Der tiefe Staat des George H. W. Bush

Der damalige US-Präsident Ronald Reagan und sein Vize-Präsident George H. W. Bush im Oval Office, 1984. Foto: David Valdez, U.S. National Archives and Records Administration / gemeinfrei

Reagans Vizepräsident betrieb einen Schattengeheimdienst

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Einen Monat nach dem Tod des 41. Präsidenten der USA wartet der legendäre Investigativjournalist Seymour Hersh mit brisanten Enthüllungen über George Herbert Walker Bush auf. Hersh, der 1970 mit dem Pulitzerpreis bedacht wurde, war einst in der Watergate-Affäre maßgeblich an der Demontage von Richard Nixon beteiligt und macht seither US-Präsidenten das Leben schwer.

Wie Hersh nunmehr von überwiegend nicht genannten Quellen zugetragen wurde, installierte Bush als Vizepräsident pragmatisch einen Schattengeheimdienst, der diskret nasse Sachen wie politischen Mord erledigte. Mit seinem verborgenen Netzwerk hinterging Bush seinen Präsidenten, die CIA und das Pentagon - sowie jegliche Kontrolle.

Schattengeheimdienste

Schattengeheimdienste haben in den USA eine gewisse Tradition. Bereits der allererste US-Geheimdienst Secret Service, der im 19. Jahrhundert offiziell nur dem Schutz der Währung diente, hatte die geheime Primärfunktion, Komplotte gegen den Präsidenten aufzudecken. Das "Secret Team" der CIA, das in den 1960er Jahren unter der Leitung von William King Harvey schmutzige Operationen wie politischen Mord und Staatsstreiche ausführte, war innerhalb der CIA keine offiziell verfasste Organisation, sondern agierte wie ein Geheimbund.

Geheimdienst-Direktor Allen Dulles kontrollierte die von ihm aufgebaute CIA auch nach seiner Entlassung von seinem Privathaus aus heimlich weiter. Dulles' Vertrauter James Jesus Angleton betrieb sogar "eine CIA innerhalb der CIA", um diese zu kontrollieren. Auch Richard Nixon, der den "Clowns aus Langley" misstraute, rekrutierte Ex-CIA-Leute für seinen inoffiziellen Privatgeheimdienst, die "Klempner", die etwa für ihn das Watergate-Hotel verwanzen sollten. Einer seiner Klempner plante sogar die Vergiftung des lästigen US-Journalisten Jack Anderson.

Unweises Haus

Als 1981 Präsident Ronald Reagan ins Weiße Haus einzog, erwies sich der greise Schauspieler bei Geheimdienstthemen als überfordert und desinteressiert. Beim ersten Briefing des Nationalen Sicherheitsrates beschränkte sich sein Beitrag auf die Bewirtung der Teilnehmer, anschließend wurde er dort nicht mehr gesehen. Sicherheitsberater unterhielt der Präsident mit rassistischen Witzen. Wenn Reagan einmal eine Rede nicht vom Blatt ablas, erwies sich der mächtigste Mann der Welt leicht als inkompetent. So meinte Reagan etwa 1984, dass nur die landgestützten Raketen nuklear bewaffnet seien, nicht aber die der Flugzeuge und U-Boote.

Im Gegensatz zum populären Präsidentendarsteller überblickte Bush, der als CIA-Chef, Diplomat und Vorsitzender der einflussreichsten Denkfabrik Council on Foreign Relations Erfahrung gesammelt hatte, durchaus das große Spiel. Bush hielt wenig vom neuen CIA-Direktor William Casey (1913-1987), den Reagan mit diesem Posten für dessen Wahlkampfkampagne belohnte. Geschäftsmann Casey hatte zwar im chaotischen Weltkriegsgeheimdienst OSS gedient, ansonsten aber keine Ahnung von der Geheimdienstwelt.

Die CIA war Mitte der 1970er Jahre nach dem Auffliegen der verdeckten Staatsstreiche und Mordprogramme ohnehin von Präsident Jimmy Carter zu einem Spionagedienst rückgebaut worden und musste Gremien über ihre Machenschaften Rechenschaft ablegen. Carter hatte durch einen präsidentiellen Erlass hatte sogar Staatsbediensteten wie etwa CIA-Angehörigen das Liquidieren fremder Staatschefs untersagt.

Als Bush im Windschatten von Reagan ins Weiße Haus kam, war ihm klar, dass mit Reagan und der beschnittenen CIA kein (tiefer) Staat zu machen war, schon gar nicht unter dem Dilettanten Casey. Der Pragmatiker wollte jedoch nicht auf schmutzige Tricks verzichten, die nicht zuletzt den Weg ins Weiße Haus geebnet hatten. Im Wahlkampf etwa hatte man mit einem geheimen Deal mit dem Iran die vorzeitige Freilassung der dort festgehaltenen US-Geiseln hintertrieben, um Amtsinhaber Carter diesen werbewirksamen Triumph zu sabotieren.

Geheimnisvolle Familie

George Herbert Walker Bush war mit der Geheimdienstwelt und Old Boys-Netzwerken quasi aufgewachsen (Väter und Söhne). Vater Prescott hatte die Aufrüstung der USA im Ersten Weltkrieg organisiert, tätigte dann geheime Geschäfte mit den Nazis, die vertuscht werden wollten, und war in den 1950ern als Senator für die "parlamentarische Kontrolle" der US-Geheimdienste zuständig gewesen - die sein Anwalt und enger Freund Allen Dulles leitete. Prescott Bush stand nicht nur der elitären Yale-Studentenvereinigung Skull&Bones vor, sondern war auch Mentor von Richard "Tricky Dick" Nixon gewesen. Als Schatzmeister kontrollierte er die Republikanischen Partei.

George Herbert Walker Bush war formal nie CIA-Angehöriger, allerdings hatte der Texaner seine Ölbohrfirma Zapata Oil gemeinsam mit einem CIA-Mann aufgezogen und stellte etwa seine Einrichtungen wie Bohrinseln dem Geheimdienst als Stützpunkte zur Verfügung, u.a. bei der Geheiminvasion auf Kuba. Auch Vietnam soll Bush während der CIA-Operation Phoenix besucht haben.

Mit dem gleichfalls trickreichen Nixon ging Bush nach Washington und übernahm 1976 unter Gerald Ford die CIA, der damals die Enthüllungen zu schaffen machten. Nach Vietnamkrieg, Watergate und CIA-Enthüllungen musste die Regierung jedoch im Folgejahr abtreten.

Während davor jahrzehntelang Henry Kissinger als wichtigster Strippenzieher in der US-Geheimdienstwelt fungiert hatte, war Hersh zufolge George H. W. Bush während der Reagan-Administration am Zuge.

"M"

Fürs Grobe installierte Pragmatiker Bush einen informellen Schattengeheimdienst, dessen Existenz so geheim war, dass er nicht einmal einen Namen bekam. Zwar vermuteten etwa die Ermittler beim Iran-Contra-Skandal, dass es Parallelstrukturen wie einen tiefen Staat geben müsse, auf den Namen des von Bush ausgewählten Masterminds, das wie in den James Bond-Romane mit 'M' paraphierte, war jedoch niemand gekommen.

Zur Tarnung hatte der vormalige Navy-Kampfpilot Bush seine Schattenmänner vorwiegend bei der Marine rekrutiert, der er mehr vertraute als den Zivilisten. Die im Sicherheitsapparat arbeitenden Bush-Vertrauten, die sich durch ihre Verschwiegenheit auszeichneten, erledigten ihre geheimen Aufträge quasi im Nebenjob und waren damit faktisch Doppelagenten, die aus ideellen Motiven handelten.

Vize-Admiral Arthur 'Art' Moreau. Bild: U.S. Department of Defense / gemeinfrei

Als geheimer Kopf dieser erfolgreich verborgenen Gruppe fungierte Vize-Admiral Arthur 'Art' Moreau (1931-1986), der es 1983 zum Assistenten des Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs gebracht hatte. Moreau hatte damit Zugang zu höchsten Staatsgeheimnissen, ohne einem Geheimdienst anzugehören, und konnte hierdurch insbesondere die CIA abschöpfen.

Um Bushs Kontakt mit Moreau zu verschleiern und ggf. glaubwürdig abstreiten zu können, lief die Kommunikation über Bushs Staabschef Daniel Murphy (1922-2001), einem Admiral im Ruhestand, der Bush bereits in der CIA als Vize gedient hatte. Moreau und Murphy nutzten ihre Büros im Pentagon und im Old Executive Building heimlich zur Koordinierung von verdeckten Operationen. Weiterer Prätorianer war Bushs Nationaler Sicherheitsberater Donald Gregg (* 1927), der über drei Jahrzehnte CIA-Erfahrung mit Covert Actions verfügte.

Das im Militär verborgene Netzwerk soll nach Hersh auf diese Weise 35 Geheimoperationen organisiert haben. Das Team arbeitete gegen Drogenhandel und Terrorismus, primär jedoch bekämpften die Patrioten die Ausdehnung des sowjetischen Einflussgebiets, die man in zwanzig Staaten befürchtete. Als Operationsgebiete nennt Hersh Peru, Honduras, Guatemala, Brasilien, Argentinien, Libyen, Senegal, Tschad, Algerien, Tunesien, den damaligen Kongo, Kenia, Ägypten, den Jemen, Syrien, Ungarn, Ost-Deutschland, Tschechoslowakei, Bulgarien, Rumänien, Georgien und Vietnam.