zurück zum Artikel

Wizards Unite: 24 Stunden mit dem neuen Harry-Potter-Spiel

Gerald Himmelein
Wizards Unite: 24 Stunden mit dem neuen Harry-Potter-Spiel

(Bild: Niantic)

Mit "Pokémon Go" ist Niantic ein Welterfolg gelungen. Kann der Nachfolger Wizards Unite da mithalten?

Wer "Harry Potter: Wizards Unite" vor dem Deutschlandstart aus Drittquellen installierte, kam nur durch's Tutorial: Die virtuelle Welt war öd und leer. Erst am Samstagabend legte Niantic den Schalter um. Plötzlich materialisierten sich Gasthäuser, Gewächshäuser und Festungen auf der Karte sowie rotierende Schilder, Kräuter, Schatullen und Gießkannen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung [1].

Bevor es losgeht, gleich ein Geständnis: Der Schreiber dieser Zeilen kennt Harry Potter zwar vom Hörensagen und vom Medienrummel her, sah aber bisher keine Veranlassung, die Bücher oder Filme zu konsumieren. Derselbe Redakteur installierte aber vor drei Jahren "Pokémon Go [2]" mit ebenso unverstelltem Blick – und mochte, was er dort vorfand.

Beim grundsätzlichen Spielprinzip bleibt sich das Entwicklerstudio Niantic treu: Das Spiel zeigt eine virtuelle Karte, die an Koordinaten der realen Welt gebunden ist. Um die Spielfigur auf der Karte zu bewegen, muss sich der Spieler in der realen Umwelt bewegen. Orientierungspunkte aus der realen Welt, etwa Kirchtürme, Informationstafeln oder Skulpturen, dienen als Anker für besondere Spielelemente – bei Wizards Unite sind es Festungen, Gewächshäuser und Gasthäuser. Kommt man diesen nahe genug, kann man darauf tippen und Aktionen auslösen.

In Festungen stellt man sich Herausforderungen, in Gewächshäusern erhält man Pflanzen und in Gaststätten tankt man Zauberenergie. Letztere benötigt man zum Zaubern, was die wichtigste Tätigkeit im Spiel ist. Überall in der virtuellen Welt materialisieren sich bunte, rotierende Schilder. Sie sind "Spuren" eines mysteriösen Desasters, das magische Gegenstände in der realen Welt gefangen hält. Aufgabe des Spielers ist es, diese Gegenstände von "Fundwächtern" zu befreien, damit sie in die Welt der Zauberei zurückkehren können.

Niantic

In Gartenhäusern kann man Kräuter ernten und anbauen.

(Bild: Niantic)

Was ganz schön abstrakt klingt, ist eigentlich simpel: Tippt man auf eines der drehenden Schilder, erscheint nach einer Kunstpause ein Monster, ein gefangener Zauberschüler oder ein gefesselter Gegenstand. Dann blendet das Spiel ein Symbol ein, dem man mit dem Finger folgen muss – möglichst schnell und möglichst präzise. Jedes Symbol steht für einen Zauberspruch, der Monster bannen, Schüler befreien oder Fesseln lösen soll. Gelingt der Spruch, belohnt das Spiel die gute Tat mit Erfahrungspunkten und Bonusgegenständen. Misslingt ein Zauber, kann man ihn oft noch ein paar Mal versuchen, bevor der verzauberte Gegenstand zu Nichts zerfällt.

Harry Potter: Wizards Unite (0 Bilder) [3]

[4]

Je nachdem, wie gut und schnell der Spieler das Zaubersymbol nachzieht, bewertet das Spiel den Einsatz als "brauchbar", "gut" oder "großartig". Spieler mit großformatigen Handys sind hier klar im Vorteil. Bewährt hat sich auch der Einsatz eines Touchscreen-Stifts, mit dem sich insbesondere Kurven deutlich präziser nachziehen lassen als mit dem Zeigefinger. Tränke erhöhen die Chancen auf einen erfolgreichen Zauber.

Einige "Spuren" führen zu handfesten Auseinandersetzungen mit Kobolden und anderen Kreaturen. Hier muss man mit dem Finger erst eine Zielscheibe treffen und dann ein Symbol nachfahren, um anzugreifen. Diagonale Striche dienen zur Verteidigung vor Gegenangriffen. Auch diese Duelle verbrauchen Zauberenergie. Die in den Festungen zu bestehenden Herausforderungen sind ebenfalls Kämpfe, nur dass man sich hier Schützenhilfe von befreundeten Spielern holen kann.

Neben Erfahrungspunkten belohnt das Spiel die viele Zauberei mit: Sammelbildchen. Hierfür stellt Wizards Unite ein "Register" bereit, das sich in vier Kategorien einteilt. Die Ergebnisse der "Spuren"-Beseitigungen landen unter "Erforschung" – allein dieser Bereich besteht aus dreißig Bildern. Jedes dieser Bilder besteht aus fünf Aufklebern; einige Aufkleber bestehen aus 4 bis 15 "Fragmenten" – sprich, man muss dieselbe Aufgabe fünfzehn Mal lösen, bevor der Aufkleber vollständig im Bild erscheint. Unter "Herausforderungen", "Mysterien" und "Events" finden sich weitere Bilder – hier kann Niantic endlos nachlegen.

Gelegentlich schenkt das Spiel Tränke, die man auch selbst brauen kann. Das Brauen eines einfachen Tranks dauert zwei Stunden. Die Kochdauer lässt sich um 15% verkürzen, indem man eine Reihe von Wischgesten eingibt. Welche das sind und in welcher Reihenfolge man sie ausführen muss, gilt es selbst herauszufinden – diesbezügliche Hinweise sind in der Online-Hilfe und in den Tränke-Informationen versteckt.

Mitunter erscheinen in der virtuellen Welt "Portschatullen", eine von vielen hässlichen Übersetzungen im Spiel (Original: "Portmanteau"). Sie lassen sich mit "Portschlüsseln" öffnen. Ein goldener Portschlüssel wird dem Spieler geschenkt, silberne Schlüssel gibt's mitunter als Belohnung. Beide Typen brauchen ein paar Kilometer, um eine Schatulle zu öffnen – je nach Güte der Schatulle muss der Spieler hierzu 2, 5 oder 10 Kilometer zurücklegen.

Die Portschlüssel öffnen das wesentliche Augmented-Reality-Element des Spiels: Mit dem Tipp auf eine Portschatulle betritt der Spieler einen virtuellen Raum, durch den er mit Schwenks des Smartphones navigiert. In diesem Raum verstecken sich fünf weiß leuchtende Kugeln ("Schlickschlupfen"). Wer sie findet und antippt, der erhält diverse Belohnungsgegenstände.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung [5].

Auch die virtuellen Gebäude des Spiels haben es in sich. In Gasthäusern kann man "Antiobskuranten" einsetzen, damit sich im Umfeld zusätzliche "Spuren" materialisieren. In Gewächshäusern darf man Saatgut anpflanzen, um die daraus gewachsenen Pflanzen nach 25 Minuten bis 24 Stunden abzuernten. Diese Bepflanzungen kommen auch allen Mitspielern zugute, die das Gewächshaus besuchen. In den Festungen erfüllt man Herausforderungen unterschiedlicher Stufen, wobei sich die Qualität der Belohnungen nach dem Schwierigkeitsgrad richtet. Mit Freunden gemeisterte Herausforderungen honoriert das Spiel mit zusätzlichen Erfahrungspunkten.

Ein eher lästiges Spielelement ist das Ressourcenmanagement. Tränke, Zutaten, Gegenstände, Runensteine, Samen und Wasser werden in separaten "Verliesen" untergebracht, die immer wieder überlaufen, wenn man überschüssige Gegenstände nicht gewissenhaft löscht. Mehr Platz kostet Gold, das erst einmal verdient werden will – sofern man nicht bereit ist, im spielinternen Shop reale Euros dafür auszugeben.

Das ist bei Weitem noch nicht alles: So kann man einen von drei Berufen erlernen (Auror, Magizoologe oder Professor), wofür man Zauberbücher und Schriftrollen sammeln muss. Auch gilt es, einen Ministeriumsausweis zu pflegen, sein Avatar-Foto zu schmücken, einen Zauberstab zu gestalten, ein Hogwarts-Haus zu wählen, Spezialaufträge zu erfüllen, Erfolge abzuhaken und natürlich Tagesaufträge zu erledigen. Und dann ist da noch die Rahmenhandlung: Als Mitglied der Eingreiftruppe zur Wahrung des Geheimhaltungsstatus der Zauberwelt, kurz "W.d.G.", muss man herausfinden, wer hinter dem Desaster steckt, das die magischen Gegenstände in die Welt pustet, und hoffentlich etwas dagegen unternehmen.

Niantic

Wizards Unite ist sehr textlastig.

(Bild: Niantic)

Für Harry-Potter-Fans erscheint Wizards Unite womöglich als Geschenk Rowlings. Wer mit dem Potterversum nicht auf Du steht, sieht sich hingegen einer steilen Lernkurve gegenüber. Das Pokémon-Universum folgt einer recht einfachen Grundidee: alles fangen, was einem unter die Finger kommt, dann entwickeln und die Besten hochpowern, um damit in Arenakämpfen bestehen zu können. Die Harry-Potter-Welt ist wesentlich komplexer.

Bei Pokémon Go klagten Spieler anfangs, ihnen fehle es an Spieltiefe. Diese hat Niantic im Laufe der Monate und Jahre dann scheibchenweise nachgereicht. Wizards Unite geht hingegen sofort in die Vollen – das ist im besten Fall überwältigend, kann aber auch überfordern.

Auch wenn das Spiel deutlich nach den Filmen gestaltet wurde, bleibt es insofern seinen Ursprüngen treu, als es viel zu lesen gibt. Viel, viel, viel zu lesen. Jeder neue Spielbereich wird mit drei, vier Sprechblasen eingeführt. Überall gibt es Info-Punkte, die weitere Details preisgeben, oft über mehrere Bildschirmseiten hinweg.

Die teils beklagenswerte, teils lachhafte Lokalisierung hilft da nicht: Eine Fehlermeldung lautet doch tatsächlich "Samen und Wasser-Verlies ist voll!". Die (gut versteckte) Online-Hilfe bezeichnet das Inventar als "Tresor" statt als Verlies. Anglophile werden irgendwann entnervt die Spielsprache umstellen – das geht immerhin.

Niantic

Einige Übersetzungen sind unfreiwillig komisch.

(Bild: Niantic)

Wer von Ingress oder Pokémon Go kommt, dem wird vieles bekannt vorkommen. Die grundsätzliche Spielidee bleibt dieselbe: Durch die Gegend gehen, auf ortsgebundene Symbole tippen, eine Animation abwarten, stehen bleiben, einen möglichst präzisen Strich ziehen, Belohnungen einsacken, weitergehen. Ist die Grundressource bei Pokémon Go der Pokéball, ist es bei Wizards Unite die Zauberenergie.

In Harry Potter: Wizards Unite gibt es irre viel zu tun: Fundwächter unschädlich machen, Tränke brauen, Register pflegen, Pflanzen pflanzen, Tagesaufgaben abhaken, und natürlich: Gaststätten und Gewächshäuser abgrasen sowie Festungen besuchen, um Herausforderungen zu bewältigen. Doch dieses volle Menü hinterlässt zumindest in den ersten 24 Stunden nicht den Eindruck zusätzlicher Spieltiefe. Vielmehr entsteht das Gefühl, dass das Spiel sich auf der horizontalen Ebene verliert: Irgendwie wirkt das Ganze eher verwirrend als motivierend. Vielleicht hätte ein Warnschild am Anfang geholfen: "Muggels müssen leider draußen bleiben." (dahe [6])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4453875

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[2] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Pokemon-Go-ein-Sommer-voller-Herausforderungen-4445582.html
[3] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4453907.html?back=4453875;back=4453875
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_4453907.html?back=4453875;back=4453875
[5] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[6] mailto:dahe@heise.de