"Mr. Windows Phone" geht: Joe Belfiore beendet Karriere bei Microsoft​

Im Sommer 2023 zieht Belfiore, der maßgeblich an der Entwicklung von Windows und Windows Phone beteiligt war, den Schlussstrich unter seine Microsoft-Laufbahn.

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Joe Belfiore vor Kacheln.

(Bild: Microsoft)

Lesezeit: 5 Min.

Nach über drei Jahrzehnten beendet Joe Belfiore seine Karriere bei Microsoft, in deren Verlauf er an großen Erfolgen des Software-Riesen maßgeblich beteiligt war, aber auch an dem vielleicht größten Flop. Dabei dürfte es genau dieser Flop sein, wegen dem der Manager nicht nur bei den Hardcore-Fans in guter Erinnerung bleiben wird: Joe Belfiore ist "Mr. Windows Phone".

"Heute habe ich meinem Team mitgeteilt, dass ich Microsoft nach 32 fantastischen Jahren (!) verlassen werde", teilte Belfiore am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit. Er werde noch bis Sommer 2023 bleiben, um den Übergang zu begleiten und sich dann seiner Familie widmen. Belfiore ist verheiratet und hat drei Kinder im Teenager-Alter. 2015 hatte er bereits eine Auszeit genommen und war mit der Familie um die Welt gereist.

1990 kam der junge Belfiore frisch von der Uni zu Microsoft. Mit einem Abschluss in Computer Science von der Stanford University heuerte er zunächst im OS/2-Team von Microsoft an, wechselte aber bald zum Kernprodukt Windows: Als Interface-Designer für Windows NT. In den folgenden Jahren war Belfiore in verschiedenen Rollen für die Bedienoberflächen von Windows 95, 2000 und XP sowie Internet Explorer verantwortlich.

Später sollte Belfiore in der Betriebssystemsparte für die wichtigsten Plattformen PC, Tablet und Mobiltelefon verantwortlich und maßgeblich am Erfolg von Windows 10 beteiligt sein. Heute gehört der Manager mit der markanten Frisur als Corporate Vice President Office Product Group zum Topmanagement der Office-Sparte. Doch vorher wird es erstmal bunt.

Anfang der nuller Jahre beginnt die "Metro"-Phase von Belfiores Karriere, in der sich alles um Kacheln dreht. 2002 stößt er zum Team der neu geschaffenen "eHome Division", die eine Plattform und Anwendungen für die Unterhaltungselektronik im modernen Haushalt entwickeln sollte. Hier entstand unter anderem das Windows Media Center, mit dem Microsoft auch deutsche Wohnzimmer erobern wollte.

Als Microsoft wenig später eine Antwort auf Apples iPod suchte, war Belfiore an Bord. Das Interface des Mediaplayers Zune ist vom Schweizer Design der 1960er Jahre inspiriert: Klare Formen, kein Zierrat, reine Typografie. Scrollen kann man auch horizontal, was neue Möglichkeiten der Navigation eröffnet. 2006 kommt der erste Zune auf den Markt, zwei Jahre später wird Belfiore Chef der Zune-Abteilung.

Als CEO Steve Ballmer merkt, dass Microsoft im heißen Smartphone-Rennen den Anschluss zu verlieren droht, versucht er den Befreiungsschlag. Statt nur einer neuen "Windows Mobile"-Version soll es ein komplett neues System werden. Belfiore wechselt in die Mobile Division und bringt das für den Zune entwickelte "Metro"-Design mit. 2010 kann Ballmer das Ergebnis auf dem Mobile World Congress in Barcelona vorstellen: Windows Phone 7 soll für Microsoft "ein großer Schritt" werden.

Doch der Riese aus Redmond verstolpert schon den Start. Eigentlich sollte das neue Betriebssystem schon 2009 fertig sein, doch Microsoft muss den Launch verschieben – und verliert ein wertvolles Jahr. Als Windows Phone 7 dann im Herbst 2010 kommt, fehlen noch zentrale Funktionen, die erst ein Jahr später mit Version 7.5 nachgereicht werden.

Das System räumt mit dem verspielten Skeuomorphismus, den Apple popularisiert hat, gnadenlos auf: An einem Raster ausgerichtete Kacheln, die interaktiv die Inhalte aus Apps oder Systemteilen anzeigen, schnörkellose Typographie, innovatives Informationsdesign. Vielleicht war die Metro UI ihrer Zeit zu weit voraus. Vielleicht war es aber auch ein Fehler, sie auch dem Desktop-System Windows 8 überzustülpen, das wegen der ganzen Kacheln nicht besonders beliebt war.

Wie seine Vorgänger basiert Windows Phone 7 auf einem CE-Kernel, über den die in Silverlight programmierte Metro-Oberfläche gelegt wurde. Mit Version 8, das vor ziemlich genau zehn Jahren vorgestellt wurde, zog Windows Phone auf einen NT-Kernel um – was zur Folge hatte, dass zahlreiche Geräte der ersten Generation den Systemsprung nicht mitmachen konnten. Microsoft ließ seine ersten Kunden im Regen stehen.

Die Geschichte von Windows Phone ist kurz und endet tragisch. In einem verzweifelten letzten Versuch, Windows auf dem Smartphone zu etablieren, schmiedet Ballmer eine Allianz mit Nokia. "Two turkeys do not make an eagle", spottet Google-Manager Vic Gundrota. Der Rest ist Geschichte: Auch mit der Übernahme von Nokias Gerätesparte kann Microsoft Windows Phone nicht retten. Ballmer geht, sein Nachfolger räumt rigoros auf.

Joe Belfiore war dabei, vom Anfang bis zum Ende. Er war bei Microsoft zuletzt für die Office-Sparte tätigt, wird aber als "Mr. Windows Phone" in Erinnerung bleiben – und das nicht nur bei den vielen WP-Fans, die es immer noch gibt.

(vbr)