"Die Kalifornische Ideologie hat einen faschistoiden Charakter"

Grafik: TP

Interview mit dem Computerkritiker Werner Seppmann - Teil 3

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Für Werner Seppmann spiegeln sich in der Nutzung des Digitalen nicht nur Klassenverhältnisse wieder, sondern es finden sich in der "Kalifornischen Ideologie" auch irrationale und faschistoide Tendenzen. Teil 3 des Gesprächs über sein Buch Kritik des Computers.

Herr Seppmann, inwiefern spiegeln sich in der Internetnutzung Ihrer Ansicht nach Klassenverhältnisse?

Werner Seppmann: Sehr deutlich zeigt sich das beim Internet als Informationsmedium. Soziale Differenzen werden nicht eingeebnet, sondern noch verstärkt. Bildungsbarrieren werden nicht abgebaut: Der Sohn aus guten Hause weiß, weil er angeleitet wurde, die Möglichkeiten des Netzes bei Wissensrecherchen und als Hilfsinstrument beim Lernen zu nutzen. Die Tochter einer Verkäuferin informiert sich jedoch vorrangig über die Beziehungsverhältnisse eines Schlagersängers und die Teilnahmebedingungen einer Casting-Show: Es dupliziert sich bei einer solch schichtenspezifischen Computernutzung, was schon vom Fernsehkonsum bekannt ist: Dass sich ein defizitäres Bildungsniveau durch die übliche selektive Mediennutzung verfestigt.

Dass vom Internet kompensatorische Wirkungen auf klassen- und schichtspezifische Benachteiligungen ausgehen könnten, ist illusorisch, zumal der sich selbst überlassene Nutzer in ständiger Gefahr schwebt, sich in den Weiten des Internets zu verlieren, weil ihm die nötigen Orientierungsmaßstäbe und Rechercheanleitungen fehlen. Ohne intellektuellen Kompass ist der Weg zu verlässlichen und die eigene Urteilsfähigkeit fördernde Informationen äußerst dornenreich, in der Regel auch vergeblich.

"Es wird immer schwieriger, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden"

Können Sie diese Entwicklung spezifizieren?

Werner Seppmann: Zunächst einmal liegt die Besonderheit dieser Art von "Wissensarbeit" darin, dass gehaltvolle Information und Täuschung, rationale Erklärung und Obskurantismus eng beieinander liegen und sich oft in ihren Präsentationsformen kaum voneinander unterscheiden. Um nicht in der Informationsflut zu versinken, müssen entwickelte Kompetenzen vorhanden sein, denn vorherrschend ist eine Unschärfe, die eine Gleichrangigkeit von Banalem und Gehaltvollen vortäuscht.

Nicht nur, weil die Datenmengen weiter wachsen, wird es immer schwieriger, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Und prinzipiell steht die gewöhnliche Netzpraxis der Chance im Wege, solche Fähigkeit qualitativer Selektion überhaupt zu entwickeln. Durch die nicht abreißende "Informationsflut" wird ein intensives Nachdenken alleine nicht gefördert. Im Gegenteil: Weil die Aufmerksamkeitsräume weitgehend mit Botschaften und Signalen ohne direkten Lebensbezug und inneren Zusammenhang gefüllt werden, wird das Eigendenken und die Entwicklung alternativer Orientierungen erschwert. Niemandem ist das so deutlich bewusst, wie den konzeptionellen Köpfen der Internet-Industrie, die sich bei ihren Beeinflussungstrategien dieser Mechanismen bedienen.

"Unreflektierte Netz-Begeisterung bedeutet den Verzicht auf kritische Reflexion"

Befinden Sie sich mit Ihrer Kritik der modernen Informationstechnologien nicht auf einer Linie mit Maschinenstürmern und Kulturpessimisten?

Werner Seppmann: Ohne auf die Implikationen dieser beiden Begriffe näher einzugehen, möchte ich eine Gegenfrage stellen: Was wären die angemessenen Reaktionen auf die fortschreitende Digitalisierung des Sozialen, auf die Tatsache, dass Computer und Internet zunehmend Apparate der Kontrolle und Manipulation sind, sich negativ auf die sozialen Beziehungen und kulturellen Standards auswirken, mit ihrer Hilfe die Arbeit verdichtet wird und sie sich auch auf das Verhalten, das Fühlen und Denken, aber ebenso auf die sozialen Identitätsformen negativ auswirken?

Der Begriff "Kulturpessimismus" impliziert in unserem Zusammenhang in der Regel die Aufforderung, sich keine Gedanken darüber zu machen, wie produktiv mit den sich auftürmenden Problemen, die mit der Digitalisierung verbunden sind, umgegangen werden kann und welche realen Alternativen existieren. Auch der Vorwurf der Technikfeindlichkeit wird quasi als ein Appell eingesetzt, diese problematischen Dinge (von denen ich bisher nur einen kleinen Ausschnitt angesprochen habe!) nicht zur Kenntnis zu nehmen, weiter zu machen wie bisher. Gefordert wird eine Haltung des gläubigen Einvernehmens mit dem laufenden Geschäft. Das ist Ausdruck eines neuen Konformismus, wie ihn die Soziologin Cornelia Koppetsch in ihrem Buch Die Wiederkehr der Konformität eindrucksvoll geschildert und dessen Ursachen analysiert hat.

Ein "Einvernehmen", das heißt die unreflektierte Netz-Begeisterung, bedeutet in der Regel den Verzicht auf kritische Reflexion und die Demonstration eines falschen Bewusstseins, wie sie von Adorno als Konsequenz der ideologischen Wirkung des kultur-industriellen Komplexes beschrieben wurde: "Du sollst dich fügen, ohne Angabe worin; fügen in das, was ohnehin ist, und in das, was als Reflex auf dessen Macht und Allgegenwart, alle ohnehin denken." Es gehört zu meinen erschütterndsten Erfahrungen, dass regelmäßig bei Vorträgen zur Computerproblematik junge Leute mit Informatikerberufen sich zu Wort melden und sich darüber beschweren, dass meine kritische Analyse die Infragestellung ihrer Berufsperspektive bedeuten würden.

Sie kommen gar nicht mehr auf die Idee, für ihre Interessen zu kämpfen. Stattdessen bringen sie mit ihrer Intervention zum Ausdruck, dass es für sie beruhigender wäre, über die Probleme zu schweigen. Es manifestiert sich darin ein Verlangen nach Verdrängung der realen Probleme. Dieses Verdrängungsbedürfnis ist heute ein weit verbreitetes psycho-soziales Überlebensprinzip, das jedoch nur eine geringe Halbwertzeit besitzt, weil ja durch die Ignoranz die Probleme nicht verschwinden.

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