"Es wird noch viel Aufklärungsarbeit nötig sein"

Teil 3 des Interviews mit Tobias von Heymann über die politische Instrumentalisierung des Attentats, die Verbindungen des Anschlags mit Gladio und das Schweigen Edmund Stoibers

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Teil 2: "Das Wissen Köhlers wird für den Bau der Bau der Bombe nicht gereicht haben"

Das Attentat wurde in der Hochphase des Bundestagswahlkampfes 1980 verübt. Welches Kalkül könnte Köhler mit seiner Tat zu diesem Zeitpunkt verfolgt haben?

Tobias von Heymann: Aus dem Umfeld Köhlers sind Zeugenaussagen bekannt, wonach Köhler offenbar die Bundestagswahl zugunsten von Franz-Josef Strauß beeinflussen wollte. Das sollte zum Beispiel mit Hilfe eines Attentats gelingen, das man dann linken Gruppen wie der RAF zuschieben könnte. Das typische Muster eines "Falsche-Flagge"-Attentats also. Die Idee war offenbar, die Öffentlichkeit dadurch gegen die damalige sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt aufzubringen. Die Wähler sollten dann - so das Kalkül - mit Strauß einen Politiker wählen, der endlich gegen den linken Terror als "starker Mann" richtig aufräumt.

Wurden Versuche unternommen, das Attentat politisch zu instrumentalisieren?

Tobias von Heymann: Tatsächlich verdächtigten Strauß und andere CSU-Politiker zunächst die RAF und Linksextremisten als Urheber des Attentats und warfen der Regierung Schmidt-Genscher schwere Versäumnisse bei deren Bekämpfung vor. Insbesondere der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) geriet in den Fokus von Strauß' Verbal-Attacken. Ihn machte er maßgeblich mitverantwortlich, dass das Attentat nicht verhindert wurde.

Das Schweigen Edmund Stoibers

Interessant ist, dass sich hier Strauß' wichtigster Mann, Edmund Stoiber, damals und bis heute mit Kommentaren sehr zurückhielt und kaum Zitate von ihm zu dem Attentat bekannt sind. Dabei war er so dicht an Strauß wie sonst keiner in der CSU. Was sich damals hinter den Kulissen der Staatskanzlei nach dem Attentat abspielte - darüber könnte heute wohl kaum einer so viel sagen wie Edmund Stoiber. Denn als sich herausstellte, dass der Anschlag von rechts kam, wendete sich das Blatt für Strauß. Schließlich hatte Baum das Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann maßgeblich mitbetrieben - und die war ja überwiegend in Bayern jahrelang vergleichsweise unbehelligt aktiv. Und genau dort in der Landeshauptstadt München ging ja dann die Bombe hoch, die ein einschlägig bekannter Rechtsradikaler mit Wehrsport-Vergangenheit gelegt hatte.

Agent des Verfassungsschutzes gibt Beteiligung zu"

Da stellte sich dann eher die Frage: Warum haben die zuständigen bayerischen Behörden den Anschlag nicht verhindern können? Letztlich misslang der Plan aber, die Bundestagswahlen zu beeinflussen: Die sozialliberale Koalition gewann die Abstimmung trotz des Attentats erneut.

Sie haben bereits einen Lastwagenkonvoi erwähnt, welcher von Neonazis in den Nahen Osten transportiert wurden. Was haben ihren Rechercheergebnissen zufolge diese Konvois mit dem Oktoberfestattentat zu tun?

Antwort: Dass der Konvoi etwas mit dem Attentat zu tun haben könnte, leitet sich aus Aussagen von damaligen Wehrsportgruppen-Mitgliedern selbst ab. Deshalb ist diese These auch heute noch prüfenswert. So fuhr Walter Ulrich Behle bei dem Konvoi mit, der am Tag des Attentats Richtung Österreich fährt. Wie gesagt war Behle ein V-Mann des Verfassungsschutzes von Nordrhein-Westfalen (Deckname "Felix"). Das Ziel des Konvois: Der Nahe Osten, wohin die Autos verkauft werden sollten. Kurzzeitig war die Gruppe nach dem Anschlag gestoppt und festgenommen worden. Kurz darauf ließ man die Männer aber wieder frei. So konnte unter anderem Behle nach Syrien ausreisen, wo er sich Anfang Oktober 1980 zusammen mit Karl-Heinz Hoffmann im Hotel Byblos in Damaskus einquartierte. Gegenüber einem tunesischen Barkeeper berichtete Behle dann von dem Attentat. Dieser Tunesier - und damit hatte wohl niemand gerechnet - ging dann im März 1981 in Paris zur Deutschen Botschaft, wo er das berichtete. Vertreter der Bundesanwaltschaft und der "Soko Theresienwiese" des bayerischen Landeskriminalamts befragten den Tunesier daraufhin dann gezielt. Dieser gab dann die Worte Behles im Gesprächsverlauf wörtlich wieder. Zitat: "Ja, deswegen kann ich nicht mehr nach Deutschland zurück, wir waren das selbst." Der Tunesier konnte sogar Kopien von Dokumenten zeigen, mit denen er nachweisen konnte, tatsächlich mit Behle gesprochen zu haben. In einem bekannt gewordenen Vermerk zu der Befragung Behles hielt das bayerische LKA dann auch fest, (Zitat) "die Angaben des S., wonach sich Hoffmann und Behle zur angegebenen Zeit im Hotel Byblos aufgehalten haben sollen, können nicht bezweifelt werden." Es erscheine "auch glaubhaft, dass Behle sich dem Zeugen gegenüber als Tatbeteiligter am Anschlag auf dem Oktoberfest bezeichnete. Hier ist von anderer Seite bekannt geworden, dass Hoffmann im Libanon sich bei den Palästinensern damit brüstete, mit seiner Gruppe den Anschlag verübt zu haben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand." Die Soko Theresienwiese kommt dann jedoch zu dem Schluss, dass Hoffmann und Behle selbst nicht beteiligt gewesen sein können, weil sie zur Tatzeit nicht in München waren. Auch dass sie einen Tag vor der Tat bis zur Festnahme (Zitat) "ständig unter Kontrolle" gestanden haben, steht in dem Vermerk.

So ein Attentat dieser Größenordnung hat aber - hier ganz allgemein gesprochen - zeitlich einen logistischen und technischen Vorlauf. Und nicht unbedingt müssen ein- und dieselben Personen das Planen und Vorbereiten einer Tat einerseits, sowie das Durchführen andererseits übernehmen. Arbeitsteiliges Vorgehen und konspiratives Handeln können sich ergänzen. Das gilt für viele Terrorgruppen und auch die Organisierte Kriminalität.

Behle hat seine Aussagen später zwar widerrufen - aber das überrascht auch nicht. Hätte er nicht widerrufen, hätte durchaus ein Strafverfahren mit Haft die Folge sein können.

160 Kilogramm Sprengstoff und über 2500 Zünder

Wie hätte er ahnen können, dass sich seine Worte von Syrien aus bis nach Deutschland herumsprechen? Insofern stellt sich durchaus die Frage, ob der Konvoi möglicherweise als Alibi-Aktion oder sogar auch als gezieltes Ablenkungsmanöver für den Verfassungsschutz gedacht war.

Sie erwähnen in ihrem Buch, dass es Hinweise dafür gibt, dass möglicherweise Teile der Bombe aus dem Fundus des Neo-Nazis Heinz Lembke stammen. Welche Hinweise sind das? War ihrer Einschätzung nach Heinz Lembke ein Mitglied von Gladio?

Tobias von Heymann: Diese Hinweise gehen auf Aussagen von zwei damals inhaftierten Mitgliedern der rechtsterroristischen "Deutschen Aktionsgruppen" um Manfred Röder zurück. Auf die Frage, woher der Sprengstoff für die Oktoberfest-Bombe stammen könnte, sagten sie kurz nach dem Attentat aus, dass der Förster Heinz Lembke ihnen einmal Sprengstoff angeboten habe. Daraufhin durchsuchte die Polizei Lembkes Forsthaus, fand aber praktisch nichts. Lembke saß sogar im Zusammenhang mit dem späteren Strafverfahren in Stuttgart-Stammheim gegen die Deutschen Aktionsgruppen und deren Terroraktionen Anfang 1981 ein halbes Jahr in Beugehaft, um ihn zu Aussagen über seine Verbindungen zu dieser Gruppe gegenüber der Generalbundesanwaltschaft zu bewegen. Doch er schwieg. Er war erst redebereit, als Ende Oktober 1981 sein gigantisch es Waffenlager in der Lüneburger Heide aufflog. Auf einer Fläche in der Größe von 125 Fußballfeldern hatte er 88 Kisten mit Sprengstoffen, Zündern, Waffen aller Art, Munition und Gift vergraben. Neben fast 160 Kilogramm Sprengstoff fanden sich über 2500 Zünder verschiedener Sorten.

Gladio-Abzeichen

Laut der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen zum Thema soll dann kriminalistisch untersucht worden sein, ob Teile von Lembkes Arsenal identisch mit Material der Oktoberfest-Bombe sein könnten. Anscheinend mit negativem Ergebnis. Die Sache hat nur einen gravierenden Haken: Wenn einerseits überhaupt nicht klar ist, wie die Bombe gezündet wurde, woher will man dann genau wissen, dass der Zünder nicht doch von Lembke kam? Es ist allerdings begrüßenswert, heute wenigstens zu wissen, dass das damals untersucht wurde. Insofern sollte man sich diese Gutachten und Analysen heute aber im Lichte der neuen Erkenntnisse noch einmal gründlich ansehen.

"Lembke hat sein Wissen mit ins Grab genommen"

Nach dieser erneuten Festnahme stellte Lembke jedenfalls in Aussicht, nun doch gegenüber der Bundesanwaltschaft umfassend aussagen zu wollen. Doch dazu kam es nicht. Mit einem Kabel erhängte sich Lembke am Tag vor der Aussage selbst in seiner Zelle und hinterließ auch einen handschriftlichen Abschiedsbrief. Leider hat Lembke sein Wissen also mit ins Grab genommen. Aber über ihn ist nicht zuletzt dank der Stasi-Akten trotzdem viel zu sagen. Seine Aktivitäten sind gut dokumentiert. So war er jahrelang in der rechtsmilitanten Szene aktiv und beteiligte sich auch an Wehrsportübungen. Seine Kontakte zur Wehrsportgruppe Hoffmann lassen sich ebenfalls zeigen. Auch verübte er demnach mehrere Sprengstoffanschläge, teilweise zusammen mit Gesinnungsgenossen. Er steht unter anderem im Verdacht, an Anschlägen gegen Fernsehsendemasten in der Eifel und bei Koblenz beteiligt gewesen zu sein, um das Ausstrahlen der TV-Serie "Holocaust" zu verhindern.

Neue Details zu Stay-Behind-Organisationen

Auch zu möglichen Aktivitäten Lembkes in der "Stay-Behind-Organisation" (SBO) von Bundesnachrichtendienst (BND) und NATO finden sich neue Spuren. In der Bundesrepublik bestand diese oft auch als "Gladio" bezeichnete Geheim-Organisation aus einer ganzen Reihe von so genannten Überrollagenten-Gruppen, die sich im Falle einer sowjetischen Invasion vom feindlichen Militär "überrollen" lassen sollten, um dann hinter den feindlichen Linien zu kämpfen. 1990 wurden zunächst in Italien die ersten Informationen über diese Geheimarmee der NATO bekannt. Ein Kennzeichen dieser militärisch-geheimdienstlichen Struktur war unter anderem, verdeckte Waffendepots für den Partisanenkampf anzulegen. Als in Italien Kontakte zwischen Gladio und Rechtsextremisten und weiteren Gruppen bekannt wurden, stellte sich auch für Deutschland diese Frage, der Fall Lembke war erneut auf der Tagesordnung.

Werwolf-Taktik

Zumindest für eine mögliche Zugehörigkeit Lembkes zur SBO sprechen neue Stasi-Akten. So war genau in dem Gebiet von Lembkes Waffenlagern eine "Gruppe 27" der SBO aktiv. Nur wenige Kilometer von seinem Wohnort entfernt, konnte die Stasi Funksprüche dieser Gruppe abfangen und entschlüsseln. So hat die BND-Zentrale mehrfach die "Gruppe 27" angewiesen, "Materialverstecke" anzulegen. Das können Lembkes Waffenkisten gewesen sein. Lembke sah sich selbst als "Werwolf", der im Falle eines Angriffs seitens des Warschauer Paktes hinter den feindlichen Frontlinien gegen den Kommunismus kämpfen wollte - wie auch die "Stay behind"-Agenten. Auch ist durch Veröffentlichungen ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter sowie jetzt die Stasi-Akten zu Gladio auch bekannt, nach welchen Kriterien das SBO-Personal ausgewählt wurde - da sollen z.B. auch Forstgehilfen dabei gewesen sein. Lembke passt da als Förster im abgelegenen Gebiet durchaus ins Profil, auch wenn seine Mitgliedschaft noch nicht offiziell bestätigt ist.

Erschreckende Parallelen

Wir sprechen hier insgesamt über einen rechtsterroristischen Untergrund, der nicht nur extrem gewalttätig, sondern auch höchst konspirativ und grenzüberschreitend aktiv war. Er hatte Kontakte in politische Kreise und Geheimdienste waren ebenfalls hoch präsent. Zugang zu diesem terrorisierenden Netzwerk hatten einige. Auch sind die heute bekannten strategischen und taktischen Analogien zwischen den Wehrsportgruppen und den Aufgaben der Gladio-Agenten noch zu wenig erforscht, um das abschließend zu bewerten. Erschreckend sind sie aufgrund der zahlreichen Parallelen allemal. Insgesamt helfen die Stasi-Akten zu Gladio wenigstens, das zumindest in Deutschland noch weitgehend ungeschriebene Kapitel weiterzuführen. Deshalb habe ich ja auch einen Teil der betreffenden Dokumente als Faksimiles veröffentlicht. So wissen wir heute, dass unter anderem auch eine weitere Stay-behind-Gruppe "Nr.2" jahrelang im Raum Kirchheim aktiv war. Diese sollte einen hochrangigen Staatsanwalt ausspionieren, der sogar über eigenen Personenschutz verfügte. Die Agenten sollten herausfinden, wie dieser Schutz aussieht und die (Zitat) "beste Annäherung" möglich ist. BND-Agenten spionieren also einen deutschen Staatsanwalt samt dessen Personenschutz aus - das ist bis heute durchaus klärungswürdig. Ebenso sollte diese Gruppe "Nr.2" die Zahnradfabrik Friedrichshafen AG ausspionieren und darüber hinaus ein Umspannwerk in Kirchheim/Teck auskundschaften. Heute steht dort der Neubau eines Regionalzentrums von EnBW als drittgrößtem Energieversorger Deutschlands. Hier zeigt sich: Auch Industrieanlagen deutscher Unternehmen waren Spionage-Ziel von deutschen Stay-behind-Agenten. Auch die Hintergründe dieser Aktionen sind nicht geklärt. Andere SBO-Gruppen übten das Agenten-Schleusen von Ost nach West oder das Landen von Hubschraubern in freiem Gelände bei Nacht. Laut Stasi-Akten waren etwa 60-80 Agenten, beziehungsweise Agentengruppen in der alten Bundesrepublik aktiv. Da waren die jetzt gefundenen Stasi-Akten sehr ergiebig. Soviel Details aus dem inneren Leben der SBO in Deutschland waren bislang nicht bekannt.

Letztes Jahr hat der Abgeordnete der GRÜNEN Jerzy Montag und seine Fraktion im Bundestag eine umfangreiche Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die zu einem großen Teil auf ihrem Buch basiert. Die Antworten der Bundesregierung liegen vor. Was halten Sie von denen?

Tobias von Heymann: Die Regierung räumt zunächst ein, dass zum Beantworten aller Fragen das erneute Sichten umfangreichen Materials verschiedener Behörden nötig sei. Das stimmt. Wenn das über die Anfrage hinaus auch geschieht, wäre das schon ein erster wichtiger Schritt. Sicher, bei vielen Punkten verweist die Regierung darauf, dass eine Frage entweder Ländersache ist oder dem Geheimschutz unterliegt. Insofern besteht jetzt die Möglichkeit, offene Fragen in den betreffenden Bundesländern beziehungsweise, Landesparlamenten neu zu stellen. Genauso wie die Parlamentarische Kontrollkommission für der Geheimdienste des Bundestages Fragen stellen kann. Interessant war, dass die Regierung in ihrer Antwort tatsächlich bestätigt, das "Anti-Bekennerschreiben" der Wehrsportgruppe Hoffmann zu kennen, in der diese die Tatbeteiligung abstreitet. Zwar ist erfreulich, dass sie in ihrer Antwort auf Frage 10a) einräumt, dieses Papier zu kennen. Aber wenn das Papier nicht in den Stasi-Akten gewesen wäre, würde die Öffentlichkeit den Inhalt bis heute überhaupt nicht kennen. Auch ist nicht klar, woher Bundesbehörden das Papier hatten.

"Listen sind erhalten"

Zu Frage 11 sagt die Regierung dann außerdem, dass Untersuchungen zu Sprengstoff angestellt wurde, der bei der Wehrsportgruppe Hoffmann gefunden worden war. Anscheinend war dieser nicht identisch mit dem der Oktoberfest-Bombe. Jetzt weiß man dadurch, dass offenbar diese - und weitere - Analysen für ein mögliches Neubewerten der damaligen Ergebnisse noch vorliegen könnten. Ferner antwortet die Regierung, dass zwar die Asservate zum Oktoberfest-Attentat vernichtet wurden - aber die dazugehörigen Verzeichnisse und Listen erhalten sind. Auch das kann weiterhelfen. Ansonsten sprechen die Antworten für sich, da wird noch viel Aufklärungsarbeit nötig sein. Ein Anfang ist gemacht, man muss jetzt dranbleiben.

Können Sie zum Schluss noch eine Einschätzung abgeben, ob die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat noch einmal neu aufgenommen werden?

Tobias von Heymann: Das ist schon denkbar, dass das Verfahren noch einmal aufgerollt wird. Das Interesse am Ergebnis meiner Recherchen ist jedenfalls ernsthaft. Da habe ich viel positives Feedback bekommen und mein Eindruck ist auch, dass die Ergebnisse verschiedene Stellen zum Nachdenken angeregt haben. Ob sich manche Behörden inzwischen die damaligen Akten noch einmal vorgenommen haben, weiß ich allerdings nicht - ausgeschlossen ist das aber auch nicht. Meine Arbeit ist jedenfalls als konstruktiver Beitrag gedacht, die Hintergründe des Attentats nüchtern und sachlich aufzuhellen. Man darf auch nicht vergessen, dass seit dem Anschlag dreißig Jahre voller Veränderungen vergangen sind und auch der Kalte Krieg zumindest für Deutschland vorüber ist. Da lässt sich vieles heute offener angehen. Dazu kommen die neuen technischen und kriminalistischen Methoden. Ein Aufrollen kann dann erfolgreich sein, wenn alle betroffenen Bundes- und Landesbehörden diesmal eng und zielgerichtet zusammenarbeiten. Und zum Beispiel die bei den verschiedenen Ämtern vorliegenden Erkenntnisse neu zusammenführen, um sie im Lichte der neuen Ansatzpunkte auszuwerten. Im ein oder anderen Fall kann das vielleicht auch hilfreich sein, die damaligen Ermittlungsergebnisse inhaltlich mit den Stasi-Akten zu spiegeln.

Attentatsversuch auf Stoltenberg

Dieses Verfahren hat sich schon einmal bewährt: Nachdem ich in den Stasi-Akten gewissermaßen als Nebenprodukt meiner Oktoberfest-Recherchen auf neue Hinweise von Kontakten von Dutschke-Attentäter Josef Bachmann zu Mitgliedern der späteren rechtsterroristischen "Braunschweiger Gruppe" gestoßen war, konnte ich diese Ansatzpunkte durch Akteneinsicht in die archivarisch erhaltenen Ermittlungsakten der Berliner Polizei schließlich erhärten. Heute wissen wir daher, woher Bachmann die Waffe und Munition für das Dutschke-Attentat hatte - und das ist immerhin vierzig Jahre her. Beim Oktoberfest-Attentat könnte sich diese Methode erneut bewähren. Ermittlungsbehörden und Staatsanwaltschaften könnten eine echte Erfolgsgeschichte schreiben, wenn ihnen gelingt, den schwersten Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte doch noch aufzuklären. Man darf auch eins nicht vergessen: Neonazis hatten damals auch schwarze Todeslisten mit den Namen von - aus ihrer Sicht - angeblich zu engagiert ermittelnden Staatsanwälten. Nachweislich hatten sie einmal die Entführung von Generalbundesanwalt Kurt Rebmann und Bundespräsident Carl Carstens geplant. Sie verübten Anschläge gegen Gerichtsgebäude und ein Anschlag auf den damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg konnte in letzter Minute verhindert werden: Ort und Zeitpunkt des Anschlags standen schon fest, die Bombe war ebenfalls schon fertig gebaut. Insofern sehe ich insgesamt einen Bedarf, sich den rechtsterroristischen Untergrund noch einmal genau anzusehen - schließlich sind manche der damals aktiven Leute heute noch dabei. Kann man das Oktoberfest-Attentat noch aufklären? Die Chance dazu besteht und man sollte sie nutzen.