore kann Googles Bristlecone genau eine konkrete, hart verdrahtete quantenmechanische Aufgabenstellung lösen, aber das sehr schnell (Abb. 1).
Google

Gegen diese Schätzung legte IBM postwendend Widerspruch ein: Das Problem lasse sich mit einem besseren Algorithmus auch in 150 Sekunden auf Supercomputern lösen. Doch die Google-Autoren schreiben in ihrer Originalarbeit (siehe ix.de/z2vk): „Wir erwarten, dass geringere Kosten für die Simulation als hier erwähnt erreicht werden können, aber wir erwarten ebenso, dass diese immer wieder durch Hardwareverbesserungen in größeren Quantenprozessoren ausgestochen werden.“

Es ändert sich also nichts an der beeindruckenden technischen Leistung von Sycamore. Auch stellte Google 2018 bereits den Prototyp des Nachfolgers Bristlecone vor. Er bildet das momentan größte System nach Zahl der Qubits – immerhin 72. Auch er ist nur für eine spezielle, praktisch unbedeutende Aufgabe konzipiert. Dennoch dürften sich mit dem 72-­Qubit-Chip Bristlecone derartige Diskussionen endgültig erledigt haben, zumal die Forscher mit diesem Chip auch die Quantenfehlerkorrektur in Angriff nehmen wollen (siehe Artikel „Unumgänglich“ auf Seite 32).

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