BGH bescheinigt: Verwertungsgesellschaften übervorteilen die Autoren

Urheberrechtsabgabe ging rechtswidrig an Verlage - die hoffen jetzt auf eine von Heiko Maas versprochene Gesetzesänderung

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Heute hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung im Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen I ZR 198/13 verkündet, die dafür sorgen dürfte, dass es hunderttausende Autoren einem einzigen Mann verdanken, wenn sie Millionen von Euro zurückbekommen, die Verwertungsgesellschaften anstatt an sie an ihre Verlage überwiesen haben. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig - und der am Verfahren beteiligte Beck-Verlag hat angekündigt, die schriftliche Begründung abzuwarten und dann eventuell Verfassungsbeschwerde einzulegen.

Der Mann, dem die Autoren den zu erwartenden Geldsegen verdanken, heißt Dr. Martin Vogel. Der Wissenschaftsautor hat den Rechtsstreit als Einzelgänger nicht nur gegen massive Widerstände aus den Verwertungsgesellschaften, der Politik und den Gewerkschaften durchgefochten und dabei nicht nur den zeitlichen Aufwand, sondern auch die finanziellen Risiken alleine geschultert (vgl. Veruntreuen Verwertungsgesellschaften Gelder der Urheber? und Welche Interessen vertritt Verdi?). Das Urteil dürfte nicht nur für die verklagte Text-Verwertungsgesellschaft VG Wort Konsequenzen haben - wahrscheinlich können sich auch Musikurheber, Grafiker und Fotografen freuen: Die Piratenpartei klagt nach Vogels Vorbild gegen die Musikverwertungsgesellschaft GEMA und die VG Bild-Kunst hat bereits Rückstellungen gebildet (vgl. Verwertungsgesellschaften stoppen Zahlungen an Agenturen und Verlage).

Der Löwenanteil der Beträge, die statt der Autoren die Verlage kassierten, ist zwar verjährt (weshalb Kritiker eine mögliche Absicht dahinter vermuten, dass VG-Wort-Funktionäre das Verfahren nach klaren Niederlagen in der ersten und zweiten Instanz immer weiter in die Länge zogen - was dort freilich bestritten wird). Trotzdem betragen alleine die zusätzlichen Ausschüttungen für die letzten drei Jahre, die noch nicht verjährt sind, nach Schätzungen des Autorenvertreters Tom Hillenbrand insgesamt über 300 Millionen Euro (vgl. Unfreiwillige Subvention).

Maas und Oettinger sollen "umgehend" Gesetze ändern

Diese und weitere jährliche Zahlungen erhalten die Autoren allerdings nur dann, wenn Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nicht noch schnell Gesetze ändert, wie er das der Verlegerlobby Anfang des Jahres in Aussicht gestellt hat (vgl. VG Wort will sich illegale Ausschüttung an Verlage von Großer Koalition genehmigen lassen).

Auf solche Gesetzesänderungen setzt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der in dem seiner Ansicht nach "kulturpolitisch höchst problematischen" BGH-Urteil einen "schweren Schlag für die einzigartige deutsche Verlagskultur" sieht. Seiner Ansicht nach beendet die Gerichtsentscheidung ein "seit Jahrzehnten bestehendes fruchtbares Miteinander von Urhebern und Verlagen". Wird es nicht "umgehend korrigiert" droht Börsenvereins-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis zufolge "die Insolvenz etlicher kleiner und mittlerer Verlage". Konkrete Namen dafür nennt er nicht.

Dafür behauptet der Chef des Börsenverbandes, die Rückforderungen der Autoren betrügen "je nach Verlag zwischen 20 und 200 Prozent des durchschnittlichen Jahresgewinns", weshalb eine "große Zahl" von Unternehmen "mittelfristig wegen der notwendigen Rückstellungen und der ausbleibenden Einnahmen von Verwertungsgesellschaften wirtschaftlich nicht länger überlebensfähig sein" werde.

Deshalb fordert er eine "Entschlossenheit der politisch Handelnden" und verweist darauf, dass es "nie der wahre Wille" der Regierungs- und Parlamentsmehrheiten gewesen sei, Urheberrechtsabgaben alleine an Urheber auszuschütten. Das, so Skipis, sei "in der Politik unumstritten". Außerhalb der Politik stieß es allerdings weitgehend auf Unverständnis, dass die Urheberrechtsabgaben, die in der Vergangenheit nicht nur auf Leermedien und Kopien, sondern auch auf PCs, Drucker, Multifunktionsgeräte, USB-Sticks, externe Festplatten und Brenner erhoben wurden, nicht nur an Musiker, Autoren, Fotografen und Grafiker, sondern auch an Verleger flossen, die im Populärmusikbereich in vielen Fällen nicht einmal Noten druckten.

Das erwähnt Skipis nicht. Stattdessen verweist er auf Verlagsdienstleistungen wie "Satz, Druck, Lektorat, Marketing, Werbung und Vertrieb". Diese Dienstleistungen sind im Sinne des Urheberrechts aber ebenso wenig Teile der eigentlichen Schöpfungen wie die Imbisse, die ein Autor während der Schreibzeit regelmäßig zu sich nimmt. Wird eines seiner Werke kopiert, hat ein Verlag deshalb ebenso wenig einen Anspruch auf eine immer wiederkehrende Vergütung wie ein Imbissbudenbesitzer.

Etwas merkwürdig klingt Skipis' Behauptung, es sei "seit dem frühen 19. Jahrhundert [...] geltendes Recht, die Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften zwischen Verlagen und Autoren aufzuteilen". Anfang des 19. Jahrhunderts gab es noch lange keine Verwertungsgesellschaften im heutigen Sinne. Die manchmal als Vorläufer angesehenen Selbstverlage sind damit nur sehr bedingt vergleichbar, weil sie weder Leermedien- noch Geräteabgaben einzogen oder ausschütteten und von Autoren meist zu dem Zweck gegründet wurden, die regulären Verlage (die nicht immer den redlichsten Ruf hatten) zu umgehen.

Erfüllt Heiko Maas den Verlegern ihre Wünsche, bleibt diesen jedoch immer noch ein Problem auf europäischer Ebene, weil im November auch der EuGH entschied, dass Urheberrechtsabgaben nur an richtige Urheber fließen dürfen. Deshalb bearbeitet die Branche aktuell auch den deutschen EU-Digitalkommissar Günter Oettinger, der in einer neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie sicherstellen soll, dass die Verleger die Hälfte der Abgaben bekommen - oder mehr.

[Update: Wie Ulrich Bassenge zur Formulierung "an ihre Verlage" richtig anmerkt, gibt es "Hunderte, vielleicht Tausende von Autoren [wie ihn], die niemals bei 'ihrem' Verlag waren, da sie für Funk oder Fernsehen schreiben oder im Selbstverlag publizieren". "Ein Gleiches", so der Hörspielmacher, Komponist, Musiker und Autor, "gilt für Komponisten (dto.), die bei der GEMA ausschließlich oder überwiegend 'Manuskriptwerke' gemeldet haben, deren Einkünfte aber trotzdem 'gerecht' unter die Verleger aufgeteilt werden". ]

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