Mondverschwörung und Ausschleichen – die Fotonews der Woche 11/2023
Bilder aus der KI werden ungefragt erstellt – vielleicht – und Canon macht wachsweiche wie auch harte Versprechen.
- Nico Ernst
"Nichts Genaues weiß man nicht" lautet die hochdeutsche Version einer bayerischen Redewendung. Schon die doppelte Verneinung deutet auf einen recht konkreten Sachverhalt hin, und so ist das auch mit vermeintlichen Fotos, die man mit neueren Samsung-Smartphones von unserem Erdtrabanten macht. Vermeintlich deshalb, weil die Software des Geräts auch aus dem unschärfsten Pixelbrei noch ansehnliche Bilder macht.
Ein simples Experiment mit einem echten, und unscharfen Bild des Mondes, das von einem Monitor mit dem Handy abfotografiert wurde, zeigt, was offenbar dahintersteht: Da tauchen Details auf, die in der Vorlage gar nicht da waren. Ob Samsung hier eine KI im Telefon bemüht, bestehende Bilder aus seiner Cloud abruft, oder beides, ist unklar. Daher weiß man es nicht genau, denn in die Software hat noch niemand richtig hineingesehen. Das ist ob der vielen Firmwares von Kameramodul bis Funkmodem mit proprietärem Code und Verschlüsselung auch schwer möglich.
Die Frage, welches Bild nun wirklich "echt" ist, wird immer drängender. Da sei für Pressefotos an die nur schleppend in Gang kommende Content Authenticity Initiative (CAI) erinnert. Mit einer Art Echtheitssiegel sollen sich sämtliche Änderungen an einem Bild nachvollziehen lassen, bis hin zum Abruf der originalen Aufnahme. Der CAI ist als neuestes Schwergewicht Anfang 2023 auch Canon beigetreten, aber auch hier wieder ohne konkrete Termine oder Kameras zu nennen, welche die Funktionen unterstützen sollen.
Beauty-Filter verändern die Selbstwahrnehmung
Bei den am weitesten verbreiteten Kameras, denen in Smartphones, ist von solchen Mechanismen nichts zu erwarten, die Hersteller haben kein Interesse daran. Ohnehin müsste man, wie bei CAI, auch die Onlineplattformen einbeziehen. Und auf denen tobt ein völlig unreguliertes technisches Wettrennen unter anderem um die krassesten Beauty-Filter. Neuestes Beispiel ist "Bold Glamour", mit dem sich auf TikTok jede und jeder in ein komplett gestyltes Supermodel verwandeln kann. Das klappt inzwischen täuschend echt in Echtzeit für Videos. Tate Ryan Mosley hat das für Technology Review treffend als "Massenexperiment an Mädchen und jungen Frauen" bezeichnet. Ein empfehlenswerter Long Read fürs Wochenende.
Hinter solchen Filtern steckt natürlich immer maschinelles Lernen, alias KI. Und die wird nun über alle Medientypen verknüpft und integriert. War GPT ursprünglich nur ein Large Language Model, also für geschriebene Sprache gedacht, so ist GPT-4 jetzt auch in der Lage den Inhalt von Bildern zu verstehen oder als Vorgabe für einen Text zu analysieren. Das heißt, dass die KI in beide Richtungen arbeitet, beziehungsweise, dass die Entwickler diese Wege nun auch für die Nutzer freigeschaltet haben.
Midjourney errechnet fast perfekte Porträts
Große Fortschritte macht die auch "Generative AI" genannte Technik auch bei künstlerischen Bildern und solchen, die wie ein gestaltetes Foto aussehen. Auch da dürfte der Input der User eine entscheidende Rolle gespielt haben, denn: Die erst im November 2022 vorgestellte Version 4 von Midjourney erzeugte zwar schicke, aber doch als solche erkennbare Renderbilder. Menschliche Gesichtszüge und Regungen waren zwar erkennbar, aber alles erschien mit einem gewissen Plastiklook. Version 5, in dieser Woche erschienen, erzeugt unter anderem realistischere Texturen, zum Beispiel von menschlicher Haut und Haaren. Noch immer ist das für das geschulte Auge des Fotografen etwas zu perfekt, aber man vergleiche das mit den Social-Media-Filtern: An den künstlichen Look von Bildern haben sich viele Menschen längst gewöhnt.
Leider gar nicht künstlich, sondern in erschreckendem Realismus dargestellt ist die brutale Gewalt des Ersten Weltkriegs, wie sie die Neuverfilmung von "Im Westen nichts Neues" zeigt. Als erster deutscher Film – gut, mit viel Geld von Netflix – gewann das Epos vier Oscars, darunter die für Kamera und Szenenbild. Vergleicht man die bedrückenden Szenen etwa mit der Eröffnungssequenz des 25 Jahre älteren und analog gefilmten "Der Soldat James Ryan" fällt schon ein digitaler Look auf, der aber gekonnt die Aussagen des Antikriegsfilms unterstützt. Wie schon in Social Media hat das Verbreitungsmedium offenbar Einfluss auf die Sehgewohnheiten: Eine Netflix-Produktion muss eben heute genau so aussehen.
Canon stützt M-Serie und kündigt EOS R1 an
Beim Film heißt es "Cut!", also machen wir jetzt einen harten Schnitt zu dem bisschen, was es zu neuer Foto-Hardware in dieser Woche gab. Im Zentrum steht hier Canon, genauer das, was sich in den Hintergrundgesprächen auf der Messe CP+ vor einigen Wochen ergab. Zum Einen kündigte Takeshi Tokura, Vize der Imaging-Abteilung, dass kontinuierlich neue Objektive für den RF-Mount erscheinen sollen. Mit rund 30 Optiken für spiegellose Canons gibt es derzeit nämlich nur die Hälfte der Auswahl des älteren EF-Bajonetts. Sieben bis acht Linsen sollen jedes Jahr erscheinen, damit wäre 2028 Gleichstand erreicht.
Nicht ganz so eindeutig sind zum Anderen die Aussagen von Tetsuji Kiyomi, Canons Imaging-Produktchef. Er wurde, zusammen mit anderen Canon-Managern, von der französischen Fotoseite Phototrend interviewt. Das Gespräch erschien schon vor zwei Wochen, eine Angabe daraus macht aber er jetzt die große Runde: Die Serie EOS M im Formfaktor APS-C soll demnach noch etwas länger weiterleben. Auch wir nahmen bei der EOS R50 an, dass damit die M-Serie ein Ende gefunden haben könnte. Wenn man jedoch Kiyomis Sätze durch menschliche wie maschinelle Übersetzer jagt, hat er nur gesagt, dass die M-Serie weiter stark nachgefragt wird und daher im Angebot bleiben wird. Von neuen Geräten ist da nicht die Rede. Wie beim schrittweisen Absetzen eines Medikaments mit immer geringeren Dosen wird Canon nach aktuellem Stand wohl die Ms langsam ausschleichen.
Canon-Manager Go Tokura wurde dann aber an gleicher Stelle erfrischend konkret: Es wird eine EOS R1 geben. Das soll dann der Profiklotz, Pardon, das Flaggschiff der spiegellosen Kameras werden. Obwohl – mit zwei Handgriffen und über 6.000 Euro für den Body ist schon die bisherige R3 klar ein Werkzeug für Berufsfotografen. Im Herbst 2023 wird die Kamera aber zwei Jahre alt, vielleicht erscheint dann ja keine Mark II der R3, sondern als Nachfolger gleich eine R1. Und dann mit mehr als 24 Megapixeln, denn hier haben Nikon mit der Z9 bei 45 Megapixeln und Sony mit der Alpha 7R V bei gleich 61 Megapixeln Canon inzwischen deutlich überholt.
(keh)