MIT Technology Review 1/2023
S. 52
Report
Gesellschaft
Illustration: Victor Kerlow

Ist das noch Wohltätigkeit?

Philanthropen, die sich auf den Effektiven Altruismus berufen, geraten zunehmend in die Kritik. Sie verfolgen mit ihren Spenden eine konservative, elitäre Agenda und gestalten mit ihrem Geld unsere Zukunft nach ihrem technokratischen Bild.

Rebecca Ackermann (Übersetzung: Wolfgang Stieler)

Es gehört zu den paradoxen Entwicklungen der amerikanischen Geschichte, dass die erfolgreichsten Industriekapitäne der USA beim Erwerb ihrer sagenhaften Reichtümer oftmals nicht wirklich zimperlich vorgegangen sind, nur um später einen Teil ihres Reichtums großzügig für wohltätige Zwecke auszugeben. Der Stahlmagnat Andrew Carnegie beispielsweise ließ 1892 im Homestead-Streik 300 mit Gewehren bewaffnete Pinkerton-Agenten einsetzen, um Streikbrecher in eine Fabrik zu bringen – die Aktion endete in einer Schlacht mit mehreren Toten. Auf der anderen Seite finanzierte Carnegie im ausgehenden 19. Jahrhundert rund 3000 öffentliche Bibliotheken.

Dass es auch im Hightech-Sektor aktive Philanthropen gibt, ist daher nicht erstaunlich. Im Umfeld der Silicon-Valley-Kultur hat sich allerdings eine ganz besondere Spielart der Wohltätigkeit reicher Spender entwickelt: der Effektive Altruismus (EA). Seit seiner Entstehung in den späten 2000er-Jahren versucht der Effektive Altruismus, die Frage zu beantworten: „Wie können diejenigen, die über die nötigen Mittel verfügen, auf messbare Weise den größten positiven Einfluss auf die Welt nehmen?“ Eine naheliegende Antwort besteht darin, Gelder an Organisationen zu geben, die evidenzbasierte Ansätze verwenden, um zu messen, wie viel positive Effekte Spenden haben. Da sich EA jedoch von einer akademischen Philosophie zu einer Gemeinschaft und einer Bewegung entwickelt hat, haben sich auch die Vorstellungen über den „besten“ Weg, die Welt zu verändern, weiterentwickelt.