"Wir haben es satt" – Bündnis demonstriert für zukunftsfähige Landwirtschaft

Ganz so (wie hier 2018) läuft es in diesem Jahr pandemiebedingt nicht. Aber es gibt alternative Protestformen. Foto: Leonhard Lenz / CC0 1.0

Statt des alljährlichen Protestumzugs wird es am Samstag neben digitalen Protestformen eine Trecker-Demo geben. Die Ziele und Prämissen bleiben dieselben

Das Bündnis "Meine Landwirtschaft" ist ein breiter gesellschaftlicher Zusammenschluss von 60 Organisationen. Neben Vertretern von Natur-, Umwelt- und Tierschutzverbänden und kirchlichen Hilfswerken sind ökologisch und konventionell wirtschaftenden Bauern daran beteiligt, Menschen aus Landwirtschaft, Lebensmittelhandwerk und Imkerei setzen sich ein für Umwelt-, Natur-, und Tierschutz und streiten seit 2010 gemeinsam für eine Agrar- und Ernährungswende, für eine bäuerliche, sozial gerechte, tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion - in Deutschland und weltweit.

Das Bündnis fordert den Stopp des Höfesterbens, einen Umbau der Tierhaltung, einen schnelleren Pestizidausstieg sowie ein klares Nein zur Gentechnik und zum EU-Mercosur-Abkommen. Es will über Themen rund um die Landwirtschaft und gutes Essen informieren und den Dialog zwischen Erzeugern und Konsumenten fördern. Und es will mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Veranstaltungen in der Stadt und auf dem Lande ein politisches Zeichen setzen. 2011 initiierte es erstmals eine Demo unter dem Motto "Wir haben es satt!"

Seither gehen jedes Jahr im Januar zum Auftakt der Grünen Woche Zehntausende in Berlin auf die Straße, um für eine zukunftsfähige Politik zu demonstrieren. Vor einem Jahr nun fiel durch Corona bedingt der Protestzug und die Trecker-Demo etwas kleiner aus. Anstatt auf die Straße zu gehen, beteiligten sich rund 10.000 Menschen kreativ und ausdrucksstark an der Aktion Fußabdruck und sendeten unzählige Fuß- und Stiefelabdrücke und Treckerspuren nach Berlin. "Insekten retten", "kleinbäuerliche Strukturen statt Agrarsteppen" oder "Bewegungsfreiheit auch für Schweine" waren nur einige ihrer Forderungen.

Auch am morgigen Samstag sollte ein Protestzug mit rund 15.000 Menschen durch die deutsche Hauptstadt ziehen. Wegen steigender Infektionszahlen wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Nur die traditionelle Trecker-Demo mit wenigen Bauern aus der direkten Umgebung soll wieder stattfinden. Statt einer großen Demo, die im Sommer nachgeholt werden soll, rufen die Veranstalter dazu auf, an einem "Online-Staffel-Lauch für die Agrarwende" teilzunehmen.

Und das geht so: Man nehme eine Lauchstange in die Hand und erkläre in ein bis zwei Sätzen, welche persönlichen Gründe man in der Agrarwende oder was im Einzelnen geändert werden soll. Dies wird von einer zweiten Person gefilmt. Anschließend wird der Videoclip an die Veranstalter gesendet und/oder auf Social Media hochgeladen. Inzwischen sind auf YouToube eine Reihe dieser Filmchen anzuschauen, so wie etwa vom BUND Dresden. Nachahmung wird ausdrücklich empfohlen.

Alles in allem ist dies eine kreative Online-Aktion mit Sendungsbewusstsein. Offenbar ist das auch nötig. Denn ob Klimakrise, Artensterben oder Höfesterben - die Probleme sind seit Jahren diesselben. Von einigen kosmetischen Verbesserungen abgesehen, hat sich an der EU-Agrarpolitik bisher nichts Grundsätzliches geändert.

Weniger, dafür höherwertiges Fleisch konsumieren

Eine der Ursachen der zumeist hausgemachten Probleme sind Ramschpreise für Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milch. Die Preispolitik zwingt Bauern in die Knie und letztlich zur Hofaufgabe. Vor Kurzem führte das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag von Greenpeace eine Umfrage zum Thema Landwirtschaft, Umwelt, faire Entlohnung und Preispolitik durch.

88 Prozent der Befragten sprachen sich für bessere Haltungsbedingungen mit weniger Tieren in den Ställen aus. 78 Prozent fand eine verpflichtende staatliche Kennzeichnung der Haltungsbedingungen bei allen Fleisch- und Milchprodukten in Handel und Gastronomie besonders wichtig. 85 Prozent der Befragten unterstützen staatliche Hilfen für Landwirte, um die Tierhaltung zu verbessern.

Doch Fleisch- und Wurst-Konsumenten wollen nicht nur wissen, wie die Tiere gehalten werden, viele wollen auch einen eigenen Beitrag zu diesem Wandel zu leisten. So wäre ein großer Teil damit einverstanden, zusätzliche Steuern oder Abgaben auf Fleisch und Wurst zu zahlen.

Derzeit machen die Emissionen aus der Tierhaltung rund drei Viertel der gesamten Klimagase aus der Landwirtschaft aus. Damit die gesetzlich vorgegebene Klimaneutralität bis 2045 erreicht wird, muss auch die Landwirtschaft ihren Teil beitragen. Mit anderen Worten: Fleischkonsum und Anzahl der Nutztiere müssen in den kommenden Jahren in etwa halbiert werden.

In den vergangenen Monaten forderten Greenpeace-Aktivisten Lebensmitteleinzelhändler wie Lidl und Edeka immer wieder dazu auf, die Art der Haltung beim Fleisch freiwillig zu kennzeichnen und das Fleisch der schlechtesten Haltungsformen 1 und 2 aus dem Sortiment zu nehmen. Der anhaltende Druck zeigte offenbar Wirkung: So erklärten Aldi und andere großen Handelsketten, dass sie bis zum Ende des Jahrzehnts auf Billigfleisch aus den niedrigsten Haltungsformen verzichten und nur noch Fleisch der Haltungsformen 3 und 4 verkaufen werden.

Bis Anfang November dominierte Billigfleisch das Angebot, doch dieses verschiebt sich nun immer deutlicher hin zu Haltungsform 2. Nun müsse der Ausbau der Haltungsformen 3 und 4 zügig vollzogen werden, heißt es, Besonders beim klimaschädlichen Rindfleisch passiert zu wenig, betont Greenpeace-Landwirtschaftsexpertin Stephanie Töwe.

Händler schaffen eigenes Kennzeichnungssystem

Auch der Handel setzt auf eine verlässliche und verpflichtende Haltungskennzeichnung sowie eine staatliche Unterstützung für Landwirte, die in bessere Haltungsbedingungen investieren wollen. Bei einer Umfrage von Greenpeace bei den Discountern im September 2021 gaben alle Händler außer Kaufland an, langfristig kein Frischfleisch und teilweise auch kein verarbeitetes Fleisch mehr aus den tierschutzwidrigen Haltungsformen bei ihren Eigenmarken anbieten zu wollen.

Aldi Nord, Aldi Süd sowie Rewe/Penny erklärten, ab 2030 nur noch Frischfleisch der besseren Haltungsformen (3 und 4) verkaufen zu wollen. Bei Rewe sollen auch Wurstwaren aus besseren Haltungsbedingungen stammen. Lidl, Edeka und Netto legten zwar keinen konkreten Zeitplan für den Ausstieg aus dem Billigfleisch vor, sie wollen sich aber von Wurst aus den Haltungsformen 1 und 2 verabschieden. Lediglich von Kaufland fehlt noch das klare Bekenntnis, kein tierschutzwidriges Fleisch mehr verkaufen zu wollen.

Zwar hatte die ehemalige Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) eine weitere freiwillige Kennzeichnung angekündigt, allerdings nie wirklich umgesetzt. Inzwischen baut der Lebensmittelhandel sein eigenes Kennzeichnungssystem auf, und zwar nicht nur für Fleisch, sondern auch für Milchprodukte.

Laut Greenpeace wollen die großen Supermarktketten zumindest die Produkte aus den schlechtesten Haltungsbedingungen nach und nach aus ihren Sortimenten zu verbannen. Inzwischen kündigten alle großen Discounter an, auch Milch entsprechend der Haltungsform zu kennzeichnen. So will Aldi künftig nur noch Trinkmilch von Kühen mit besseren Haltungsbedingungen anbieten.

Edeka will kurzfristig Milch zumindest der schlechtesten Haltungsstufe aus den Regalen nehmen. All diese Initiativen seien zwar begrüßenswert, reichen aber bei weitem nicht aus, kritisiert Martin Hofstetter. Bäuerinnen und Bauern brauchen klare Perspektiven, verlässliche Vorgaben und eine gezielte Förderung. Den notwendigen Wandel könne der Markt allein nicht stemmen.

Es sei nun Aufgabe von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), diese Bedingungen für den überfälligen Umbau der Landwirtschaft zu schaffen, erklärt der Greenpeace-Landwirtschaftsexperte. Das Tierschutzgesetz müsse endlich konsequent durchgesetzt werden, damit das massenhafte Tierleid in der industriellen Landwirtschaft ein Ende hat.

Brennende Mastställe

Dass in konventionellen Tierhaltungssystemen erheblicher Verbesserungsbedarf besteht, zeigt sich auch in den mangelnden Sicherheitsvorkehrungen. Immer wieder zu Bränden in Ställen, bei denen tausende Tiere getötet werden. So waren Mitte Januar in Ballenstedt im Landkreis Harz bei einem Brand in einer Mastanlage mit 4.000 Schweinen rund 2.000 Tiere getötet worden. Das Feuer sei aus noch unbekannter Ursache ausgebrochen, heißt es.

Ende März 2021 kam es zu einem Großbrand in der Schweinezuchtanlage in Alt Tellin im Landkreis Vorpommern-Greifswald. In der Anlage befanden sich rund 9.000 Sauen und 50.000 Ferkel. Zehntausende Tieren waren auf qualvolle Weise verendet. Die Mastanlage hätte wegen des Brandschutzes in der Größe gar nicht genehmigt werden dürfen, konstatierte der stellvertretende Bürgermeister von Daberkow. Ihm gehe es nicht darum, Schweinehaltung generell zu verhindern, doch die Größe dieser Ferkelaufzuchtanlage sei nicht akzeptabel.

Auch für die Anwohner sind die gigantischen Tierhaltungsanlagen eine Zumuntung, den sie müssen die Emissionen aus Gülle- und Tiertransporten ertragen. Derart überdimensionierte Tierzucht- und Mastanlagen dürfen nicht länger genehmigt und betrieben werden, erklärte auch Jeannine Rösler, regionale Landtagsabgeordnete der Linken und nannte als Gründe neben Brandschutzproblemen auch den Tier- und Umweltschutz. Auch der BUND forderte, die Genehmigung für die "gigantische, tierquälerische und umwelttoxische Anlage" in Alt Tellin aufzuheben.

Im September nun kündigte die Betreiberin an, die abgebrannte Anlage wieder aufbauen zu wollen. Die Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland hingegen schlägt die Auszahlung eine Art Zukunfts- oder Stilllegungsprämie vor, so wie es in Dänemark und den Niederlanden bereits gehandhabt wird. Diese Programme zielen mehr auf Kapazitätsabbau und auf das Tierwohl bei Schweinen.

Für Klimagerechtigkeit und Ernährungssouveränität

Millionen Menschen im globalen Süden hungern, während auf den Flächen vor Ort Luxusgüter für den globalen Norden produziert werden. Landgrabbing, auch durch europäische Konzerne, zwingt die Menschen, ihre Heimat zu verlassen, erklärt Gesine Langlotz von der Jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) auf einer Pressekonferenz im Oktober.

Die Industriestaaten befeuern den globalen Klimawandel und indirekt auch die globale Landflucht. Der fortschreitende Klimawandel wiederum bedroht die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Die EU-Agrarpolitik fördert mit ihren Subventionen ein klimaschädliches Ernährungssystem. Böden trocknen aus oder versinken im Starkregen, es mangelt an Tierfutter. Längst sind auch in Deutschland Bauernfamilien von den Auswirkungen der Extremwetter durch den Klimawandel betroffen.

Doch Landgrabbing gibt es auch in Europa: Während sich viele Bauern und Bäuerinnen kein Land mehr leisten können, kaufen große Konzerne riesige Ländereien einfach auf - so wie in Ostdeutschland oder in Osteuropa. Hinzu kommen die Hürden des bestehenden Agrarsystems. Die Produktion von Lebensmitteln ist essenziell.

Darum muss sich die Arbeit in der Landwirtschaft für Bäuerinnen und Bauern wieder lohnen. Wir brauchen eine klimapolitisch und sozial gerechte Agrarpolitik, ohne auf falsche technische Lösungen zu setzen und ohne koloniale Kontinuitäten, fordert die jAbL. Billiges Essen ist eine Sackgasse. Die Frage, ob wir Nahrungsmittel ökologisch anbauen wollen, ist daher kein Luxusproblem, sondern eine Frage des Überlebens.