FreeBSD – der unbekannte Riese

FreeBSD ist die populärste BSD-Version. FreeBSD-Code steckt im Herzen von Darwin und Apples Mac OS X, und eine Reihe großer Websites, darunter Netcraft und Yahoo, laufen mit dem freien Unix.

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FreeBSD entstand aus der Asche von 386BSD, dem ursprünglichen Versuch, BSD Unix auf die Intel-Plattform zu portieren. Seine Wurzeln reichen zurück bis zu Bill Joys legendärer Berkeley Software Distribution in den späten 70ern. 1989 begannen Bill und Lynne Jolitz mit der Portierung von BSD auf Intels 386-Prozessor; 386BSD sollte das freie Unix für x86-PCs werden. Das erste Release 0.0 erschien 1991, die erste benutzbare Version (0.1) 1992.

FreeBSD entstand 1993, nachdem das 386BSD-Projekt für Bill und Lynne Jolitz zu viel wurde. Der Code, der der BSD-Portierung auf den i386 zugrunde lag, ist auch Grundlage des ersten FreeBSD-Release.

FreeBSD ist ein Unix, das sich aus rechtlichen Gründen nicht Unix nennen darf. Admins wie Entwickler schätzen das System wegen seiner Solidität. Viele Behörden und Unternehmen im Technologiebereich nutzen FreeBSD intern als Entwickler- und Serverplattform; Cisco beispielsweise pflegt eine interne FreenBSD-Distribution zum Einsatz in seinen Next-Generation-Network-Produkten. Gegenüber Linux bietet die permissive BSD-Lizenz Vorteile für solche Unternehmen, weil sie ihnen erlaubt, proprietären eigenen Code mit dem FreeBSD-Code zu kombinieren, ohne den eigenen Code offenlegen zu müssen.

Für einen großen Teil seiner Geschichte kann FreeBSD für sich in Anspruch nehmen, das ausgereifteste Unix-artige Betriebssystem für x86-Commodity-Server zu sein. In den neunziger Jahren etablierte sich FreeBSD, berühmt für seine Geschwindigkeit, seine Zuverlässigkeit und eine jahrelange Uptime, als Betriebssystem für kleine wie große Web- und FTP-Server. Diese Phase kulminierte in der Veröffentlichung von FreeBSD 4.0, einer anerkannt robusten und zuverlässigen Server-Plattform.

Diese Tradition hat sich fortgesetzt. Obwohl FreeBSD niemals die Popularität von Linux und dessen Unterstützung durch Firmen wie IBM und HP erreichte, kann FreeBSD mit Linux mithalten – zumindest bei Anwendern mit Unix-Wurzeln und dem Wunsch nach altmodischen Tugenden wie Sicherheit und Zuverlässigkeit. In der Netcraft-Tabelle der zuverlässigten Webhoster belegt FreeBSD drei der ersten fünf Plätze.

Aber ebenso, wie FreeBSD auf FTP- und Webservern läuft, steckt es auch in Millionen Desktop-Systemen (nämlich in Mac OS X) – und in einer ganzen Reihe von Netzwerkgeräten wie Routern. Das System kann Linux-Binaries ausführen und wird häufig als Entwickler-Workstation eingesetzt.

Das BSD-Maskottchen, ein Teufelchen, heißt Beastie (das klingt wie ein schnell gesprochenes BSD) und soll die problemlose Operation der Daemonen (Hintergrund-Prozesse) repräsentieren, die auf BSD-Servern laufen. Das versteht allerdings nicht jeder, wenn man einer alten Geschichte glauben möchte, die erstmals 1989 im Usenet aufgetaucht ist.

Die BSD-Unixe verdanken ihre Existenz Bill Joy, der früheren Koryphäe bei Sun, der als Student in den siebziger Jahren in Berkeley vi, NFS und die C-Shell programmierte. Er war nicht nur einer der wichtigsten BSD-Entwickler, sondern schrieb auch den TCP/IP-Stack von BSD, den später viele Betriebssysteme verwendeten – darunter auch einige Windows-Versionen.

John Cage, damals ebenfalls Student in Berkeley und später Sun-Angestellter, erzählt: "BBN hatte den Auftrag, TCP/IP zu implementieren, aber die Software des Unternehmens funktionierte nicht, während Billys Kram lief. Es gab eine große Sitzung, in der sie den Studenten fragten: 'Wie hast du das gemacht?' Und er antwortete: 'Es ist ganz einfach – man liest das Protokoll und schreibt den Code.'"

Um Joys Beitrag zu BSD und die Entwicklung von BSD selbst ranken sich viele Mythen. Berkeley war damals für vieles ein Wegbereiter, und BSD wurde die Grundlage mehrerer proprietärer Unix-Versionen, darunter SunOS, DEC Ultrix und NextStep, das letztlich in Mac OS X aufgegangen ist.

Trotz des weitverbreiteten Glaubens, in Mac OS X stecke der FreeBSD-Kernel, nutzt das Apple-Betriebssystem lediglich Teile von FreeBSD auf Basis eines Mach-Kernels: Netzwerk-Stack, VFS und Subsysteme zum Umgang mit Dateien und zur Interprozesskommunikation. Apple hat einige Mitglieder der FreeBSD-Community eingestellt, vor allem FreeBSD-Begründer Jordan Hubbard, der jetzt "Director of Engineering of Unix Technologies" bei Apple ist, und hat via Darwin Code an die FreeBSD-Community zurückgegeben – wenn auch nicht immer ohne Missverständnisse.

FreeBSD steht für einen ständigen Fortschritt von Version zu Version (unterstützt von Apple), für beträchtliche Erfolge bei Web-Hostern und Herstellern von Netzwerk-Geräten, sowie für die Unterstützung von Behörden wie DARPA und NSA für TrustedBSD.

Aber es gab auch eine gerichtliche Auseinandersetzung um die Rechte am BSD-Code, die in mancherlei Hinsicht den SCO-Streitigkeiten um Linux ähnelt. Die Unix System Laboratories (USL) von AT&T hatten Berkeley Software Design Inc. (BSDi) und die University of California 1992 verklagt, weil die BSD-Distibution 4.3BSD-Lite angeblich geistiges Eigentum der USL enthalten sollte. 3.4BSD-Lite war die Grundlage der ersten beiden FreeBSD-Releases.

Der Streit wurde Anfang 1994 außergerichtlich beigelegt, wobei drei von 18.000 Dateien in 4.3BSD-Lite entfernt wurden. Als Teil der Vereinbarung veröffentlichte Berkeley das unvollständige 4.4BSD-Lite, und das FreeBSD-Projekt war gezwungen, das Betriebssystem in Teilen neu zu schreiben. Daraus resultierte das Anfang 1995 erschienene FreeBSD 2.0.

Die Bedingungen der Vereinbarung blieben zunächst geheim und wurden erst 2004 bekannt. Der Prozess war insofern ein Erfolg für BSD, als der Richter die Gültigkeit des geistigen Eigentums der USL anzweifelte und den Code in 4.3BSD-Lite als sauber anerkannte; aber er war auch ein Rückschlag für die Akzeptanz von BSD, der Raum schuf für das ungeheure Wachstum von Linux.

Obwohl FreeBSD nie die öffentliche Wirkung von Linux hatte, hat es sich doch als der "unbekannte Riese unter den freien Betriebssystemen" permanent weiterentwickelt. FreeBSD ist heute noch ebenso gesund wie früher und ist genau dort zu finden, wo man auch Linux vermuten würde: als preiswertes, sicheres und stabiles System auf Commodity-Hardware oder verborgen in Netzwerkgeräten von Cisco, Juniper, Force10 und NetApp.

Die ebenso idealistische wie permissive BSD-Lizenz erlaubt es, BSD-Code beliebig zu verwenden – ohne Verpflichtung, eigene Erweiterungen offenzulegen. BSDler argumentieren, Freiheit sei unteilbar, und der User sollte mit dem Code machen können, was immer er will.

Als logische Folge davon kann BSD-Code in jeder Form wiederverwendet werden, in proprietärer oder Open-Source-Software, solange eine Referenz auf die ursprüngliche Quelle erhalten bleibt. Diese Haltung hat je nach Sichtweise Vor- oder Nachteile; die BSD-Fans vertrauen dabei auf die besseren menschlichen Seiten. Und wenn einige den Code für proprietäre Zwecke einsetzen, ist es halt so: Das ist der Preis der Freiheit.

Die BSD-Lizenz hat durchaus Vorteile. Obwohl sich die GPL im kommerziellen Umfeld als erfolgreich erwiesen hat, waren es die BSD-Versionen, die die Sun-Techniken ZFS und DTrace übernehmen konnten, nicht der Linux-Kernel – Suns CDDL ist nicht mit der GPL kompatibel. Das ist der Preis der Freiheit, könnte jetzt ein Anhänger der GPL sagen. Lizenzierung ist der zentrale Unterschied zwischen der BSD- und der GNU/Linux-Community.

Hersteller, die ₣reeBSD einsetzen, nutzen es vor allem für Netzwerkgeräte und spezielle Anwendungen, die von der hohen Performance des Systems profitieren; teilweise auch, weil sie mit FreeBSD die Vorteile von Open Source und freier (im Sinne von kostenloser) Software mit dem Schutz ihres geistigen Eigentums verbinden können. BSD-Anhänger würden sagen, genau das ist so beabsichtigt.

FreeBSD ist nicht nur ein Kernel, sondern ein komplettes Betriebssystem, und die straff organisierte und demokratische FreeBSD-Community kontrolliert sämtliche Software. Dazu gehören auch die über 21.000 Programmpakete im Ports-System, die außerhalb des FreeBSD-Projekts entwickelt werden. So wie Linux-Distributionen BSD-Code enthalten, verwendet FreeBSD auch für Linux entwickelte Software wie KDE und Gnome. Die FreeBSD-Community mit ihrem Fokus auf (technischer) Qualität und der Struktur ihres Paketsystems ähnelt der Debian- oder Gentoo-Community in der Linux-Welt.

Es ist daher kein Zufall, dass es eine Gentoo-Version mit FreeBSD-Kernel gibt. und das Debian-Projekt hat letztes Jahr ebenfalls eine Distribution mit FreeBSD-Kernel angekündigt. Beide Projekte enthalten allerdings die GNU-Userland-Tools, die nicht von FreeBSD. Die Debian-Entwickler beschreiben Debian GNU/kFreeBSD als "Portierung, bestehend aus dem GNU-Userland und der GNU-C-Library auf Basis des FreeBSD-Kernels, mit dem normalen Debian-Paketarchiv" – ein Projekt, das interessante Vergleiche erlauben wird, wenn es weiter ausgereift ist.

Die jüngste FreeBSD-Version 8.0 vom November 2009 folgt der FreeBSD-Tradition, eine schnelle und robuste Plattform mit neuen und ausgereiften Features zu ergänzen. FreeBSD 8.0 bietet verbessertes virtuelles Hosting mit Jail v2 und der Virtualisierung des Netzwerk-Stacks durch VIMAGE, unterstützt den Betrieb als Gastsystem unter Xen und VirtualBox, enthält einen neuen USB-Stack und verbessert die Unterstützung für Dtrace und ZFS.

FreeBSD mag zwar nicht die Popularität von Linux erreicht haben, aber es hat seine treue User-Community, läuft auf einer Vielzahl von Hardware-Plattformen und ist Basis einer Reihe abgeleiteter Systeme. Die bekanntesten sind DragonFly BSD und PC-BSD; letzteres zielt auf Desktop-Anwender, enthält einen sehr einfach zu bedienenden Software-Installer und ist besonders benutzerfreundlich.

Aber FreeBSD hat es nie darauf angelegt, zu gewinnen. Michael Lucas, FreeBSD-Entwickler und Autor des Buches "Absolute FreeBSD", drückt das so aus:

"Den meisten von uns geht es nicht um Wettbewerb ... FreeBSD-Developer sitzen nicht in einem verqualmten Zimmer und planen den Sturz von Microsoft. Wir sitzen in hellen, luftigen Räumen und überlegen, wo wir die besten Drinks herkriegen." (odi) (odi)