MIT Technology Review 5/2021
S. 104
Fundamente
Jubiläum

Die Zähmung eines globalen Killers

Das HI-Virus hat eine steile Karriere hingelegt: Vor 40 Jahren entdeckt, erreichte es 2005 mit 1,8 Millionen Toten seinen Höhepunkt. Heute ist das Virus auf Platz 19 der häufigsten Todesursachen abgerutscht – aber es ist lange nicht besiegt.

Im März 1981 begann die Geschichte von AIDS: In New York registrierte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde, das U.S. Center for Disease Control (CDC), acht Fälle von Kaposi-Sarkomen bei jungen Männern, einer Form von Hautkrebs die normalerweise nur bei älteren Männern vorkommt. Nahezu zeitgleich wurde Sandra Ford aufmerksam. Sie war beim CDC für die Abgabe eines Medikamentes gegen Pneumocystis-carinii-Pneumonien (PcP) zuständig. PcP ist eine seltene Lungeninfektion mit einem Schlauchpilz, der Menschen mit einem defekten Immunsystem krank macht. Ein Arzt fragte den Wirkstoff für einen jungen homosexuellen Mann bei ihr an.

„Zwei Wochen später rief der Arzt an, um Nachschub anzufordern“, erinnerte sich Ford gegenüber dem US-Magazin Newsweek. „Aber niemand fragte jemals nach zusätzlichen Dosen. Die Patienten wurden normalerweise in einer zehntägigen Behandlung geheilt oder sie starben.“ Sie meldete den Vorfall und am 5. Juni 1981 veröffentlichte das CDC in seinem Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR) einen Artikel zu fünf PcP-Fällen. Allesamt weiße, zuvor gesunde schwule Männer aus Los Angeles. Der Immunologe Dr. Michael Gottlieb aus Los Angeles und Dr. Wayne Shandera von der CDC berichteten, dass die Männer gleichzeitig unter anderen ungewöhnlichen Infektionen litten. Der Verdacht der Mediziner: Deren Immunsystem versagt den Dienst. Diese Ausgabe des MMWR ist die erste offizielle Berichterstattung über die Infektionskrankheit, die wenig später als Seuche um die Welt ziehen wird.

Als Associated Press, Los Angeles Times und San Francisco Chronicle über den MMWR-Artikel berichten, trudeln innerhalb weniger Tage Berichte aus dem ganzen Land im CDC ein. Die Krankheit bekommt ihren ersten Namen: „Gay Men's Pneumonia“ – „Schwulen-Lungeninfektion“. Es folgen „Schwulen-Krebs“ und „-Seuche“.

Ende des Jahres zählte das CDC 337 Fälle: 321 Erwachsene und 16 Kinder unter 13 Jahren. 130 waren zum Jahreswechsel verstorben. Den Begriff „AIDS” als Abkürzung für Acquired Immune Deficiency Syndrome führte das CDC erst 1982 ein. Wieder mit einem Bericht im MMWR und einer hilflosen Erklärung: „Eine Krankheit, die mäßig auf einen Defekt in der zellvermittelten Immunität hindeutet und bei Personen auftritt, bei denen keine Ursache für eine eingeschränkte Widerstandskraft gegen diese Erkrankung bekannt ist.“

Elektronenmikroskopische, angefärbte Aufnahme des HI-Virus aus den 1980er-Jahren.
Quelle: Hans R. Gelderblom, Kolorierung: Andrea Schnartendorff/RKI

Von den heutigen diagnostischen Möglichkeiten noch weit entfernt, finden Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier erst 1983 am Pasteur Institut die Ursache für AIDS und nannten das Retrovirus Humanes Immundefizienz-Virus HIV.

1985 wird AIDS auch in Deutschland ein Thema. Rita Süssmuth startete als Familienministerin eine beispiellose Kampagne und machte klar: „Wir bekämpfen die Krankheit, nicht die Betroffenen.“

Inzwischen ist AIDS immer noch nicht heilbar. Antiretrovirale Medikamente unterdrücken die Vermehrung des HI-Virus so erfolgreich, dass Betroffene ein einigermaßen normales Leben mit durchschnittlicher Lebenserwartung führen können. Allerdings gilt das nur in Ländern mit guter medizinischer Versorgung. Selbst in Deutschland erkranken jährlich immer noch etwa 1 000 Menschen an AIDS. Jo Schilling