Unklare Verbindungen zwischen Corona-Beratern und Privatwirtschaft

In Großbritannien sorgen mögliche Interessenkonflikte von Experten und Intransparenz für Debatten. Offene Fragen gibt es auch in Deutschland. Bundesregierung gibt sich zurückhaltend

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Die in London erscheinende Medizinzeitschrift BMJ hat anhaltende Versuche der britischen Regierung kritisiert, mögliche Verbindungen zwischen Corona-Beratergremien und der Pharmaindustrie zu vertuschen. Nach wie vor sei wenig bekannt "über die Interessen der Ärzte, Wissenschaftler und Akademiker, auf deren Rat die britische Regierung bei der Bewältigung der Pandemie angewiesen ist", heißt es in dem Blatt. Der Bericht wirft ein Schlaglicht auf mögliche Interessenkonflikte und Unregelmäßigkeiten in der Pandemiepolitik. Schon zuvor hatte BMJ auf das Problem der mangelnden Transparenz aufmerksam gemacht (Kritik am "medizinisch-politischen Komplex" in Covid-Zeiten).

Die vom BMJ aufgeworfenen Fragen stellen sich auch im Fall Deutschlands. Hier wird die Regierung von ständigen Gremien und Institutionen wie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina oder dem Robert-Koch-Institut beraten. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sorgte indes für Schlagzeilen, nachdem es im April die auch wegen ihrer Rolle im Wirecard-Skandal umstrittene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young ohne Ausschreibung für die Beschaffung von Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten angeheuert und mindestens zwei Dutzend weiterer Beraterverträge vergeben hat. Mögliche Interessenkonflikte bleiben hier im Unklaren.

In Großbritannien drängt das BMJ nun auf Klärung. Wie hierzulande führen auch dort die eilends aus dem Boden gestampften Beraterstrukturen für Kritik. Umstrittene und mitunter verwirrende Entscheidungen während der Corona-Pandemie würden Forderungen nach mehr Transparenz befeuern, schreibt der Journalist Paul D. Thacker im BMJ. Thacker bezieht sich auf die Beschaffung von Schutzausrüstung, Testkits bis hin zu Impfstoffen.

Fachzeitschrift: "Interessenkonflikte unter Verschluss"

Obwohl man in der Downing Street bei der Offenlegung der Ratschläge von Gremien wie der Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE) transparenter geworden ist, "hält man die finanziellen Interessenkonflikte der Mitglieder unter Verschluss", heißt es in dem Bericht weiter. So sei nach wie vor unklar, ob Mitglieder der Coronavirus Vaccine Taskforce zugleich finanziell von Pharmaunternehmen abhängig seien, die auch staatliche Aufträge erhalten.

Die britische Regierung hatte entsprechende Anfragen des BMJ nach Informationen über angeheuerte Experten unbeantwortet gelassen oder die Herausgabe der Informationen verweigert. Das Beratungsgremium Government Office für Science (GOS) stellte der Fachzeitschrift zwar Fragebögen über mögliche Interessenkonflikte zur Verfügung, verweigerte mit Verweis auf Datenschutzbestimmungen aber Herausgabe der Selbstauskünfte der Experten, von denen die Corona-Politik der Regierung von Premierminister Boris Johnson maßgeblich bestimmt wird. Die BMJ-Redaktion will nun mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes an die entsprechenden Informationen gelangen.

"Die Bürger müssen dem Rat professioneller wissenschaftlicher Berater vertrauen können. Deswegen brauchen wir Transparenz", sagt Margaret McCartney, eine schottische Allgemeinmedizinerin und ehemalige Kolumnistin des BMJ, die sich für Transparenz in der Wirtschaft einsetzt.

Kritiker der Regierungspolitik in Großbritannien führen zur Untermauerung ihrer Forderungen just den Chef des GOS, Patrick Vallance, an. Der führenden Wissenschaftsberater der Johnson-Regierung und zugleich Vorsitzende der Impf-Taskforce besitze Aktien des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline im Wert von 600.000 britischer Pfund. Eben dieses Unternehmen hatte einen undurchsichtigen Corona-Impf-Deal mit der Regierung geschlossen.

Kleine Anfragen von Linken und FDP zu Ernst & Young

Ähnliche Fragen wie in Großbritannien werden inzwischen auch in Deutschland laut. Ein Grund dafür ist unter anderem die Beauftragung des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young durch das BMG, die inzwischen Kleine Anfragen der Linken und der FDP zur Folge hatte. Die Beraterfirma war im April dieses Jahres ohne Ausschreibungsverfahren, mit 112 Beratern und für mindestens 9,5 Millionen Euro in das Bundesgesundheitsministerium eingerückt, der Auftrag lief Mitte November aus.

Aus Anfragen des Bundestagsabgeordneten Fabio de Masi und der Linksfraktion geht hervor dass die Bundesregierung mindestens 23 weitere Beratungsverträge schloss. Mehrere relevante Informationen wurden als Verschlusssachen eingestuft.