Zahlen, bitte! 80 Frauen klassifizierten das Universum

Vor der IT waren Computer weiblich: Frauen übernahmen in der Astronomie wichtige Berechnungen und Aufgaben. Angemessen gewürdigt wurde ihre Arbeit nur selten.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Bevor es mechanische und elektronische Rechner gab, gab es weibliche Computer: Computer, Calculatrices oder eben auf Deutsch "technische Rechnerinnen" wurden die Frauen genannt, die Werte berechneten oder Bildplatten analysierten.

Ob es sich um den britischen Royal Nautical Almanac, den französischen Connaissance des Temps, das US-amerikanische Mathematic Tables Project oder eben das Berliner Astronomisches Jahrbuch handelte, überall wurden Frauen für Berechnungen und Auswertungen eingesetzt.

Henrietta Swan Leavitt im Jahr 1898

(Bild: gemeinfrei)

Eine gewisse internationale Bekanntheit erlangten die Harvard Computers: Eine Gruppe von insgesamt 80 Frauen arbeitete für 25 bis 30 US-Cent pro Tag am Observatorium des Harvard College, das von Edward C. Pickering geleitet wurde. Als billige Hilfskräfte, die weit weniger als die Sekretärinnen am College verdienten, wertete "Pickerings Harem" tagsüber die nachts fotografierten Bildplatten aus.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die bekannteste "Computerin" dürfte Henrietta Swan Leavitt sein, die die Cepheiden klassifizierte und damit maßgeblich zu Edwin Hubbles Erkenntnis beitrug, dass das Weltall expandiert. Sie wurde 1925 für den Nobelpreis vorgeschlagen, war aber bereits 1921 verstorben.

Die moderne Geschichte der Astronomie kennt einige Frauen, die bei der Berechnung und Klassifizierung von Sternen eine Rolle spielten – und regelmäßig für ihre Beiträge übergangen wurden. Der erste bekannte Fall dieser Art war Nicole-Reine Lépaute, die bei der Berechnung der Wiederkehr des Halleyschen Kometen 1759 als Calculatrice mitarbeitete. Den Ruhm heimste der Mathematiker Alexis Clairaut ein, der sehr zum Ärger des führenden französischen Astronomen und Mathematikers Jérôme Lalande die Rolle von Lépaute verschwieg.

Ähnlich erging es der Astronomin Charlotte von Sachsen-Meinigen, die für den Hofastronomen Hilfstafeln berechnete und 1798 an dem ersten europäischen astronomischen Kongress in Gotha teilnahm.

Williamina Paton Stevens Fleming, um 1890 herum.

(Bild: gemeinfrei)

Die Geschichte der Harvard Computers beginnt mit der Schottin Williamina Paton Stevens Fleming, die bei Edward Pickering zunächst als Haushaltshilfe arbeitete, ehe sie am Observatorium Bildplatten auswertete. Sie klassifizierte mehr als 10.000 Sterne und entdeckte 59 Nebel auf den belichteten Platten, darunter den bekannten Pferdekopfnebel. 1899 wurde sie zum Ehrenmitglied der britischen Royal Astronomical Society ernannt. Als ab 1918 der Henry Draper Catalogue als aktuelles Sternenverzeichnis veröffentlicht wurde, wurde ihre Mitarbeit jedoch verschwiegen.

Die nächste wichtige "Computerin" war Annie Jump Cannon, die die Grundlagen der Sternenklassifizierung nach den sieben Grundtypen (O, B, A, F, G, K, M) entwickelte und nach Pickerings Tod die Leitung des Observatoriums übernahm. Sie erhielt etliche Auszeichnungen, unter anderem einen hoch dotierten Preis, den sie für einen eigenen Preis nutzte, um Frauen in der Astronomie zu unterstützen.

Der Pferdekopfnebel, in der Aufnahme, so wie ihn Williamina Fleming entdeckte. Rechts von dem großen Lichtkreis ist der Pferdekopfnebel schemenhaft zu erkennen.

(Bild: William Henry Pickering, 1888)

Neben ihrer Arbeit als Harvard Computer war Henrietta Swan Leavitt als Assistentin von Pickering für die Aufsicht über die Photographische Abteilung des Observatoriums und damit für die Pflege der Teleskope zuständig. Bei der Auswertung von Bildplatten zum Sternbild des Cepheus in der Kleinen Magellanschen Wolke stieß sie 1912 auf 25 pulsierende Sterne und entdeckte den Zusammenhang zwischen der Periodizität und der Helligkeit dieser Cepheiden. Damit revolutionierte sie die damalige Vorstellung vom Universum.

Einen Vortrag von Pickerings Nachfolger Harlow Shapley nutzte die Britin Cecilia Helena Payne aus, um sich als Nachfolgerin von Pickings Frauen als Computer am Observatorium ins Spiel zu bringen. Sie war die Astronomin, die in ihrer Dissertation im Jahre 1925 erkannte, dass Sterne vor allem aus Hydrogen und Helium bestehen, eine Auffassung, die von den damals führenden (männlichen) Astronomen abgelehnt wurde.

Cecilia Payne-Gaposchkin im Harvard College Observatory

(Bild: Smithsonian Institution)

Einer der Ersten, die auf die billigere Arbeitskraft von Frauen in der Wissenschaft setzten, war übrigens Charles Babbage. Die von ihm veröffentlichten und allgemein gelobten Logarithmentafeln wurden von weiblichen Computern berechnet. Babbage war fortlaufend darum bemüht, jegliche Fehler bei der Berechnung auszuschließen. Er erkannte, dass dieselben Fehler häufig von verschiedenen Personen begangen wurden und setzte daher seine Hoffnungen auf maschinelle Rechenwerke wie der von ihm entworfenen Differential Engine. Um diesen mitunter als Babbage's Law beschriebene Fehlerquelle auszumerzen, wurden verschiedene Verfahren entwickelt.

Mathematikerin und Physikerin der NASA Katherine Johnson im Jahr 1966. Die Astronauten vertrauten ihren Berechnungen teilweise lieber als der noch jungen Computertechnik.

(Bild: NASA)

Eines der wichtigsten Ansätze war das der Mathematikerin Gertrude Blanch am Mathematic Tables Project (PDF) entwickelte Verfahren, nicht nur zwei technische Rechnerinnen zum Errechnen eines Wertes einzusetzen, sondern auch zwei verschiedene Lösungswege. Blanch steht damit am Übergang vom technischen Rechnen zur Benutzung von Computern.

In diesem Sinne sei an Katherine Johnson erinnert, die als weiblicher Computer bei der Weltraumbehörde NASA arbeitete. Als John Glenn mit seiner Friendship 7 in den Weltraum starten sollte, verlangte er, dass die von einem Computer berechnete Flugbahn von der erfahrenen technischen Rechnerin noch einmal berechnet wurde, weil er den "Dingern" misstraute.

(mawi)