MIT Technology Review 5/2021
S. 30
Fokus
Technologische Souveränität
In 15 000-Liter-Edelstahltanks produzieren Mikroorganismen Bausteine für Biopharmazeutika.
Foto: Boehringer Ingelheim

„Die Rolle von Biotech wird unterschätzt“

In den nationalen und europäischen Strategien zu technologischer Souveränität findet Biotechnologie nur in Nebensätzen statt. Das ist wenig für ein Feld, das bis vor Kurzem noch als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts gehandelt wurde.

Von Jo Schilling

Wenn derzeit über die Souveränität Europas oder Deutschlands gesprochen wird, sind Corona-Impfstoffe, Quantencomputer, KI, Kreislaufwirtschaft, neue Materialien und Wasserstoff die Schlagworte. Allerdings sind die Corona-Impfstoffe eher zufällig in diese Diskussion geraten, weil wir von einer Pandemie überrollt wurden, die uns auf unser elementarstes Bedürfnis zurückgeführt hat: Überleben. Die Diskussionen um technologische Souveränität sind jedoch älter als die Impfstoffproblematik um SARS Cov-2 und unter den Technologien, die als Schlüssel für Unabhängigkeit auf deutscher und europäischer Ebene identifiziert wurden, ist eine nahezu unsichtbar: Biotechnologie.

Und auch jetzt – angestoßen durch den Mangel an Corona-Impfstoffen – wird Biotechnologie in der Diskussion weitgehend auf eine kleine rote Nische reduziert. Rot steht für einen der Sektoren der Biotechnologie, den medizinischen. Dazu zählen Arzneimittelentwicklung, Biochips zur medizinischen Diagnostik, personalisierte Verfahren in der Medizin bis hin zur Gentechnik. Ein Feld, in dem Deutschland und Europa stark sind, wie die rasante Entwicklung der Impfstoffe von Biontech und Curevac gezeigt hat. Die Unternehmen entwickelten bereits lange vor der Pandemie mRNA-Medikamente, vornehmlich für die Krebstherapie und waren flexibel genug, um kurzfristig auf Impfstoffe mit ihrer Technologie umzuschwenken. In diesem Fall ist der Weg zur vollständigen Souveränität Europas ein kurzer. Die globalen Handelsketten, die vom Rohstoff zum Impfstoff führen, sind zwar verworren und haben die internationalen Abhängigkeiten etwa von Lipiden und Glasfläschchen aufgezeigt, aber die gesamte Impfstoffproduktion von Biontech/Pfizer in Europa zu bündeln, ist keine Frage der Kompetenz sondern lediglich der Umsetzung. Und die treibt die EU derzeit aktiv voran. So hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA kürzlich neue Produktionsstandorte für Impfstoffe in den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz genehmigt.