Vom Aufklärer zum Straftäter

Bild: DDS 47/CC BY-SA-4.0

Sie erschüttern, die schrecklichen Szenen der Polizeigewalt, durch die George Floyd getötet wurde. Aber Vorsicht! Wer hierzulande bei Polizeiaktionen filmt, gilt der Polizei als Straftäter und muss mit der sofortigen Beschlagnahme seines Handys rechnen

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Und weil die Polizei in Fällen ihr missliebiger Videografie gern zu besonders machtvollem Einschreiten greift und sowieso Konfliktsituationen oder zumindest angenommene Übergriffe den regelmäßigen Anlass solcher Aufnahmesituationen bilden, kommt für das polizeiliche Gegenüber mit Anzeigen wegen Widerstand und tätlichem Angriff oder Beamtenbeleidigung oftmals noch einiges an weiteren Strafvorwürfen hinzu.

Platzverweise und Ingewahrsamnahmen zur Unterbindung des von der Polizei konstruierten Tatgeschehens sowie ein Freiheitsentzug zur Identitätsfeststellung oder zur Anordnung von körperlichen Untersuchungen in Form von Blutentnahmen ergänzen das Schreckensszenario, das Videografierer in derartigen Fallkonstellationen in bundesrepublikanischen Gefilden zu gewärtigen haben. Da ist dann erstmal nichts mit Aufklärung (siehe als Beispiel den Fall von Marvin Oppong).

"No pictures - please"

Batmans höflich, aber bestimmt vorgetragener Wahlspruch steht auch bei der bundesdeutschen Polizei hoch im Kurs. Foto- und videografiert zu werden waren ihr schon immer ein Dorn im Auge. Weit vor allgegenwärtigen Smartphones in unserem Alltag haben Polizist*innen immer wieder das Recht am Eigenen Bild (Paragrafen 22/23 und 33 Kunsturhebergesetz) bemüht, um gegen unliebsames Fotografieren mit Strafanzeigen wegen möglicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten und dann vor allem mit sofortiger Beschlagnahme der jeweiligen Aufnahmegeräte vorgehen zu können.

Einen wirksamen Rechtsschutz gegen eine solche Praxis musste man sich erstmal leisten können - immerhin reichen Entscheidungen in der Sache zuletzt bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Was bedeutet, dass die Polizei hier über viele Jahre weitgehend unbehelligt in ihrem Sinne agieren konnte, denn die allermeisten solchermaßen zu Straftätern gemachten können sich einen wirksamen Rechtsschutz eben nicht leisten und bei den hier relevanten Tatvorwürfen unter Vorsatz hilft in der Regel auch keine Versicherung oder Betroffene waren am Ende vielleicht auch nur froh, ihr zur Beweissicherung und Verhinderung beschlagnahmtes Aufnahmegerät überhaupt irgendwann nach Wochen oder gar Monaten der Auswertung wieder zurück zu erhalten.

Viele Anzeigen und Opfer solcher immer schon fragwürdigen Kriminalisierung später setzte sich allerdings eine Rechtsprechung durch, die der Polizei vor allem den Weg der sofortigen Beschlagnahme des Aufnahmegerätes versperrte. Mit der bloßen Anfertigung einer Aufnahme liegt nämlich noch gar keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vor. Eine solche würde erst mit einer tatsächlichen Veröffentlichung des Werkes eintreten und davon könne zum Zeitpunkt der Anfertigung einer Aufnahme nicht notwendigerweise und ohne Weiteres ausgegangen werden. Zudem war vielfach fraglich, ob Aufnahmen, die ein Geschehen im öffentlichen Raum in seiner Gesamtheit erfassen und abbilden, überhaupt geeignet sein können, ein Persönlichkeitsrecht von Polizisten im Einzelfall zu verletzen.

Jedenfalls war das Kind aufgrund dieser letztgültigen Entscheidungspraxis für die Polizei zunächst einmal in den Brunnen gefallen, denn wo kein Tatbestand, da auch keine Möglichkeit zur sofortigen strafprozessualen oder ersatzweise gefahrenabwehrenden Beschlagnahme von Aufnahmegeräten. Heute in Zeiten allgegenwärtiger Smartphones besonders bitter, denn der eigentliche Zweck des konstruierten Tatverdachts lag schon immer darin, in Kiezen und Quartieren oder bei Demonstrationen über die Jahre auch deutlich über den Einzelfall hinaus klar zu machen, dass foto- und videografieren von Einsatzkräften der Polizei gar nicht gern gesehen und im Zweifel auch unterbunden wird.

Die Polizei stilisiert sich selbst zum Opfer

Die Angst der Polizei vor Fotos und Videos hat also eine durchaus längere Historie und man muss vielleicht einräumen, dass diese Angst in gewisser Weise verständlich ist, denn selbst vollkommen legale und durch die Polizeigesetze legitimierte Gewaltanwendung sieht in einem Video schnell mal nicht so schön aus und sowieso ist Polizeigewalt aus derartigen Aufnahmen nicht von vornherein als durch Gesetze legitimiert erkennbar.

Davon abgesehen aber spielt die Polizei die Karte ihrer eigenen Opferrolle in schöner Regelmäßigkeit in einer besonders fragwürdigen Art und Weise. Vor allem ihre über die Maßen lautsprecherischen Berufsvertretungen sind die Protagonisten einer allgegenwärtigen Erzählung von "mangelndem Respekt vor der Uniform" und "zunehmender Gewalt" nicht von, sondern vielmehr "gegen Polizist*innen".

Ein schönes Beispiel für die Konstruktion eigentümlicher Wahrheiten findet sich etwa in der so genannte "Bliesener-Studie" (NRW-Studie Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte), die innenpolitisch vor allem genutzt wurde, um einmal mehr die vermeintlich enormen Opferzahlen in den Reihen der Polizei zu beklagen.

In der Studie wurden Polizist*innen über ihre Erfahrungen im Polizieidienst mit Gewalt befragt. In der Studie letztlich aufsummierte Gewalterlebnisse von Polizist*innen resultieren dabei vor allem aus so genannten "nicht tätlichen" Angriffen. Dazu zählten "Beleidigungen (verbal oder durch Gesten), Anschreien, verbale Provokation, Bedrängen, Distanzunterschreitung, Androhen von (Gegen-) Anzeigen, Androhen von körperlicher Gewalt, Foto-/ Videografieren, Miterleben von Gewalt gegenüber Kolleg(inn)en, Miterleben von Gewalt gegenüber Dritten, Üble Nachrede, Verleumdung, Hetzkampagne, Umzingeln, Einkesseln, Androhen von Sachbeschädigung, Sexuelle Belästigung, Exhibitionistische Handlungen" - man könnte auch zusammenfassend sagen, zu den Gewalterfahrungen von Polizist*innen zählt offenbar alles Mögliche.

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