Nichts war Roger: General Motors erstes Elektroauto EV1

GMs erstes E-Auto ist ein legendäres Synonym für Missmanagement, Lobbyismus und vertane Chancen. Dabei hatte es Roger Smith, der damalige GM-Chef, gut gemeint.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 152 Kommentare lesen

(Bild: General Motors)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christian Domke Seidel
Inhaltsverzeichnis

Roger Smith gilt in den USA als einer der schlechtesten Automanager. Jemals. Über alle Marken betrachtet. Immer wieder taucht er in entsprechenden Rankings auf. Dabei hatte er es nur gut gemeint. In seine Regentschaft als Vorstandsvorsitzender bei General Motors (1981 bis 1990) fällt unter anderem die Entscheidung, das Elektroauto EV1 zu entwickeln und zu bauen. Es hätte sein goldenes Vermächtnis werden können. Doch es wurde zur internationalen Lachnummer.

Roger Smith übernahm 1981 bei General Motors das Ruder. In diesem Jahr erwirtschaftete der Konzern mit weltweit 657.000 Angestellten satte 60 Milliarden Dollar Umsatz ... und den ersten Verlust der Firmengeschichte seit den 1920er Jahren. Das lag an einer lausigen Fahrzeugqualität, die zu sinkenden Verkäufen, schwindenden Marktanteilen und teuren Klagen führte. Kurzum: Smith hatte keinen einfachen Job.

Er war als Bürokrat bekannt. Als konservativer Verwalter. Doch die selbsternannten Experten hatten sich in ihm getäuscht. Smith ging mit dem Vorschlaghammer auf die festgefahrenen Strukturen los. Er gab Milliarden an Dollar für die Automatisierung aus, verlegte Fabriken nach Mexico und ging Kooperationen mit ausländischen Herstellern ein. Außerdem wollte er Synergieeffekte nutzen. Nicht jede Marke des Konzerns brauchte seiner Meinung nach eine eigene Designabteilung.

Die Pläne waren ambitioniert. Regelrecht zukunftsweisend und ihrer Zeit voraus. Sie mussten scheitern. Die Robotertechnologie war noch nicht soweit. Die Maschinen schweißten die Türen zu statt an und lackierten sich gegenseitig statt der Autos. Smith düpierte regelmäßig die Gewerkschaften und schuf sich so einen mächtigen Feind. Bereits im Jahr 1986 hätten die Ausgaben für die Umstrukturierung bei 35 Milliarden Dollar gelegen, berichtete Alan Smith, der Finanzvorstand. Damals genug Geld, um Toyota und Nissan zu übernehmen.

Dann fiel Roger Smith ein Geschenk in den Schoß. Die World-Solar-Challenge 1987 in Australien. Es ging darum, mit einem Elektroauto, das nur mit Sonnenenergie fährt, etwa 3000 Kilometer zu bewältigen. General Motors gewann mit den Sunraycer mit rund zweieinhalb Tagen (!) Vorsprung.

General Motors EV1 (3 Bilder)

Über das EV1 von General Motors gibt es sogar eine Dokumentation. "Who killed the electric car?” setzt sich mit der Geschichte dieses Elektroautos auseinander.

Begeistert davon, welchen technologischen Vorsprung man zu haben schien, machte sich General Motors sofort an ein Projekt mit dem Namen "Impact". Ein Elektroauto für die Serienfertigung. Nach rund zwei Jahren Entwicklungszeit wähnten sich die Ingenieure auf der Zielgeraden und Roger Smith – in den letzten Monaten seiner katastrophalen Regentschaft – gehen auf einer Pressekonferenz die Gäule durch.

Ein "aufregendes Elektroauto" könne er vorstellen. Eines, das weiter fahren könne als alle bisherigen Modelle, das jeden Komfort hätte, den man sich nur vorstellen könne, und dessen Beschleunigungswerte mit denen konventioneller Autos mithalten könnten. Das Auto sei außerdem schon produktionsbereit und werde demnächst gebaut. Die Pressekonferenz gab er nicht an einem beliebigen Datum, sondern am 3. Januar 1990. Dem "Earth Day".

Seine Botschaft schlug in Kalifornien ein wie eine Bombe. Denn dort feilte die Luftreinhaltekommission (California Air Resources Board – CARB), gerade an einem Gesetz, das alle Autoproduzenten in den USA dazu verpflichten würde, zwei Prozent der Flotte auf emissionsfreie Autos umzustellen. Fünf Prozent im Jahr 2001 und zehn Prozent im Jahr 2003. CARB hatte zunächst Hemmungen, das Gesetz einzureichen. Wasserstoff und Brennstoffzelle waren noch kein Thema. Die einzige Lösung wären Elektroautos gewesen. Jetzt wussten die Politiker, dass die Industrie technisch schon bereit war.

Genau genommen stand aber nur General Motors in den Startlöchern. Sie hatten einen enormen Vorsprung in Sachen Elektromobilität. Das angepriesene Elektroauto "Impact" kam 1996 als EV1 auf den Markt. Doch bereits im November 1990 muss Roger Smith gehen. Seine Nachfolger Roger Stempel (1990 bis 1992) und John F. Smith (1992 bis 2000) entschieden sich zwar dazu, den EV1 zu bauen, lobbyierten aber parallel erfolgreich gegen das Gesetz der CARB. Seit’ an Seit’ mit der Konkurrenz.

Bis heute ist umstritten, warum General Motors das EV1 absichtlich gegen die Wand fuhr. Das Marketing war verheerend schlecht. Plakate und Werbespots wirkten beinahe depressiv und das Auto war kaum zu sehen. Auf Werbetafeln machte es gerade einmal ein Zwanzigstel der Fläche aus. Potentiellen Kunden wurden in "Verkaufsgesprächen" erst einmal die Nachteile der Elektromobilität erklärt. Hintergrund soll gewesen sein, dass sich ein überarbeitetes Gesetz der CARB bei der Quote für emissionsfreie Autos an der Kundennachfrage orientierte. Die musste also gering gehalten werden.

Wer sich nicht abschrecken ließ, konnte den Wagen drei Jahre lang leasen und zahlte dafür 399 Dollar monatlich (bzw. 480 Dollar für eine zweite Generation des Fahrzeugs). Nach Ablauf der Verträge wurden die Fahrzeuge eingesammelt und in der Wüste Arizonas gehäckselt. Trotz wütender Proteste der Fahrer und möglicher Neukunden. An das Versprechen, die Fahrzeuge würden an Museen und Universitäten übergeben und der Rest zu hundert Prozent recycelt werden, konnte sich bei General Motors niemand mehr erinnern. Im Jahr 2004 wurde das letzte Modell eingesammelt.

(fpi)