EHEC-Hysterie
02.06.2011 - Florian Rötzer
Die Infektionen steigen sprunghaft an, aber die Hysterie ist (noch) unbegründet, ebenso die Warnung vor Gurken, Tomaten und Salat
Langsam hatte die Ausbreitung der EHEC-Infektion und der damit verbundenen Erkrankung an dem gefährlichen hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) Anfang Mai begonnen, aber es gibt noch immer kein Anzeichen dafür, dass der Höhepunkt überschritten sein könnte. Zudem muss auch nicht unbedingt ein Durchfall auftreten, manche Infizierten zeigen auch nur schwere neurologische Symptome.
Allein am Mittwoch meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 365 neue Erkrankungsfälle. Die meisten werden weiterhin im Norden Deutschlands, in Schleswig-Holstein, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, verzeichnet. Im Mai waren unter den insgesamt zwischen dem 2. und dem 31. gemeldeten 1064 EHEC-Fällen 470 HUS-Erkrankungen. Das zeigt, dass der Erreger gefährlich ist, zudem wächst nicht nur die Zahl der EHEC-Infektionen, sondern eben auch die der HUS-Infektionen sprunghaft.
Schwierig ist, dass die Inkubationszeit bis zu 10 Tage betragen kann, zudem ist die Informationslage unterschiedlich, es dauert, bis die Informationen aus den Krankenhäusern zu den Gesundheitsämtern und dann zum Robert Koch-Institut gelangen. "Es gibt keinen Anlass für eine Entwarnung", sagte gestern RKI-Präsident Professor Reinhard Burger am Mittwoch anlässlich einer Sondersitzung des Verbraucherausschuss im Bundestag. Es sei nicht auszuschließen, dass es weitere Infektionen gebe. Die Quelle sei weiterhin unbekannt, so Burger. Allerdings ist, nüchtern gesehen, die Infektion zwar unheimlich, Panik aber ist keineswegs angesagt. Bislang sind vermutlich 17 Menschen in Deutschland daran gestorben, es werden mehr werden.
Die Aufregung verdankt sich aber vor allem dem Umstand, dass die Infektionsquelle nicht bekannt ist und dass die Medien einmal wieder die Hysterie anstacheln. Es geht gesellschaftlich auch um die Unterscheidung, welche Krankheiten und Todesursachen man als gegeben hinnimmt und welche als unheimlich bzw. vermeidbar gelten. Rational ist die Unterscheidung kaum zu machen, was Epidemien wie die Grippe ähnlich erscheinen lässt wie Terrorismus. Zwar spielen die Opferzahlen statistisch kaum eine Rolle, die Gefahr wird aber durch die Unheimlichkeit der Verursacher/Täter, vor allem aber durch die scheinbar wahllose Selektion der Opfer - jeder kann es werden - hochgespielt. Dagegen setzt man sich weitgehend ungeängstigt ins Auto oder fährt mit dem Fahrrad, obgleich die Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden, sehr viel höher ist.
Zunächst hatte man geglaubt, die Infektionsquelle ausgemacht zu haben. An vier Gurken aus Spanien waren EHEC-Bakterien gefunden wurden. Medien sprachen gleich in der üblichen hysterischen Übertreibung von "Killergurken", die praktischerweise noch dazu aus dem Ausland kamen, wo man gerne das Böse hinsteckt. Die Hoffnung, damit der Infektionsquelle auf die Spur kommen zu können, hatte sich aber schnell wieder zerschlagen, nachdem zwar EHEC-Bakterien nachgewiesen werden konnten, aber es waren nicht solche vom Stamm O104:H4 zu finden, der für die Ehec-Infektionen verantwortlich ist. "Die Quelle der anhaltenden Infektionen ist noch nicht ermittelt", musste so BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel einräumen. Spanische Politiker wollen nicht nur Schadensersatz von der deutschen Regierung, sie essen auch demonstrativ spanische Gurken, um deren Ungefährlichkeit zu demonstrieren.
Gleichwohl warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weiter, nicht nur Vorsicht und Hygiene walten zu lassen, sondern vor allem Gurken, Tomaten und Salat als Rohkost zu meiden. Wie sich aus einer nicht mehr ganz aktuellen Studie des Robert Koch-Instituts und der Hamburger Gesundheitsbehörden ergeben habe, hätten "vom aktuellen EHEC-Ausbruch betroffene Patienten signifikant häufiger rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate verzehrt als gesunde Studienteilnehmer."
Aber das sagt eigentlich noch wenig aus, ist lediglich eine statistische Vermutung, zumal die Infektion auch anders übertragen werden könnte, beispielsweise auch durch Menschen. Allerdings sind bislang Frauen besonders betroffen, was man auch auf die Ernährungsweise zurückführt. Zwar stammen die gefährlichen E.coli-Bakterien von Tieren, aber man vermutet, dass die Frauen eher Gemüse als Rohkost essen, das mit Gülle gedüngt worden sein könnte, wobei Bio-Anbauer im Verdacht stehen. Aber warum nur Gemüse, was ist mit Obst? Die WHO weist auf eine Vielzahl von möglichen Infektionsquellen hin: Gemüse, Obst, Fleischprodukte, Milch, getrocknete Salami, Käse, Jogurth, Wasser ...
Ein Zusammenhang scheint am stärksten durch die Region Norddeutschland gegeben zu sein. Auch bei den Infektionen, die bislang im Ausland (Schweden, Dänemark, Tschechien, Österreich, Frankreich oder Großbritannien) aufgetreten sind, handelt es sich in der Regel um Menschen, die sich in Norddeutschland aufgehalten haben.
Ob man die Quelle wirklich entdecken wird, scheint fraglich. Je mehr Zeit seit dem Ausbruch verstreicht, desto mehr Möglichkeiten gibt es, wie sich die Infektion verbreiten kann. Interessant ist immerhin, dass bei aller Ratlosigkeit die Idee, dass es sich um einen Anschlag mit Biowaffen handelt, nicht gehegt wird. Das wäre vermutlich vor ein paar Jahren noch anders gewesen, als systematisch die Angst vor Anschlägen mit biologischen Waffen geschürt wurde. Insofern haben sich die Zeiten erfreulich beruhigt. Weniger beruhigt zeigen sich die zuständigen Behörden, die die Sache nicht in den Griff bekommen. So heißt es scheinbar beruhigend von der Bundesregierung:
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner und Gesundheitsminister Daniel Bahr haben nach einem Treffen mit ihren Länderkollegen betont, Bund und Länder zögen beim Kampf gegen Ehec an einem Strang. Erkrankte werden gut versorgt. An der Aufklärung über die Herkunft der gefährlichen Bakterien arbeiten die Fachleute ohne Unterbrechung.
Muss man das so machen?