"Horizon Call of the Mountain" angespielt: Anfassbar gut

"Horizon Call of the Mountain" ist ein wunderbar taktiles VR-Vergnügen für Sonys PSVR2-Headset. Doch die Einstiegshürden liegen VR-typisch hoch.

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(Bild: heise online)

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Es sieht wirklich aus wie "Horizon". Klar, die Auflösung der Umgebungen ist niedriger, die Texturen etwas unschärfer, die Spielwelt geradliniger. Verwechslungsgefahr besteht trotzdem nicht: Die VR-Umsetzung "Horizon: Call of the Mountain" für Sonys PSVR2-Headset ist ihrer flachen Vorlage erstaunlich nahe. Wie sich die Robodinos mit mechanischer Eleganz über den Bildschirm schleppen, entfernte Wasserfälle ins Tal krachen und die Sonne durch das Geäst scheint – das ist "Horizon" in Reinkultur. Und für ein VR-Spiel ziemlich beeindruckend.

Dabei liegt zu Beginn des Spiels ein Hauch von Tech-Demo in der Luft: "Call of the Mountain" ist das große Showcase zum Launch von Sonys neuem VR-Headset Playstation VR2, der "System Seller", der das 600 Euro teure Headset im Alleingang verkaufen soll. Dass Entwickler viel Geld für wirtschaftlich fragwürdige VR-Spiele in die Hand nehmen, ist eine Seltenheit. Seinen Launch-Blockbuster musste Sony also wieder selbst entwickeln lassen. Und direkt zum Start lassen die Entwickler von Guerilla Games und Firesprite die Muskeln spielen. Hauptfigur Ryas erwacht in einem Boot und darf erst einmal nur zuschauen. Weitläufige Landschaften, prächtiges Wetter und herausragend animierte Roboviecher bezirzen in der Eröffnungssequenz die Sinne, während man untätig den Fluss entlang geschleust wird. Nur gucken, nicht anfassen. Und bitte angemessen staunen über diese Grafikpracht!

"Horizon Call of the Mountain" angespielt (12 Bilder)

In "Call of the Mountain" kann man die einzigartige "Horizon"-Welt auch in virtueller Realität besuchen.
(Bild: heise online)

Recht schnell ist dann doch Tatkraft gefragt – die vermeintliche Tech-Demo wird zum vollwertigen Videospiel, das richtig viel Spaß machen kann. Dafür muss allerdings erst kalibriert werden: Man hat die Wahl zwischen normaler Stick-Steuerung und Fortbewegung per Gestensteuerung – dafür muss man abwechselnd die rechte und linke Hand mit den VR-Controllern nach oben bewegen, was ein wenig ans Laufen mit Skistöcken erinnert. Dazu kommen noch jede Menge Optionen zur Feinjustierung, darunter etwa die Stärke der Vignette und die Laufgeschwindigkeit. So kann sich jeder ein individuelles Profil zusammenstellen und hoffentlich Übelkeit durch Motion Sickness vermeiden.

Nicht nur optisch ist "Call of the Mountain" an die beiden "2D"-Vorgänger angelehnt. Auch spielerisch ist es überraschend nah dran an "Zero Dawn" und "Forbidden West". Man klettert, schießt Bogen, schleicht und löst kleine Rätsel. Die meisten dieser Aufgaben funktionieren in der virtuellen Realität ganz hervorragend. Bogenschießen etwa fühlt sich mit den neuen PSVR2-Controllern viel besser an als mit dem Gamepad. Mit der einen Hand streckt man den Bogen aus, während die andere über die Schulter in den fiktiven Köcher greift, dann die Bogensehne spannt und einen Pfeil auf erschreckend echt wirkende Roboter feuert.

Schnell spielt man sich dabei in einen Flow: Pfeil greifen, ziehen, zielen, feuern, wiederholen. Großartig. Dass das so intuitiv funktioniert, liegt auch am Eye Tracking der PSVR2. Meistens genügt es nämlich, den Bogen grob in die passende Richtung zu halten und das Objekt der Begierde intensiv anzustarren, um den erhofften Punkt zu treffen. Diese Präzision ist so wichtig, weil man die Dinomaschinen wie in den 2D-Vorlagen auch in "Call of the Mountain" gezielt in ihre Einzelteile zerlegen muss. Es reicht nicht, einfach blind drauf loszuballern. Man muss ihre Schwachpunkte treffen, um echten Schaden anzurichten.

In "Call of the Mountain" finden die Kämpfe weitgehend entrückt vom übrigen Spielgeschehen statt, die Open-World-Dynamik der 2D-Spiele fehlt hier völlig. Stattdessen wird Ryas durch lineare Level gelotst, die an bestimmten Stellen in vordefinierten Kampfarenen münden. Hier schaltet dann auch die Steuerung um: Man kann sich plötzlich lehnen, um Projektilen auszuweichen, und mit dem rechten Stick ein Ausweichmanöver einleiten. Sind alle Gegner besiegt, wechselt das Spiel wieder in den normalen Bewegungsmodus.

Ansonsten wird vor allem geklettert: Das Erklimmen von Bergen und Klippen macht zumindest in den ersten Spielstunden den Großteil von "Horizon: Call of the Mountain" aus und funktioniert ähnlich wie bei Cryteks VR-Spiel "The Climb".

Dass sich Sony die Bergsteigerei so in den Mittelpunkt rückt, ist etwas schade, weil das Klettern trotz bombastischer Kulisse einfach nicht so gut funktioniert wie das Bogenschießen. Dafür gibt es banale Gründe: In "Call of the Mountain" greift man Dinge, indem man die Hände um den Controller zu einer Faust ballt und die Schultertasten mit den Zeigefingern drückt. Das passt ausgezeichnet zum Ziehen einer Bogensehne oder zum Greifen eines Hebels.

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Aber beim Klettern haut die Geballte-Faust-Steuerung einfach nicht hin. Es kommt nie wirklich der Eindruck auf, dass man gerade tatsächlich eine Felswand hochkraxelt. Eher hat man das Gefühl, mit geballter Faust zwei körperlose Hände umständlich von einem Vorsprung zum nächsten fernzusteuern, ein wenig wie ein Baggerfahrer. Das erwartete Gefühl, einen Fels zu greifen, lässt sich schlicht nicht richtig in die Sprache der PSVR2-Controller übersetzen. Die eigene Hand macht das eine, die virtuelle etwas anderes – und schon ist die Immersion weg. Es gibt ein paar Ausnahmen, etwa beim Greifen von Seilen oder beim Klettern mit dem relativ schnell freigeschalteten Kletterpickel, aber insgesamt fehlt diese Harmonie aus virtueller Welt und Handbewegung, die zum Beispiel beim Bogenschießen gelingt.

Für derartig harmonische Momente sorgen dafür die zahllosen Spielereien, die Guerilla und Firesprite in "Call of the Mountain" eingebaut haben. Man kann gegriffene Glasflaschen am Boden zerschellen lassen, Sticks auf eine Trommel schlagen, Steine stapeln und mit Farbeimern und Pinsel lustige Phallus-Symbole auf Felswände schmieren. An einer Stelle löst man ein Puzzle, indem man einen Bolzen manuell in ein Zahnrad verkeilt.

Vieles davon kennt man schon aus "Half-Life: Alyx", dem VR-Schlager von Valve. Auch "Horizon: Call of the Mountain" ist vollgestopft mit solchen taktilen Vergnüglichkeiten, die eben nur in der virtuellen Realität Sinn ergeben. Man merkt sofort, dass den Entwicklern die Greifbarkeit ein großes Anliegen war: Türen werden durch händisches Entriegeln des Bolzens geöffnet, Schlüssel müssen wirklich umgedreht, Truhendeckel mühevoll angehoben werden. Selbst die verschiedenen Pfeil-Typen werden individuell aus ihren Einzelkomponenten zusammengestöpselt. Und um an die wertvollen Tech-Komponenten erledigter Roboterdinos zu gelangen, muss man ihnen schon mal kräftig das Auge ausreißen. In den 2D-Vorlagen ist das alles nur ein schnöder Knopfdruck. VR kann es besser.

"Horizon: Call of the Mountain" hat sicherlich seine wunden Punkte: Die Story plätschert zumindest in den ersten Spielstunden etwas belanglos vor sich hin, die blutleere deutsche Sprachausgabe hat den Charme eines Kinderhörspiels. Das Klettern, mit dem man einen Großteil seiner Zeit verbringt, kann im Gegensatz zum hervorragenden Bogenschießen auch mal nervig werden. Und mit einer Spielzeit von sechs bis sieben Stunden ist "Call of the Mountain" nicht ansatzweise so umfangreich wie die beiden 2D-Hauptspiele. Ein besseres Vorzeigeprojekt für Sonys PSVR2 gibt es trotzdem nicht. "Call of the Mountain" verbindet herrliche Kulissen mit immersiven Spielmechaniken und Robotermonstern, die in der virtuellen Realität eine ganz andere Größenwirkung ausstrahlen und wirklich atemberaubend aussehen.

Schade nur, dass die monetären Einstiegshürden so riesig sind: Um "Call of the Mountain" spielen zu können, braucht man natürlich erst einmal eine Playstation 5. Dann muss man sich noch ein PSVR2-Headset kaufen, dessen Preisempfehlung bei 600 Euro liegt. Und "Call of the Mountain" selbst ist noch ein Vollpreisspiel, kostet bei Sony also noch einmal 70 Euro. Ein Bundle mit PSVR2 gibt es für 650 Euro. Wenn Virtual Reality also Spieleluxus für Enthusiasten ist, gehört "Call of the Mountain" zu den luxuriösesten Spielen überhaupt – in jeder Hinsicht.

"Horizon: Call of the Mountain" erscheint am 22. Februar für PSVR2 auf der Playstation 5. Es kostet 70 Euro. USK ab 12. Für unser Angespielt haben wir eine Review-Version einige Stunden gespielt.

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(dahe)