Warum laden Sie Ihr Fahrzeug nicht induktiv?
Induktive Ladesysteme waren schon vor zehn Jahren serienfertig. Sie kamen jedoch nur sehr vereinzelt, ohne kommerzielle Erfolge. Wie sieht es heute aus?
- Clemens Gleich
Eigentlich klingt induktives Laden so, als würde es sich von alleine verkaufen: Auto parken, fertig, es passiert alles automatisch. Mit diesen Vorteilen warben Hersteller dann auch um die wenigen automobilen Produkte, die es an den Markt schafften: Induktives Aufladen ist deutlich komfortabler, als in einer Tankstelle mit hoch brennbaren, streng riechenden Flüssigkeiten zu hantieren. Doch in der Praxis standen den höheren Kosten nur geringe Vorteile gegenüber. Ein neuer Positionierungsstandard könnte zumindest für Impulse im Flottenbetrieb und bei öffentlicher Lade-Infrastruktur sorgen.
Wie arbeitet induktive Stromübertragung (grob)?
Seit knapp 200 Jahren ist bekannt, dass man elektrische Energie drahtlos mit Spulen übertragen kann. Eine stromdurchflossene Spule erzeugt ein magnetisches Feld. Die zeitliche Veränderung so eines magnetischen Feldes wiederum induziert einen Stromfluss in einem Leiter (Induktionsgesetz). Wenn man eine Spule mit Wechselspannung belegt, ändert sich dort das Magnetfeld mit der Oszillation der Wechselspannung. Eine in dieses oszillierende Magnetfeld gelegte zweite Spule produziert also Wechselspannung derselben Frequenz. Durch eine unterschiedliche Anzahl an Windungen kann man das Spannungsverhältnis steuern, das ist das Prinzip des Transformators.
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Bei induktiven Ladesystemen für Autos hat die Wechselspannung meistens Frequenzen im Bereich von 85 kHz. Das ist ein guter Kompromiss zwischen der Effizienz (die mit höheren Frequenzen steigt) und der nötigen Elektronik (die mit steigenden Frequenzen komplexer und stromhungriger wird). Der Abstand zwischen Sender und Empfänger sollte möglichst gering sein, wenn die Verluste klein bleiben sollen. Deshalb gibt es Systeme, bei denen der Luftspalt mechanisch verkleinert wird: Entweder die Spulen im Boden heben sich oder jene im Fahrzeug senken sich. So eine Mechanik ist natürlich nur bei stationärer Energieübertragung sinnvoll. Beim Projekt "Emil" etwa senkten sich die Empfängerspulen des elektrischen Busses gen Boden an den Haltestellen, die den Bus mit 200 kW aufluden. Da das Magnetfeld in metallischen Gegenständen wie etwa einem Schraubenschlüssel Ströme erzeugt und diese dadurch wie Töpfe auf einem Induktionsherd erhitzen kann, brauchen Induktionssysteme mit hohen Leistungen für Fahrzeuge eine Objekterkennung. Die Steuerung erkennt solche Fremdkörper normalerweise durch deren Veränderung eines schwächeren Test-Feldes, das sie vor dem Ladevorgang aufbaut.
Verluste im Vergleich zum Kabel
Aktuelle induktive Ladesysteme für E-Fahrzeuge sind bei acht Prozent Verlust und darunter angekommen. Die von den Herstellern zum Vergleich angegebenen Verluste der konduktiven Ladung (Kabelverluste) sind jedoch oft unrealistisch hoch, Mahle etwa gibt sechs Prozent über Kabel an. Nach DIN VDE 0100 sind in einer kompletten Gebäudeinstallation aus Sicherheitsgründen maximal vier Prozent Verlust zulässig, und der größte Teil davon fällt auch für die induktive Ladestation an, weil sie nur ein paar Zentimeter drahtlos überträgt. Die Leitungsverluste bei empfohlenen 2,5 mm² Leitungsquerschnitt für 16 A Stromstärke liegen auf den ersetzten Längen (nötige Mehrlänge Typ-2-Kabel) im vernachlässigbaren Bereich. Damit Mahles Rechnung aufgeht, müssten die Stecker schon extrem verranzt sein. Obwohl konduktive Übertragung wesentlich effizienter ist, liegen die Verluste für induktive Übertragung dennoch in einem Bereich, der durchaus praxistauglich ist. Grund: Die weitaus größten Verluste fallen in Umrichter und Batterie an. Die zusätzlichen Verluste für induktives Laden liegen im Gesamtsystem so niedrig, dass die Frage "induktiv oder konduktiv" kaum noch relevant ist. Beispiel: Der ADAC hat in Serienautos Ladeverluste bis über 20 % gemessen. Es ist nur die Frage, wie viel Vorteil Induktion für seine Zusatzkosten bringt.
Frühe(re) Beispiele
Induktive Stromversorgung hat schon lange ihren Platz, zum Beispiel an der elektrischen Akku-Zahnbürste, die dann wasserdicht verklebt werden kann oder der Qi-Ladeschale fürs Smartphone. Sie wurde jedoch auch schon früh im E-Autobau eingesetzt. Der GM EV1 zum Beispiel, der ab 1996 zum Leasing angeboten und später Star eines tendenziösen Dokufilmchens wurde, lud induktiv. GM konstruierte ein Paddel mit einer Spule darin, das in einen Schlitz in der Front des EV1 gesteckt wurde, der die Empfängerspulen enthielt.
Durch den Verzicht auf offene Kontakte sorgte GM für eine höhere Sicherheit und zudem für einen besseren Witterungsschutz der Ladelösung. Ich denke jedes Mal daran, wenn ich diesen Gummideckel an einem Typ-2-Stecker abfummeln muss.
Bei den deutschen Herstellern war es unter anderem der Plug-in-Hybrid, der die Hersteller zu induktiven Ladelösungen inspirierte. Es war schon klar, dass eine kleine Batterie häufigeres Anstecken bedeutet, und die Technik könnte man dann auch für die ganz batterieelektrischen Autos verwenden. Mercedes-Benz erprobte ab 2014 induktives Laden mit Qualcomms "Halo"-System, das wie eine Wallbox bis 22 kW liefern konnte. Das induktive Ladeset sollte 2017 als Zubehör für den S 500e angeboten werden, kam aber nie in den Handel. 2019 kaufte die US-Firma Witricity Qualcomm die Technik ab. Audis Presseabteilung schrieb lange Zeit vom "Audi Wireless Charging" (AWC) in den Prospekten seriennaher Konzeptfahrzeuge. Das gezeigte System arbeitete mit einer Bodenplatte, die nach oben fuhr, um den Luftspalt zu verkleinern und somit die Effizienz zu erhöhen. AWC erschien nie in Serie. Das Fraunhofer-Institut konstruierte eine Lösung, bei der die Empfängerspulen hinter dem Nummernschild saßen, mit dem man eine senkrechte Sendersäule küssen musste (die Sendersäule gab entsprechend etwas nach). Das System war dazu gedacht, nachrüstbar zu sein, kam aber nicht einmal in die Erstausstattung.
Bei BMW dagegen gab es 2017 real etwas zu kaufen: als Leasing-Sonderausstattung das "CarPad"-Modul fürs Auto für 890 Euro, nebst zugehörigem "GroundPad" für 2315 Euro. Sowohl Audis als auch BMWs System waren auf einen einphasigen Anschluss an 230 V mit 16 A Stromstärke ausgelegt (also 3,6 kW brutto, netto gab BMW 3,3 kW an). Obwohl BMWs Pads es zu einigen Kunden geschafft hatten, war auch dieses Intermezzo kurz: Nach weniger als einem Jahr verschwand die Option. Die Lösungen krankten daran, dass der zusätzliche Komfort des induktiven Ladens den Kunden den Aufpreis nicht wert war – am wenigsten beim Plug-in-Hybrid, der entgegen seinem Namen vor allem damals mit den noch kleineren Batterien im Flottenbetrieb sowieso praktisch nie angesteckt wurde. Bei BMW und Audi kam noch dazu, dass die Systeme proprietär und dazu noch auf die geringe einphasige Leistung von 3,6 kW brutto ausgelegt waren. Ein System, das sich in der Breite durchsetzen kann, braucht mindestens die Leistung einer Wallbox (also mindestens bis elf kW) und ebenso deren Kompatibilität. Oder würden Sie bei jedem neuen Auto eine neue Wallbox kaufen wollen?
Standards sind gesetzt
Die nötige Standardisierung findet sich in der SAE-Norm J2954. Mit der waren über die Jahre einige Hersteller nicht so recht zufrieden, weil sie die Technik des federführenden Herstellers WiTricity abbildeten. Es gab allerdings keine vergleichbaren Alternativen. Wahrscheinlich folgen künftige standardisierte Lösungen also der J2954. Ziel der Norm ist das, was bei Stromsteckern üblich ist: Die Schnittstelle muss so sein, dass man einen induktiven Empfänger (analog zu einem Stecker) unabhängig von einem Sender (analog zu einer Steckdose) entwickeln kann. Erst dann wäre gewährleistet, dass eine Ladeschleife in der Garage auch das neue Auto einer anderen Marke laden kann, wenn beide demselben Standard folgen. Wie beim Typ-2-Stecker geht der Energieübertragung ein kleiner Daten-Handshake voraus, in diesem Fall natürlich drahtlos.
Gegen Ende 2023 kam zum Standard eine Positionierungslösung hinzu, die der deutsche Zulieferer Mahle entwickelt hat, das "DIPS" ("Differential Inductive Positioning System"). Die Lösung soll ermöglichen, dass sich das Fahrzeug frühzeitig durch Lenkbewegungen so ausrichten kann, dass Sender- und Empfängerspulen optimal übereinander liegen. Das kann in einfachen Ausführungen durch optische Anweisungen für menschliche Lenker passieren. Das Positionieren kann in teureren Fahrzeugen mit entsprechenden Aktuatoren jedoch auch vergleichsweise einfach automatisiert werden. Beim DIPS erzeugt eine senkrechte Spule im Sender ein horizontales Magnetfeld, das der Empfänger im Auto frühzeitig zum groben Anfahren erkennen kann. Die Feinpositionierung erfolgt dann über vier horizontale Spulen mit ihren vier senkrechten Magnetfeldern. Jede der vier Spulen erhält eine eigene Wechselstromfrequenz, um sie zu identifizieren.
Ausblick: weiterhin kein Boom in Sicht
Die Positionierung ist als Mindestanforderung für öffentliche Ladestationen und leichte Nutzfahrzeuge gedacht, vor allem im Hinblick auf Fahrautomatisierung. Lösungen für private PKW könnten diesen Teil des Standards weglassen, und generell dürfte dort die Erweiterung des Standards sowieso keine Welle von Produkten auslösen. Im Flottenbetrieb dagegen könnte sich ein derart gut automatisierbares System in Nischen lohnen. In Verbindung mit Lösungen wie dem ferngesteuert automatisierten Parken sind zudem komfortable automatische Ladeparkhäuser als Geschäftsmodell denkbar. Den großen induktiven Boom, den das Standardisierungsgremium seit über zehn Jahren verspricht, wird der erweiterte Standard allerdings nicht bringen. Dazu ist der viel billigere Stecker nämlich dann doch nicht nervig genug.
(cgl)