Geheimdienste in der Datenflut

Die NSA kommt mit dem neuen und teuren Data-Mining-Projekt Trailblazer nicht voran, mit dem der Geheimdienst die anschwellende Datenflut im "digitalen Zeitalter" bewältigen will

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Schon vor dem 11.9. waren die Schwierigkeiten der US-Geheimdienste beim Sammeln und Verarbeiten von Informationen bekannt geworden. Die technische Ausrüstung war nicht mehr geeignet, mit den durch die elektronischen Informations- und Kommunikationsmittel anschwellenden Datenfluten fertig zu werden. Beim größten Geheimdienst, der National Security Agency (NSA), kam es zu Computerausfällen (Computerausfall bei der NSA) und wurden Klagen laut, dass man technisch zurück falle (NSA wird von der Telekommunikationsrevolution überrollt). Zur Behebung des Problems wollte die NSA stärker auf die Privatwirtschaft setzen und vergab Anfang 2001 den Auftrag für das milliardenschwere Projekt Trailblazer an ein von Science Applications International (SAIC) geführtes Konsortium, um die "analytischen Fähigkeiten" angesichts der "sich schnell entwickelnden modernen Telekommunikation" zu sichern. Mittlerweile ist das Projekt mehrere Hundert Millionen Dollar teurer als vorgesehen geworden und liegt noch dazu weit hinter dem Zeitplan zurück.

Just zu der Zeit, als in Europa die Kritik am wesentlich von der NSA betriebenen Lauschsystem Echelon laut wurde, geriet der sagenumwobene Geheimdienst in Nöten, weil er angeblich mit der Explosion an Daten und Kommunikationsmitteln wie dem Internet oder Mobiltelefonen und der Verschlüsselung der Daten technisch überfordert war. Das hätte in Europa eigentlich beruhigen können, denn es hätte ja auch bedeutet, dass möglicherweise die Möglichkeiten der NSA, mittels Echelon gewaltige Datenmengen nach Begriffen zu durchforsten, übertrieben dargestellt worden sind (Inside Echelon).

NSA-Lauschposten in Menwith Hill, Großbritannien. Foto: Duncan Campbell

We're behind the curve in keeping up with the global telecommunications revolution. Our adversary communications are now based upon the developmental cycle of a global industry that is literally moving at the speed of light ... cell phones, encryption, fiber-optic communications, digital communications.

NSA-Direktor Michael Hayden im Oktober 2002. Vor kurzem wurde Hayden zum Vizedirektor für die Leitung aller Geheimdienste unter dem Nationalen Geheimdienstdirektor Negroponte ernannt.

Andererseits war in der Zeit vor dem 11.9. noch nicht die Stunde der Geheimdienste und Sicherheitstechnologien gekommen. Nach dem Ende des Kalten Kriegs war die Bedeutung der Geheimdienste gesunken – und damit auch deren Budget und Personalstärke. Daher könnten die Meldungen über die technischen Probleme und die Forderungen nach Modernisierung schlicht der Versuch gewesen sein, mehr Geld und neue Technik zu erhalten. Auf jeden Fall hat die NSA Anfang 2001 neben dem Trailblazer-Projekt zum Sammeln, Verarbeiten, Analysieren und Verteilen von SigInt-Daten auch das milliardenschwere Groundbreaker-Projekt gestartet. Fünf Milliarden Dollar sollten über 10 Jahre in das Outsourcing-Programm fließen, um die internen Computersysteme, die nicht mit Geheiminformationen zu tun haben, von Firmen betreuen zu lassen.

Doch das Outsourcen entspricht nicht dem in es gesetzten Vertrauen. 2002 investierte die NSA erneut 280 Millionen in Trailblazer. Das Projekt für "SigInt im digitalen Zeitalter" kommt aber trotz der Heilsversprechungen, die von der Privatisierung ausgehen, offenbar nicht voran. Man geht davon aus, dass es bislang mindestens eine halbe Milliarde Dollar verschlungen hat. Bei einer Anhörung im Geheimdienstausschuss des Senats musste Hayden einräumen, was gerne auch anderswo mit solchen Großprojekten in den Händen von Konzernen geschieht:

Die Kosten waren größer als zuvor vorausgesehen, Ich würde sagen, Hunderte von Millionen. Ich würde sagen, wir haben die Kosten um einige Dutzend bis einige Hundert Millionen unterschätzt.

Das ist freilich nicht besonders präzise formuliert, aber Hayden fügte hinzu, dass die Verzögerungen "noch schlimmer" seien als die Kosten. Trailblazer, das die gewaltigen abgehörten Datenmengen von Satelliten, Funkverbindungen, (Mobil)Telefonen, Faxmaschinen, Pagers und der Internetkommunikation bewältigen und damit wohl auch das System verbessern sollte, das als Echelon bekannt geworden ist, scheint also ein richtiger Flop zu sein und anderen Projekten wie dem Raketenabwehrsystem zu gleichen. Hayden formulierte auch das Dilemma, in das alle Geheimdienste, nicht nur die NSA, geraten sind, das aber auch überall sonst mehr und mehr Schwierigkeiten bereiten dürfte:

Je erfolgreicher man in Bezug auf das Sammeln von Daten ist, desto mehr beginnt man in einem Datenmeer zu schwimmen.

Und verliert beim ungerichteten Sammeln von möglichst allen verfügbaren Daten den Überblick, den wiederherzustellen eben Trailblazer versprach. Gleichzeitig sollte damit auch eine Schwarte ausgewetzt werden, die sich in Zusammenhang mit dem 11.9. ergab. Die NSA hatte nämlich am 10.9. zwei Botschaften in arabisch abgehört, in denen davon die Rede war, dass am nächsten Tag etwas geschehen werde. Erst am 12. 11. waren diese abgefangenen Botschaften übersetzt worden, für Hayden vor allem ein Hinweis auf fehlende Kapazitäten.

NSA-Zentrale in Fort Meade, Maryland

Das Scheitern von Trailblazer hebt nicht nur die vielleicht überzogenen Erwartungen an die Überwachungstechnologien hervor, sondern auch an die Privatwirtschaft als Wundermittel gegen staatliche Bürokratie. Angestoßen wurde das Projekt in der Zeit des Dot.com-Booms, als viele noch an die digitale Revolution und damit an die erfolgreiche Dynamik einer entfesselten Technik und Wirtschaft glaubten. Bis dahin hatte der Geheimdienst in aller Regel die von ihm benutzten Technologien selbst entwickelt. Trailblazer hingegen wurde der Wirtschaft ohne genaue Anforderungen und Zeitpläne überlassen, damit diese ihre Fähigkeiten der Flexibilität und Innovation ausspielen und die Geheimdienstbehörde technisch wieder an die vorderste Front bringen sollte. Aber das Pentagon ist nicht nur mit den großen Rüstungskonzernen – in diesem Fall außer SAIC Northrop Grumman, Booz Allen Hamilton und Boeing - verfilzt, sondern Wirtschaftsunternehmen, die regelmäßig über sichere Milliardentöpfe verfügen und dazu noch weitgehend frei handeln können, werden auch zu trägen Institutionen, die den Bürokratien gleichen, wenn sie keiner Kontrolle unterliegen. SAIC ist ein gutes Beispiel. Für den Konzern, weitgehend von staatlichen Geldern abhängig, haben beispielsweise die früheren Verteidigungsminister Melvin R. Laird und William J. Perry, die ehemaligen CIA-Direktoren John M. Deutch und Robert M. Gates und auch der ehemalige NSA-Direktor Bobby R. Inman gearbeitet.

Eine Sprecherin der NSA sagte der Nachrichtenagentur UPI allerdings, ohne dass dies nachprüfbar wäre, dass manche der im Rahmen von Trailblazer entwickelten Techniken bereits erfolgreich eingesetzt würden. Trotzdem würde man jetzt den Vertrag verändern. Bekannt über das Projekt ist eigentlich gar nichts, nicht die veranschlagten Kosten, nicht die bislang erzielten Mehrkosten, auch nicht der anvisierte Termin der Fertigstellung und schon gar nicht, wie Trailblazer technisch angelegt ist. Tröstlich mag vielleicht sein, dass es immer Widerstände und Hindernisse gibt, die sich trotz reichlich Geld den Wünschen nach totaler technischer Kontrolle widersetzen.