MIT Technology Review 6/2019
S. 88
Meinung
Bücher

Adam reloaded

Wer verändert hier eigentlich wen? In seinem neuen Buch bricht Ian McEwan auf großartige Weise mit den üblichen Erzählungen über humanoide Roboter.

Ian McEwan: Maschinen wie ich Diogenes, 2019, 416 Seiten, 21,99 Euro

Die meisten Romane über unsere Zukunft mit Robotern folgen einem von zwei Mustern: entweder der Terminator-Variante der bösen, hassenswerten Maschine. Oder der R2D2-Version des ewig liebenswerten Dieners. Was aber, wenn beides der Fall sein wird? Wenn Menschen ihre Humanoiden lieben, Humanoide anfangen, die Menschen zu lieben – und das Ganze trotzdem desaströs endet?

Dann steckt man mitten in einer tiefgründigen, manchmal auch abgründigen Beziehungskiste – und zwar einer, bei der auf einmal gar nicht mehr klar ist, wo die Maschine aufhört und der Mensch beginnt. Dann sind alle Fragen nach dem Wesen eines Roboters immer auch Fragen nach dem Wesen des Menschen.

Genau das macht Ian McEwans neues Buch „Maschinen wie ich“ so spannend. Und wohl genau deshalb lässt der Autor seine Geschichte auch nicht in einer Jahrzehnte entfernten Zukunft spielen, sondern verortet sie im Großbritannien der 80er-Jahre. Nur nimmt die Historie einen anderen Verlauf: Premierministerin Margaret Thatcher verliert den Falkland-Krieg, ein Sozialist verdrängt sie von der Macht, Computergenie Alan Turing lebt noch und hat das Feld der künstlichen Intelligenz so weit vorangetrieben, dass tatsächlich Roboter möglich sind, die im alltäglichen Umgang nicht von Menschen zu unterscheiden sind. Sie müssen eben nur ab und zu an die Steckdose und haben einen Ausschalter. Jeder kann sie für 86000 Pfund kaufen, was die Hauptfigur Charlie umgehend tut.

Adam, so sein Name, putzt die Wohnung, dichtet Haikus, sorgt für etwas gestelzte, aber intelligente Gespräche und verdient für seinen Besitzer Zehntausende Pfund beim Online-Trading. Leider verliebt er sich aber auch in die Frau, auf die Charlie ein Auge geworfen hat – und schläft sogar mit ihr. Voller Wut will Charlie ihn ausschalten, aber Adam fängt seinen Arm ab und bricht ihm das Handgelenk, obwohl sein Programm ihm verbietet, Menschen zu verletzen. Anschließend findet Adam einen Weg, den Ausschalter zu deaktivieren.

An diesem Punkt hätte die Geschichte ebenso gut in die übliche Terminator-Richtung abdriften können. Aber McEwan holt sie immer wieder zurück auf die Ebene der Dreierbeziehung. Er will nicht wissen, wie Humanoiden die Welt verändern, sondern viel persönlicher: Wie verändern sie die Menschen? Und genauso entscheidend: Wie ändern Menschen ihre Humanoiden? Am Ende ist ihm eine große Erzählung vom Widerstreit zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen Liebe und Verrat gelungen – weit menschlicher als viele, die nur von Menschen handeln. Robert Thielicke

Klimawandel

Auf den Punkt gebracht

Die Studenten David Nelles und Christian Serrer hatten ein Problem mit dem Klimawandel: Die Materie war ihnen zu kompliziert. So entstand in der Mensa der Plan, selbst ein Buch darüber zu schreiben. Kurz und knapp, leicht verständlich, mit vielen Grafiken. Das ist gelungen, wobei versierte Leser die meisten Phänomene schon kennen dürften. Einige Infos dagegen überraschen – oder wussten Sie, dass manche Schmetterlingsarten vor der Erwärmung in höhere Lagen fliehen? Die Jungautoren baten renommierte Klimaforscher wie Hans Joachim Schellnhuber, ihnen fachlich zur Seite zu stehen. Damit möglichst viele das Buch lesen können, verkaufen sie es nun für nur fünf Euro im Eigenverlag. DANIEL HAUTMANN

David Nelles & Christian Serrer: „Kleine Gase – Große Wirkung: Der Klimawandel“. Eigenverlag, 128 Seiten, 5 Euro

ERDGESCHICHTE

Der Mensch – ein Produkt der Erde

Dass die Menschheitsgeschichte eng mit der Beschaffenheit unserer Erde verknüpft ist, liegt auf der Hand. Wie stark die Erde mit ihren Gewässern, Gebirgen und Gräben unsere Entwicklung lenkt, rollt Lewis Dartnells Buch auf: Er verknüpft virtuos Naturwissenschaften mit Geologie, Geografie und Geschichte und zeigt uns amüsant, detailverliebt und in unerwarteten Schlenkern, weshalb wir Menschen sind, wie, wo und was wir sind. Folgt man ihm auf diese Reise zu unseren Wurzeln, ergibt vieles Menschliche auf einmal Sinn, sogar dass Trump Präsident der USA werden konnte. Den Naturwissenschaftler kann Dartnell dabei nicht verleugnen: „Ursprünge“ ist ein hochkomplexes Lesevergnügen. Jo Schilling

Lewis Dartnell: „Ursprünge. Wie die Welt uns erschaffen hat“. Carl Hanser Verlag, 384 Seiten, 25 Euro (E-Book:18,99 Euro)

Klassiker neu gelesen

Prognostische Punktlandung

„Daß“ statt „dass“, „Mark“ statt „Euro“ und 360 ppm Kohlendioxid in der Luft statt 410 – würde der Leser nicht regelmäßig über so etwas stolpern, käme er kaum auf die Idee, ein mehr als 20 Jahre altes Buch zu lesen. Die Probleme wie Stau und Luftverschmutzung waren dieselben wie heute, und Vester analysierte schon damals, warum isolierte Gegenmaßnahmen wie etwa der Bau neuer Straßen kaum etwas bringen.

Vester (1925–2003), Mitgründer des BUND sowie Mitglied des Club of Rome, war von Hause aus Biochemiker und hat sich dann der Systemforschung zugewandt. In zahlreichen populärwissenschaftlichen Werken erklärte er den Umgang mit komplexen Systemen in so unterschiedlichen Disziplinen wie Pädagogik, Medizin, Stadtplanung, Energie, Ökologie – und eben Verkehr.

Ende der Achtziger untersuchte er für Daniel Goeudevert, den damaligen Deutschland-Chef von Ford, die zukünftige Rolle des Autos. Die Ergebnisse erschienen 1990 unter dem Titel „Ausfahrt Zukunft“. Der 1995 veröffentlichte Band „Crashtest Mobilität“ baut darauf auf, erweitert aber den Fokus auf den gesamten Verkehr.

Seine zentrale These lautet, dass man Verkehr nur als vernetztes System begreifen kann, und sich bei jeder Einzelmaßnahme fragen muss, wie sie sich auf die anderen Elemente des Systems auswirkt. Positiven Einfluss haben laut Vester vor allem eine Verteuerung des Sprits, kleinere Autos sowie eine bessere Verknüpfung der einzelnen Verkehrsmittel.

Das klingt heute trivial. Tatsächlich liefert das Buch halbwegs informierten Lesern keine grundlegenden Aha-Erlebnisse. Trotzdem lohnt sich die Lektüre, denn sie führt vor Augen, wie wenig von dem, was bereits vor 20 Jahren hinlänglich bekannt war, Einfluss in die Verkehrspolitik gefunden hat.

Zudem legt Vester einige prognostische Punktlandungen hin. Zum Beispiel: „Warum sollten die Autobauer der Zukunft keine Speicherbatterien und Energieboxen herstellen oder auch deren Vertrieb und Service in eigener Regie übernehmen können?“ Genau das tat Tesla gut zwei Jahrzehnte später.

Daneben gibt es auch einige Ideen, die aus heutiger Sicht utopisch bis skurril wirken – etwa ein Autozug, in den kleine Stadtwagen quer hineinpassen.

GREGOR HONSEL

Frederic Vester: „Crashtest Mobilität“ Heyne, 1995, 383 Seiten, antiquarisch