Zurück aus den Ewigen Jagdgründen: 120 Jahre Indian Motorcycle
Seite 2: Pleite, Dürrejahre, Comeback
In Europa erfreuten sich zu dem Zeitpunkt kleine Einzylinder großer Beliebtheit und Indian entwickelte für den dortigen Markt die Prince, die von einem 350-cm3-Motor mit vier Ventilen und Dreigang-Getriebe befeuert wurde. Das 120-kg-Leichtgewicht brachte es auf 88 km/h, aber nie zu dem erhofften Verkaufserfolg. Der Hubraum der Scout wuchs 1926 auf 750 cm³, sie errang als Polizei-Motorrad rasch Bekanntheit. Angeblich soll sie deshalb den Gasgriff auf der linken Seite gehabt haben, damit die Polizisten mit der rechten Hand bei Verfolgungsjagden schießen konnten. Der wirkliche Grund für die Position links war jedoch ursprünglich ein zweiter Kombi-Drehgriff für Dekompressionsventil und Zündverstellung auf der rechten Seite, der durch die Automatisierung dieser Funktionen später überflüssig wurde. Die Drehgriffe sollen eine weitere Hedstrom-Erfindung gewesen sein.
Indian mit Reihenvierzylinder
1927 übernahm Indian die Überreste der drei Jahre zuvor Insolvent gegangen Marke Ace, inklusive deren bemerkenswertem Reihenvierzylinder. Das daraus resultierende Modell Indian Ace wurde von dem längs eingebauten Vierzylinder mit 1265 cm3 Hubraum angetrieben und beschleunigte bis auf 120 km/h. Es war ein Prestige-Objekt, das aber die Kosten nicht wieder einfahren konnte. Die Motorräder wurden zwar immer besser, aber die Inkompetenz des Managements trieb Indian in die Verlustzone. Der Geschäftsführer Louis E. Bauer hatte 1929 einen Schuldenberg von über einer Million Dollar angehäuft und dann kam am 29. Oktober der große Börsencrash, der als Schwarzer Freitag in die Geschichte einging.
Der schwerreiche Motorradenthusiast E. Paul DuPont übernahm 1930 Indian und schaffte es tatsächlich, das Geschäft wieder anzukurbeln. Er ließ konsequent die Bestseller Scout und Chief weiterentwickeln, steckte allerdings auch viel Geld in die Vierzylinder-Ace. Dennoch sank die Produktion 1933 auf einen Tiefpunkt von 1677 Motorrädern. Indian versuchte sogar ab 1934 mit dem Dreirad "Dispatch Tow", das als Lastenesel für Kleinunternehmer dienen sollte, Geld hereinzubekommen. Die Produktionszahlen stiegen nur langsam, trotz so eleganter Modelle wie die Sport Scout und die günstigere Einstiegsmaschine Junior Scout.
1953 war Indian insolvent
Der Zweite Weltkrieg bescherte Indian erneut Aufträge des Militärs, doch diesmal schnitt Harley-Davidson deutlich besser ab als im Ersten Weltkrieg. Während Indian 33.000 Militärmaschinen der Modelle 640B, 741, 841 und Chief für die US-Army produzierte, kam der Konkurrent aus Milwaukee auf 55.000 Stück. Nach dem Krieg kaufte der im Motorradgeschäft völlig unerfahrene Ralph Rogers Indian auf und ließ zunächst nur die Chief weiterbauen. Die Entwicklung neuer, leichterer Motorräder verschlang 6,5 Millionen US-Dollar, heraus kam schließlich 1949 die Arrow mit einem 220-cm3-Einzylinder und die Scout mit einem 440-cm3-Reihenzweizylinder.
120 Jahre Indian Motorcycle II (8 Bilder)
Beide Modelle ließen an Leistung und Zuverlässigkeit zu Wünschen übrig und die Kunden zeigten sich enttäuscht. Rogers verschuldete Indian immer höher und traf viele falsche Entscheidungen, 1950 gab er auf und Indian wurde in zwei Sparten aufgespalten: Die Produktion stand danach unter der Kontrolle der Titeflex Corporation, die eigentliche Bauteile für die Luftfahrt herstellte, und der Vertrieb wurde von John Brookhouse geleitet, der auch gleichzeitig die englischen Marken Royal Enfield, Norton, Matchless, AJS und Vincent in die USA importierte. Indian versuchte noch verzweifelt, die Chief mit Federgabeln und mehr Hubraum aufzufrischen, doch vergebens. 1953 stellte Indian Motocycle, einst größter Motorradproduzent der Welt, die Produktion in Springfield ein und meldete Insolvenz an.
Die Markenrechte gingen durch viele Hände
In den nächsten sechs Jahrzehnten wurden die Markenrechte an Indian weitergereicht wie ein Wanderpokal. Ab 1955 versah Brockhaus aus England importierte Royal Enfield mit dem Indian-Schriftzug und verkaufte sie unter neuen Modellnamen wie Indian Trailblazer, Apache, Fire Arrow oder Woodsman. 1960 kaufte die englische Firma AMC die Markenrechte von Indian auf, 1963 übernahm sie der amerikanische Verleger und Rennfahrer Floyd Clymer, der italienische Mini-Bikes mit den berühmten Namen versah. Nach dessen Tod verkaufte seine Witwe 1970 die Rechte an den Anwalt Alan Newman, der ebenfalls Mini-Bikes unter dem Label Indian verkaufte, diesmal stammten sie jedoch aus Taiwan.
Nach Newmans Bankrott 1977 gingen die Markenrechte an die American Moped Association, dann folgte 1992 Philip Zanghi, 1994 Wayne Baughman und 1998 Eller Industries, von denen aus verschiedenen Gründen keiner Motorräder in Serie baute. Erst als sich Ende 1998 neun Unternehmen zur Firma Indian Motorcylce of America zusammenschlossen und in Gilroy, Kalifornien ein Werk aufbauten, rollten endlich wieder Indians vom Band. Die Chief kam im eleganten Stil der 1950er-Jahre und auch die Scout war durchaus gelungen. Allerdings waren beide Modelle sehr teuer und so endete auch dieser Versuch 2003 mit einem unrühmlichen Konkurs. Von 2006 bis 2011 bemühte sich eine in London ansässige Investment-Firma unter dem Label Indian Motorcylce Company in Kings Mountain, North Carolina exklusiv aufgebaute Chiefs in kleinen Stückzahlen zu verkaufen.
Polaris baut wieder Indians
Erst als 2011 der Schneemobil- und ATV-Hersteller Polaris Industries die Rechte an Indian Motocycle aufkaufte, kam wieder frischer Wind in die altehrwürdige Marke. Polaris hatte bereits mit Victory Motorcycles eine Motorradmarke im Portfolio und seit 1998 Erfahrung im Motorradbau. Doch die legendäre Marke Indian (nun wieder mit "r" im vollen Namen) war natürlich wesentlich zugkräftiger und so wurde Victory schließlich liquidiert und ab 2014 baute Polaris stattdessen Indians in Serie.
Indian präsentierte die neue Chief mit dem Thunderstroke genannten 1811 cm3 großen V2-Motor bereits 2013 ausgerechnet in Sturgis, South Dakota beim weltgrößten Harley-Davidson-Festival. Das neue Indian-Werk wurde in Spirit Lake, Iowa errichtet und die Chief vom Start weg in den Versionen Classic, Vintage und Chieftain angeboten – alle drei ausgesprochen hübsche Retro-Bikes. Ein Jahr später folgte die etwas kleinere und günstigere Scout mit einem 1133-cm3-V2. Beide Modellreihen sind seitdem in diversen Versionen im Programm und 2019 gesellte sich die im Flat-Track-Stil gehaltene FTR 1200 mit einem 120 PS starken 1203-cm3-V2 dazu.
Lesen Sie auch
Auf kleinen Sohlen: Indian FTR S im Test
Rosige Zukunft
Seit Polaris das Steuer übernommen hat, sieht die Zukunft von Indian Motocycle wieder rosig aus. Zwar bewegen sich die Verkaufszahlen mit rund 32.000 Stück im Vergleich zum ewigen Konkurrenten Harley-Davidson auf eher niedrigem Niveau, aber schließlich hatte die Marke aus Milwaukee auch sechs Jahrzehnte Zeit vorzulegen. Es ist schon bemerkenswert, wenn ein Markenname eine so große Strahlkraft ausübt, dass er über 120 Jahre nichts von seiner Faszination verloren hat.
(fpi)