MIT Technology Review 1/2020
S. 40
Horizonte
Vorschau 2020
Grafik: Shutterstock

Göttliche Wolke

Gaia X soll die europäische Alternative zu den Clouds von Amazon, Google & Co. werden. Wie eine staatliche Initiative es mit den Datengiganten aufnehmen kann, wird 2020 noch für einige Diskus­sionen sorgen.

Von Boris Hänßler

Das Chaos existierte vor allem anderen. Es bestand aus Dunkelheit und Verwirrung, und dann nahm die Erde die Gestalt von Gaia, der griechischen Göttin, an. Der sternenklare Himmel, die Flüsse und Meere, Täler und Berge kamen aus ihr. Sie schuf das Leben und vertrieb das Chaos.

Es ist also ziemlich großspurig, ein Projekt Gaia X zu nennen. Zu großspurig? Das wird die Frage der kommenden zwölf Monate sein. Gaia X soll als europäische Cloud den Kampf mit US-Anbietern wie Google, Microsoft oder Amazon aufnehmen. Bislang existiert das Projekt jedoch nur in Form einer knapp 50-seitigen Schrift vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Klar ist bislang nur, dass der Staat nicht als Cloud-Anbieter auftritt, sondern bestehende Dienste von Industriekonzernen, Mittelständlern oder Start-ups intelligent vernetzen will. Er hat Partner wie Bosch, SAP, Telekom, Deutsche Bank und Siemens gewonnen, sogar die französische Regierung. Viel Auskunft gibt das Ministerium jedoch nicht, wenn es um Details geht. „Unser Ziel ist, die Idee 2020 in feste Formen zu gießen“, sagt eine Sprecherin. Im Frühjahr werde eine Organisation mit Rechtsfähigkeit gegründet, die dann erst die technische Lösung und ein Regelwerk erarbeite. Bis Ende 2020 sollen erste Anwendungsfälle laufen. Ein Beispiel dafür brachte Andrea Stich von Infineon auf dem Digital-Gipfel Ende Oktober in Dortmund ein: Unternehmen hätten zwar viele Daten über ihre Maschinen, aber die reichten für KI-Anwendungen wie Predictive Maintenance noch nicht. Erst wenn alle, die die gleichen Maschinen nutzen, ihre Daten in einen Pott schmeißen würden, wäre eine vorausschauende Wartung möglich