438 ukrainische Soldaten desertierten nach Russland

In der Nacht auf Montag desertierten Hunderte ukrainische Soldaten aus dem ost-ukrainischen Kampfgebiet nach Russland. In Odessa versuchte der Rechte Sektor einen Nachtclub zu stürmen, wurde aber von der Polizei zurückgeschlagen

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Es war die größte Desertion ukrainischer Soldaten seit Beginn der sogenannten "Anti-Terror-Operation" in der Ost-Ukraine. In der Nacht auf Montag flüchteten 438 Deserteure auf russisches Gebiet. Der Großteil der Fahnenflüchtigen gehörte zur 72. mechanisierten Brigade der ukrainischen Streitkräfte. Ihre Waffen hatten die Deserteure, die nach eigenen Angaben zwei Wochen ohne Hilfe von außen in einem Kessel ausgeharrt hatten, vor dem Überwechseln auf die russische Seite vernichtet. Wahrscheinlicher scheint jedoch, dass sie die Waffen für das Versprechen auf freies Geleit den Aufständischen überlassen haben.

Einer der nach Russland geflüchteten ukrainischen Soldaten, die nach ukrainischer Darstellung dazu gezwungen waren, die Ukraine zu verlassen. Screenshot von ntv.ru

Der Leiter des Analytischen Zentrums des ukrainischen Sicherheitsrates, Andrej Lysenko, erklärte auf einem Briefing am Montag in Kiew, die Soldaten seien "aus objektiven Gründen gezwungen gewesen, das Territorium der Russischen Föderation im Bereich des Grenzkontrollpunktes Gukowo zu betreten". Man werde "alles tun", um "unsere Soldaten" zurückzuholen.

Russische Fernsehreporter filmten das Leben der 438 Fahnenflüchtigen in einem extra für die Deserteure auf russischem Gebiet errichteten Zeltlager. Von einem Lastwagen wurden an die übermüdeten Männer Pakete mit verpackter Nahrung verteilt. Die geflüchteten Soldaten wirkten geschäftsmäßig und unaufgeregt. Sie trugen Bärte und wirkten übermüdet. Zeichen von Erniedrigung waren nicht zu erkennen. Den Kameras drehten sie demonstrativ den Rücken zu.

Zwei Wochen im Kessel ohne Munition, Benzin und ausreichend Nahrung

Nach russischen Medienberichten waren die ukrainischen Soldaten zwei Wochen in einem Kessel eingeschlossen gewesen, hätten keine Hilfe von außen erhalten. Lebensmittelvorräte, Benzin und Munition waren komplett aufgebraucht. Nachschub gab es angeblich nicht.

"Niemand hat uns geholfen", sagte ein junger Deserteur mit kahlgeschorenem Kopf gegenüber dem russischen Fernsehkanal NTV und guckte dabei konstant nach unten. Auf die Fragen des Reporters, ob seine Einheit umgekommen wäre, wenn sie die Grenze nach Russland nicht überschritten hätten, antwortete der junge Soldat mit "Ja".

"Es geht nun nach Hause, vor Gericht"

Auf die Frage, wo es nun hin geht, antwortet ein bärtiger Deserteur mit schelmischen Gesicht, "nach Hause, vor Gericht". Von den insgesamt 438 Deserteuren wurden bereits 180 am Montag am Grenzkontrollpunkt Matwejew-Kurgan auf eigenen Wunsch ukrainischen Militärs übergeben. Der andere Teil der Deserteure will nach russischen Medienberichten den Flüchtlingsstatus in Russland beantragen. Für Russland sind die ukrainischen Deserteure keine Kriegsgefangenen.

Der erste Fall einer Massen-Desertion ereignete sich nach einem Bericht des russischen fünften Kanals schon Ende Juli. Damals ergaben sich 40 Soldaten, die seit zehn Tagen eingekesselt waren, beschossen wurden und nicht mehr ausreichend Nahrung hatten. Ein maskierter Soldat erzählte in einem Fernseh-Interview, es habe keine Möglichkeit mehr bestanden, die Einheit "am Leben zu erhalten".

In Odessa versucht der Rechte Sektor, ein Konzert zu sprengen

Die Stadt Odessa, die sich immer noch nicht vom Schock des Brandes im Gewerkschaftshaus am 2. Mai erholt hat (Die Tragödie von Odessa), erlebte am Sonntag eine neue Gewaltaktion der Rechtsradikalen. 70 Anhänger des Rechten Sektors und der Partei Swoboda versuchten ein Konzert der Sängerin Ani Lorak im Nachtclub Ibiza zu verhindern. Sie sangen die Hymne der Ukraine und schrien "Moskauer unter die Messer". Für die rechten Militanten war der Auftritt von Ani Lorak unzumutbar. Die Sängerin habe enge künstlerische Kontakte nach Russland und plane eine Tournee auf der Krim.

400 Polizisten schlugen die Angreifer zurück. Der Berater des ukrainischen Innenministers, Anatoli Geraschenko, will nun vier Polizisten wegen des unangemessenen Einsatzes von Gewalt aus dem Dienst entlassen.

Nach einem Bericht des kritischen Internet-Portals Tajmer, hatte der Club Ibiza versucht, mit dem Rechten Sektor ein Auskommen zu finden. Angeblich wurde den rechten Militanten die Hälfte des Honorars der Sängerin gezahlt. Dafür gab es die Zusicherung das Konzert nicht anzugreifen. Doch die Rechten hielten sich nicht an die Abmachung. Das Konzert zu verhindern, gelang ihnen jedoch nicht.