Smarte Verträge für jedermann

Vor 20 Jahren hat Brian Behlendorf Software entwickelt, die zur Grundlage für das stürmische Wachstum des World Wide Web wurde. Jetzt versucht er das Gleiche mit der Blockchain-Technologie.

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Von
  • Tom Simonite

Mit der richtigen Software würde vieles in der Gesellschaft besser laufen." Wenn Web-Pioniere wie Brian Behlendorf so etwas sagen, entspricht das erst einmal genau dem Klischee vom technikverliebten Veteran. Behlendorf weiß das selbst, aber das ändert nichts an seiner Überzeugung: "Mich frustriert, wie kaputt die Welt ist. Korruption, Bürokratie oder Ineffizienz sind auf gewisse Weise technische Probleme. Kann man das nicht einfach reparieren?"

Letzten Sommer hat Behlendorf einen bequemen Job als Wagniskapitalgeber beim Facebook-Investor Peter Thiel geschmissen, um genau dies zu versuchen: die Welt durch Software ein Stück besser zu machen. Als Leiter der Open-Source-Organisation Hyperledger in San Francisco arbeitet er daran, eine offene Plattform für Blockchains zu schaffen.

TR 5/2017

Sie soll als Teil der öffentlichen Infrastruktur Transaktionen überwachen, wie es heute Notare tun – nur eben nahezu automatisiert. So ließen sich überall dort Reibungsverluste minimieren, wo Informationen zwischen verschiedenen Organisation übermittelt und protokolliert werden müssen: bei Wertpapiergeschäften, digitalen Gesundheitsakten oder bei Lieferketten. Blockchains sind dezentrale Kassenbücher. Die Daten jeder einzelnen Transaktion werden dabei verschlüsselt auf den Rechnern sämtlicher Teilnehmer abgelegt. Das bietet maximale Fälschungssicherheit.

Auf dieser Idee beruht unter anderem die Cyberwährung Bitcoin. Während diese sich jedoch nicht auf breiter Front als Zahlungsmittel durchsetzen dürfte, könnte es für die zugrunde liegende Blockchain ganz anders aussehen. Allein die Finanzindustrie will dieses Jahr eine Milliarde Dollar in entsprechende Vorhaben stecken. Am weitesten gediehen sind Projekte zur Senkung der Transaktionskosten. "Heute machen viele Leute in Banken nichts anderes, als die Arbeit von anderen Leuten zu überprüfen", sagt David Yermack, Finanzprofessor an der New York University. "Hier lässt sich enorm viel Geld sparen."

Dass sich die Finanzdienstleister damit ihr eigenes Geschäft kannibalisieren, glaubt Wolfgang Hach, Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger, nicht: "Damit können sie auch neue Kunden gewinnen, die bislang keine Bankkonten oder Versicherungen hatten."

Die Experten bei Roland Berger rechnen damit, dass die "breitere Nutzung" von Blockchains noch drei bis fünf Jahre auf sich warten lassen wird. Zu den Hürden zählten unter anderem rechtliche Grundlagen sowie einheitliche Standards über Länder-, Branchen- und Unternehmensgrenzen hinweg. "Marktfähige Anwendungen" zeichneten sich aber jetzt schon ab. Und bereits 2025, glaubt das World Economic Forum, werde zehn Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts über Blockchains abgewickelt werden.

Der 44-jährige Behlendorf ist durchaus ein passender Kandidat, um die Entwicklung voranzutreiben. Er hat schon mehrfach die technische Basis für große Veränderungen gelegt. 1995 war er etwa an der Entwicklung des Open-Source-Webservers Apache beteiligt. Noch heute laufen etwa die Hälfte aller Webseiten auf Apache. Im gleichen Jahr half er dem Magazin "Wired", die erste anzeigenfinanzierte Website der Welt zu bauen.

Für ihn gleicht die derzeitige Blockchain-Begeisterung der Aufbruchsstimmung von damals. Mit seiner Erfahrung beim Organisieren von Open-Source-Communities versucht er, Hyperledger zur Heimat für viele unterschiedliche Blockchain-Technologien zu machen. Das Projekt soll die besten Ideen auswählen und unterstützen. Die eigentliche Arbeit sollen aber diejenigen machen, die Ideen und Code einbringen.

Begeistern kann sich Behlendorf zum Beispiel für ein Projekt im kenianischen Flüchtlingscamp Dadaab – auch wenn es von Hyperledger unabhängig ist: Eine Blockchain soll dort jedem Flüchtling eine finanzielle Identität für den Kontakt zu Hilfsorganisationen geben. Oder die Idee, Blockchains als Grundbuch zu nutzen, wie es Schweden und Georgien überlegen: Alle Ansprüche ließen sich damit schneller verifizieren und übertragen, Manipulationen korrupter Beamter leichter aufdecken.

Auch jenseits der Wirtschaft können Blockchains umständliche traditionelle Verfahren verbessern, ist Behlendorf überzeugt. Wie schwer das sein kann, weiß er aus eigener leidvoller Erfahrung. Für das US-Gesundheitsministerium etwa hat er ein Projekt geleitet, um den Transfer von Krankenakten zu vereinfachen. Die Regierung pumpte Milliarden in das Vorhaben – ohne großen Erfolg. Auch Google und Microsoft sind bei ähnlichen Versuchen gescheitert. Der Grund: Die Gesundheitsorganisationen betrachten es als Wettbewerbsvorteil, Patientendaten in ihren eigenen Silos einzusperren.

Solche Blockaden wären weitaus einfacher zu lösen, wenn die Daten per Blockchain verwaltet würden, sagt Behlendorf – schon allein deshalb, weil kein Unternehmen und keine Behörde mehr die zentrale Hoheit über die Daten hätte. Stattdessen würden alle Beteiligten ihre Informationen in ein gemeinsames neutrales System einbringen. Genau hier kommt Hyperledger ins Spiel: Es soll eine öffentliche Infrastruktur dafür aufbauen. "Sie muss ein gemeinsamer Vermögenswert sein und nicht von einem einzelnen Anbieter kontrolliert werden können", sagt Chris Ferris, Technikvorstand für offene Technologien bei IBM, einem Gründungsmitglied von Hyperledger.

Auf den Weg gebracht wurde Hyperledger Ende 2015 von der Linux Foundation. Mittlerweile haben sich rund hundert Unternehmen daran beteiligt, neben IBM auch die Großbank J. P. Morgan und Airbus. Letzten Herbst hat Hyperledger eine Arbeitsgruppe für den Gesundheitsbereich eingerichtet – unter anderem, um Patienten die Übertragung ihrer Krankenakten von Arzt zu Arzt zu erleichtern. "Wir haben es hier mit einer Branche zu tun, die neue Ideen dafür braucht, wie man etwas teilt", sagt Behlendorf.

Die Blockchains von Hyperledger sollen ähnlich allgegenwärtig werden wie die Apache-Server in der Web-Infrastruktur. Und genauso unsichtbar. "Wenn wir unseren Job richtig machen, werden Sie nie wieder etwas von uns hören", sagt Behlendorf. "Wir werden zur Grundversorgung."

(bsc)