KI - Totengräber der Menschheit?

Zu den Lieblingssujets der SF-Kultur gehört der Krieg zwischen Menschen und einer KI, die sich von ihren Schöpfern emanzipiert. Aber solche apokalyptischen Visionen sind einfach nur unwissenschaftlicher Blödsinn

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Die meisten Menschen glauben, Roboter bzw. "Androiden" würden einst ein dem menschlichen ähnliches Denken entwickeln, ein Bewusstsein und sogar Persönlichkeit besitzen. Dabei handelt sich um den wohl fatalsten Irrtum in der Geschichte der Science Fiction. Verwundern kann es kaum, dass auch in diesem thematischen Bereich kurzsichtiger Anthropozentrismus die Denkmuster prägt - wer sich außerirdische Intelligenz nur anthropomorph in Wesen und Gestalt vorstellen kann, der scheitert mit seinen Denkmodellen geradezu zwingend, wenn es um eine vom Menschen selbst geschaffene Künstliche Intelligenz geht (auch AI - Artificial Intelligence).

Selbst solche exzellenten Informatiker/Kybernetiker wie Ray Kurzweil und Vernor Vinge erliegen diesem Irrtum. Der Grund: Sie sind zwar in ihrem Fach unbestrittene Autoritäten – aber sie verstehen nicht annähernd so viel von Neurobiologie und Kognitionswissenschaften.

Das Entstehen von Bewusstsein fällt in den Kompetenzbereich genau dieser Wissenschaftsdisziplinen, und Kapazitäten wie Nobelpreisträger Gerald M. Edelman und der neue Star am Himmel der Neurowissenschaften, Antonio Damasio, beweisen mit ihren Arbeiten, dass "Bewusstsein" zwingend eine Bioevolution voraussetzt.

KI wird sich von menschlicher Intelligenz grundlegend unterscheiden, und ob ein quasineuronales Netzwerk überhaupt Bewusstsein und Persönlichkeit besitzen kann/wird, muss bezweifelt werden. Alle Argumente gegen solche Konstellationen und Konzepte finden wir direkt vor unserer Nase: in unserer eigenen Evolution! Die Bioevolution sorgt für den großen Unterschied. Damit wir verstehen können, weshalb KI nie einen eigenen Willen, Ideale oder gar Ideologien, politisches Denken und Handeln hervorbringen wird, müssen wir uns zuerst damit beschäftigen, wie die menschliche Intelligenz entstanden ist.

Terminator: Bild: Stephen Bowler/CC BY 2.0

Der Mensch - ein wunderbarer Zufall?

Der Mensch ist in vielerlei Hinsicht ein historisches Wesen - ganz besonders und im krassen Gegensatz zur KI aber ein entwicklungsgeschichtliches, also ein Resultat der Bioevolution. Der Mensch - und sein charakteristisches Merkmal, die Intelligenz - ist also kein nach einer raffiniert ausgetüftelten Blaupause erschaffenes Konstrukt, sondern ein im Rahmen eines hunderte Millionen Jahre dauernden Ausprobierens der Evolution nach dem Trial-and-error-Prinzip entstandenes Zufallsprodukt.

Ob jedoch das Entstehen von Intelligenz in einer Biosphäre Zufall oder gesetzmäßig ist, darüber lässt sich streiten. Ich neige der Ansicht zu, dass allein aus thermodynamischer Sicht die Entstehung von Intelligenz wahrscheinlich ist (s.a. "Was ist Leben?" von Erwin Schrödinger). Aber das ändert nichts daran, dass konkret der Mensch morphologisch, konzeptionell und funktionell ein Produkt zahlloser Zufälle ist - und keineswegs die perfekte "Krone der Schöpfung"!

Anatomisch und physiologisch hat die Natur bei der "Erschaffung" des Menschen bei den Details nur selten die beste Lösung, sondern in aller Regel die zweit- oder drittbeste gewählt (was eindrucksvoll gegen eine göttliche Schöpfung spricht - es sei denn, Gott wäre selbst zweit- oder drittklassig…). Angesichts der "Produktionsmethode" nicht überraschend: Die Evolution ist darauf beschränkt, aus zufälligen Mutationen diejenige auszuwählen, die das jeweilige Lebewesen so gut wie möglich an die aktuellen Lebensbedingungen anpassen. Und "so gut wie möglich" bedeutet ärgerlich oft: gerademal so.

Da können wir uns doch glücklich schätzen, dass uns auf unserem Weg vom Präkambrium bis heute keine Stinkdrüse oder eine Chamäleonzunge gewachsen ist- letzteres hatte zu Verwicklungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen führen können. Dass sie uns allerdings den Penisknochen wegrationalisiert hat, war keine sehr weise Entscheidung der Evolution…

Verzeihen wir ihr großmütig. Die Bedingungen, unter denen die Evolution schuften muss, sind geradezu erbärmlich.

Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Häuschen bauen, und als Materialressource steht Ihnen lediglich eine Abfallhalde für Bauschutt zur Verfügung. Mit ein wenig Glück finden Sie fast alles, was Sie brauchen - aber nie das, was Sie sich eigentlich vorstellten oder wünschten. Was nicht passt, wird wieder auf den Schutt geworfen - wir selektieren nach Nutzen bzw. Brauchbarkeit.

Das Häuschen wird ganz ordentlich, besteht aber nur aus Kompromissen, Improvisationen und Verlegenheitslösungen. Zum Beispiel fanden Sie auf der Halde keine Badewanne - also hat Ihre Hütte nur eine kleine Duschkabine. Kaum sind sie damit fertig, kommt ein Laster und kippt eine hervorragend erhaltene Badewanne ab. Was machen Sie? Umbauen oder anbauen, denn auf die sich plötzlich ergebende Möglichkeit, doch noch regelmäßig Vollbäder nehmen zu können, wollen Sie natürlich nicht verzichten.

Sehr ähnlich "handelt" die Evolution. Die Entwicklung der Arten ist ein stochastischer Prozess, eine Kette von Zufällen, die nur deshalb den täuschenden Anschein von Determiniertheit erwecken kann, weil die unendlich vielen "Fehlversuche" von der Unerbittlichkeit der Selektion wieder auf die Schutthalde geworfen und von uns nicht wahrgenommen wurden. Wir sehen nicht die Millionen Irrtümer der Evolution, sondern nur ihre Lösungen.